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»Warum sollte ich dir nicht helfen können?«, fragte ich aufgebracht. »Schließlich hab ich dich mal an diesen Strand verschleppt. Ich wusste zwar nicht, was ich da tat, aber das bedeutet nicht, dass ich keine Verantwortung trage. Es ist schließlich mein Traum: Wer könnte sich darin besser auskennen als ich?«

»Und wie willst du einen Traum verstehen, den du schon lange nicht mehr gehabt hast?«

»Lass mich kurz überlegen«, sagte ich und stellte den leeren Teller ab. Ich musste laut niesen, denn eine bösartige Erkältung trat gerade auf meine Spur.

»Du solltest kurz aufhören, an deine Unverletzlichkeit zu glauben, und ein Glas Glühwein trinken. Das ist ein altes, aber durchaus bewährtes Mittel«, sagte Lonely-Lokley im Ton eines Oberlehrers. »Viele medizinische Lehrbücher bestätigen, dass dieses Getränk wahre Wunder gegen Erkältung wirkt.«

Er wartete keine Antwort ab, sondern stellte einen Topf mit Wein auf die heiße Herdplatte.

»Wenn ich schon Glühwein trinken muss, dann wenigstens aus deiner löchrigen Tasse. Die hast du doch hoffentlich dabei? Vielleicht schützt mich ihre magische Kraft nicht nur vor Schnupfen, sondern bringt mich auch auf kluge Gedanken.«

»Warum eigentlich nicht?«, meinte Sir Schürf und griff in die Jackentasche. »Diese Tasse wirkt auf dich offenbar genauso stark wie auf die Mitglieder meines Ordens. Und schaden kann es dir nicht, daraus zu trinken.«

»Schlimmer kann es ohnehin nicht werden«, sagte ich, denn ich spürte allmählich, dass ich eine verstopfte Nase bekam.

»Halt mal«, meinte Lonely-Lokley und streckte mir die Tasse entgegen. Sein Handschuh war mit großen Runen bestickt. Dann schenkte er mir ein wenig Glühwein ein. »Das reicht.«

Ich fürchtete kurz, diesmal werde es mit der löchrigen Tasse nicht klappen und ich hätte wegen des Schnupfens den Glauben an meine magischen Kräfte eingebüßt. Doch alles lief reibungslos: Der Glühwein blieb trotz der Löcher in der Tasse, als hätte ich das halbe Leben in Lonely-Lokleys ehrwürdigem Orden verbracht.

Ich trank den Wein in einem Zug und fühlte mich gleich viel besser. Zwar hatte ich noch immer Schnupfen, doch er ließ schon nach, und mir war klar, dass er sich meiner diesmal nicht bemächtigen würde. Ich fühlte mich so leicht, frei und ausgeglichen, dass selbst viel schlimmere Ereignisse meine Stimmung nicht würden verschlechtern können.

Ich gab Lonely-Lokley die Tasse zurück und lauschte auf die Signale meines Körpers. Zuerst verschwand der Schnupfen. Der leichte Halsschmerz leistete kurz Widerstand, aber auch er war rasch verschwunden, und ich musste mich nur ein wenig räuspern. Anscheinend hatte ich die Erkältung bereits im Ansatz erstickt und mir so ein paar Tage Krankheit erspart.

»Schön, Schürf«, rief ich, als ich wieder reden konnte. »Deine Tasse arbeitet wie immer. Jetzt können wir endlich darüber sprechen, weshalb du eigentlich zu mir gekommen bist.«

»Willst du dich wirklich in meine Träume einmischen? «, fragte Lonely-Lokley. »Das ist sehr großzügig von dir, aber ich glaube, du bist vor allem neugierig.«

»Das ist doch eine gute Basis für ein neues Abenteuer«, sagte ich leicht verlegen.

»Und was möchtest du unternehmen, Max? Eigentlich wollte ich dir vorschlagen, uns wieder einen Traum zu teilen - so wie damals auf der Reise nach Kettari. Aber dadurch könnten wir viel Zeit verlieren, denn ich träume längst nicht jeden Tag von diesem Strand. Das war zwar gestern der Fall, aber wer weiß, wann es wieder passiert. In drei Tagen? In einer Woche? Außerdem arbeitest du nachts, was unser Vorhaben erschweren dürfte.«

»Eigentlich arbeite ich vierundzwanzig Stunden am Tag. Das hat mir Sir Juffin eingebrockt, aber ich will nicht klagen - immerhin führe ich ein interessantes Leben. Weißt du, Schürf, ich glaube, ich sollte zunächst den Familiensitz der Melifaros besuchen. Im Schlafzimmer seines Großvaters hatte ich die schönsten Träume meines Lebens. Ich mache mich heute noch auf den Weg. Ich weiß zwar nicht, ob meine Reise etwas nützen wird, aber angenehm wird sie gewiss.«

»Glaubst du denn, dass mein Problem so eilige Maßnahmen verlangt?«, fragte Schürf interessiert.

