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»Da sind Sie ja an die Grenze des Machbaren gegangen!«

»Stimmt. In neu erschaffenen Welten ist es recht einfach, hohe Grade von Magie anzuwenden. Auch das macht diese Gegenden so interessant. Jetzt verstehe ich auch, warum du die Schlacht mit den Badegästen so souverän gewonnen hast. In Echo hätte das nicht geklappt, hier dagegen war es kinderleicht.«

»Und ich dachte, die Wut habe mir Flügel verliehen!«

»Wart's ab. Von echter Wut bist du noch ein gutes Stück entfernt«, erklärte Juffin und setzte sich neben mich. Genauer gesagt: Er ließ sich neben meinem Haupt nieder, denn ich glaubte, nur noch Kopf zu sein. Mein Körper schien mit dem Sand verschmolzen, aber das war gar nicht so unangenehm.

Juffin schüttelte Gugimagon wie einen Lappen. Auch sein riesiges Opfer setzte sich nun in den Sand und lehnte den Kopf an die Schulter seines Peinigers.

»Gerade sitzen!«, befahl Juffin ihm streng.

Ich staunte, doch Gugimagon setzte sich trotz seiner Teilnahmslosigkeit gehorsam auf. Endlich konnte ich mir sein Gesicht genauer ansehen. Es war nicht eben hübsch, wirkte aber seltsam sympathisch und erinnerte mich an die selbstbewussten Mienen von Gandhi und seinen Mitstreitern, wie ich sie aus Dokumentationen über die indische Unabhängigkeitsbewegung kannte. Sein rechtes Auge war geschlossen, während das linke mir einen starren, lastenden Blick zuwarf. Ich erinnerte mich an das Gespräch zwischen Juffin und dem Heiler aus der Irrenanstalt, und mir wurde klar, dass Gugimagon auf dem linken Auge blind war.

Dann fiel mir ein, dass ich dieses blinde Auge schon gesehen hatte: an dem Tag nämlich, an dem ich mich entschieden hatte, nach Hause zurückzukehren.

Selbst die Erinnerung daran ließ mich zittern. Von Anfang an hatte in dieser Reise der Wurm gesteckt. Ich hatte weder das Tor zwischen den Welten noch die richtige Tür in meine alte Welt finden können, sondern war in meinem alten Schlafzimmer in der Straße der alten Münzen eingeschlafen und in einer kleinen Kammer unter einer unangenehm kratzigen Decke in der Überzeugung erwacht, die herrlichen Jahre in Echo seien nur ein Traum gewesen.

Aber ich hatte mich aus dieser unangenehmen Lage befreit, war nach Echo zurückgekehrt und hatte dort weitergelebt, als wäre nichts gewesen. Ich hatte keine Erinnerungen zugelassen und sogar aufgehört, im Schlaf zu schreien. Als ich nun aber das blinde Auge von Gugimagon sah, wusste ich, was an jener Reise so schlimm gewesen war.

Kaum war ich damals in der alten Wohnung eingeschlafen, war ich ins Tor zwischen den Welten geraten, wo mir der einäugige Gugimagon begegnet war. Ich hatte nicht verstanden, was er von mir wollte, aber sofort begriffen, dass von ihm eine tödliche Bedrohung ausging.

»Du erinnerst dich an ihn, stimmt's?«, fragte Juffin mich behutsam. »Er macht Jagd auf dich, seit du diesen Strand zum ersten Mal besucht hast, und seither ängstigst du dich vor ihm. Aber du bist nicht der Einzige, denn Gugimagon ist ein ziemlich grausames Geschöpf«, setzte mein Chef hinzu und wandte sich wieder an ihn. »Hör mal, Freundchen, ich hab noch eine Frage. Du hast dich übernommen und viele Unschuldige mitgerissen, doch ich an deiner Stelle hätte das Gleiche getan. Wie hast du die Menschen eigentlich gefunden, die sich für den Ritt durch das Tor zwischen den Welten eignen?«

»Du weißt genau wie ich, dass der da kein Mensch ist«, sagte Gugimagon und zeigte mit dem Finger auf mich. »Außerdem brauchte ich deinen anderen Mitarbeiter unbedingt, denn ohne ihn hätte ich das Tor zwischen den Welten nicht erreicht.«

»Ich hab gehört, wer lange auf Verrückte angewiesen ist, wird selbst verrückt. Das stimmt offenbar. Gut, Gugimagon, damit ist alles geklärt. Jetzt ruf die anderen, damit diese Geschichte endlich zu Ende geht.«

»Welche anderen?«, fragte der Riese teilnahmslos.