»Das nicht, aber mich treibt die Abenteuerlust. Nicht umsonst hat Juffin mir gerade zwei Sorgenfreie Tage gegeben. Er behauptet, ich hätte kein Talent, mich zu erholen, und ich fürchte, er hat Recht. Schon vor Sonnenuntergang habe ich eine nette Nebenbeschäftigung an Land gezogen. Da wir schon bei unserem Chef sind: Warum erzählst du ihm eigentlich nicht von deinen seltsamen Träumen?

Schließlich ist er ein alter, erfahrener Mann, der fast alles über die dunklen Sphären des Lebens weiß. Meine Erfahrung dagegen reicht nur, um zu sagen, dass mir ab und zu Träume widerfahren.«

»Eine lustige Formulierung«, bemerkte Schürf.

Das war typisch - nie wusste ich, welche Bemerkungen er übergehen und welche Wendung ihm gefallen würde.

»Was Sir Juffin anlangt«, begann mein Freund, als er das Heft, in das er meine Formulierung notiert hatte, wieder in die Jackentasche schob, und setzte dann neu an: »Es handelt sich hier um deine, nicht um meine Träume, und nur du kannst anderen davon erzählen, denn jeder hat ein Recht auf Geheimnisse. Das steht sogar im Chrember-Gesetzbuch.«

»Dort stehen auch andere Dinge, an die sich kaum jemand hält«, sagte ich lächelnd. »Und ich glaube, Juffin kennt meine Geheimnisse besser als ich. Na schön, lassen wir unseren Chef zunächst aus dem Spiel. Ich versuche lieber, den Strandtraum zu träumen. Ich glaube, Melifaro wird begeistert sein, wenn ich ihm vorschlage, mit ihm zu seinen Eltern zu fahren. Irgendeinen Nutzen muss unsere Freundschaft ja haben.«

»Deine Entschiedenheit gefällt mir«, sagte Lonely-Lokley, stellte seine leere Tasse ab und erhob sich. »Vielen Dank. Ich hoffe, du nimmst mir nicht übel, dass ich noch einiges zu tun habe.«

»Ich habe zwar oft gehört, Hoffnung sei ein trügerisches Gefühl, aber die beleidigte Leberwurst zu spielen, ist einfach nur dumm. Wenn du noch einige Minuten wartest, ziehe ich mich um und fahre dich ins Haus an der Brücke. So viel Zeit hast du doch noch, oder?«

»Vielen Dank, aber dorthin muss ich nicht«, sagte Lonely-Lokley und schüttelte höflich den Kopf. »Manchmal benutzt du wirklich seltsame Ausdrücke. Schönen Abend noch. Und halte mich auf dem Laufenden.«

Er ging zur Tür, und ich sah seiner großen Gestalt beeindruckt nach. Hoch gewachsene Menschen gehen oft gebeugt, aber Sir Lonely-Lokley verweigerte sich auch dieser Regel.

»Danke, dass du mir deine Geheimnisse anvertraut hast«, rief ich ihm nach. »Angesichts meiner baldigen Thronbesteigung ist das eine nette Abwechslung.«

Schürf drehte sich auf der Schwelle um. »Ich hoffe, dieses Abenteuer wird nicht zu turbulent für dich. Wie Alotho Aliroch zu sagen pflegt: »Auf der Welt gibt es viele Menschen, deren Wünsche keine große Rolle spielen.« Und dieser Admiral aus Arwaroch ist ein scharfer Beobachter, findest du nicht?«

Lonely-Lokley wartete nicht auf meine Antwort, sondern ging auf die Straße. Nun war ich nur noch in Gesellschaft des Steins, der mir bei seiner Erzählung aufs Herz gefallen war. Schweigend schob ich ihn weg, hüllte mich in den erstbesten Lochimantel und ging ins Armstrong und Ella.

Unterwegs meldete ich mich per Stummer Rede bei Melifaro.

»Meine Pläne für heute Abend dürften dir gefallen.«

»Wieso? Hast du einen Harem eröffnet?«, fragte er belustigt. »Das wurde auch Zeit!«

Nachdem meine Kollegen sich die Caligula-DVD mit Malcolm McLaren angesehen und sich nur mühsam von diesem Kulturschock erholt hatten, ließen sie mich nich mehr in Ruhe. Vermutlich glaubten sie, ich würde mich als König von Fangachra binnen kürzester Zeit zu einem blutigen Tyrannen von Caligula-Format entwickeln. Allmählich übertrieben sie es allerdings mit ihren Andeutungen, und ich hatte ihnen bereits gedroht, meine DVD-Sammlung dorthin zurückzubringen, woher ich sie geholt hatte. Aber das hatte niemand ernst genommen.

»Eigentlich wollte ich etwas Zeit bei deinen wunderbaren Eltern verbringen«, sagte ich zu ihm. »Hättest du keine Lust, dich mir anzuschließen? Das würde dir sicher gefallen.«