»Ich weiß, dass du für diese Reise weitere Menschen benutzt hast, und kann mir vorstellen, wie es ihnen geht: Sie haben ihren Schatten verloren und wissen nicht, wie und warum. Ich könnte sie selber rufen, aber ich möchte ihnen keine zusätzlichen Schmerzen zufügen. Ihre Lage ist schlimm genug. Vielleicht weißt du, mein Freund, dass ich dein Sterben bis zum Weltuntergang hinauszögern kann. Dazu brauche ich nur Weiße Magie 230. Grades. Hast du wirklich Lust, so langsam zu sterben? Schließlich dürfte dir klar sein, dass diese wunderbare Welt noch recht lange existieren dürfte, was, Max?«

Ich nickte eifrig, ohne zu wissen, worum es ging, denn ich hatte dem Gespräch der beiden erfahrenen Magier nicht mehr folgen können. Mich interessierte nur eines: Warum bestritt Gugimagon so hartnäckig, dass ich ein Mensch war? Nicht, dass mir seine Meinung besonders wichtig gewesen wäre, aber seine Sturheit verunsicherte mich.

»Seit wann nimmst du Unsinn ernst?«, fragte Juffin mich listig. »Wenn ich gewusst hätte, dass du so leicht zu beeinflussen bist, hätte ich auch deinen Kopf im Sand verschwinden lassen«, fügte er hinzu und wandte sich wieder an Gugimagon. »Tu, was ich dir gesagt habe.«

»Ich habe keine Lust, deinen Launen nachzugeben, Juffin. Mach, was du willst, aber diese Missgeburt bleibt hier«, erklärte er kategorisch und wies einmal mehr auf mich. »Ihr alle seid stur, undankbar und dumm. Von Geburt an ist euch ein bestimmtes Leben verheißen, aber ihr erkennt eure Bestimmung einfach nicht. Außerdem hat mich diese Reise viel Energie gekostet. Deshalb will ich, dass alles bleibt, wie es ist.«

»Du hast keinerlei Energie in diese Reise investiert!«, rief Juffin aufgebracht. »Das haben andere für dich getan. Du hast sie alle ausgenutzt, und das empört mich ungemein. Jetzt ruf endlich deine Opfer her, und zwar sofort! Du kennst mich lange genug, um zu wissen, dass ich alles bekomme, was ich mir vorgenommen habe.«

Gugimagon aber schwieg und schüttelte nur den Kopf.

»Wie du willst«, sagte Juffin, hob ihn in die Luft und warf ihn mit voller Wucht auf den Strand. Wieder lagen zwei Körper im Sand, und wie zuvor zerriss Juffin einen davon.

»Der Schatten ersteht schnell auf, stirbt aber noch schneller. Ich kann dieses Spielchen noch oft wiederholen. Besser, du tust endlich, was ich verlange.«

»Lass mich in Ruhe! Du hast deine Mitarbeiter doch zurückbekommen - was willst du noch?«

»Die beiden vom Kleinen Geheimen Suchtrupp hast du wirklich verabscheut, was? Jetzt ruf endlich deine Opfer her.«

»Na gut. Aber vorher habe ich eine letzte Bitte. Ich möchte im Tor zwischen den Welten sterben, nicht hier. Kannst du das für mich einrichten?«

»Warum nicht?«, sagte Juffin unerwartet kulant. »Mit dieser Bitte hättest du unser Gespräch beginnen sollen. Jetzt ruf die Leute her.«

Der einäugige Alte sah nun beinahe glücklich aus. Wohin waren sein Hass und seine Hartnäckigkeit verschwunden?

Er ist wirklich verrückt, dachte ich. Was bedeutet es schon, wo man stirbt? Tot ist tot.

Plötzlich zog Juffin mich am Ohr. Er lächelte zwar, doch seine Augen blickten ernst und sogar ein wenig traurig.

»Max, die armen Opfer von Gugimagon sind schon da. Merkst du das?«

»Meinen Sie die durchsichtigen Gespenster am Wasser? «

»Durchsichtige Gespenster? Offenbar haben wir das Geschehen verschieden erlebt und nehmen Gugimagons Opfer darum unterschiedlich wahr. Wie viele Gespenster siehst du denn?«

»Lassen Sie mich nachzählen ... siebzehn.«

»Siebzehn? So viele hatte ich vermutet. Zwar kann ich sie nicht sehen, aber ich spüre sie. Für die ersten zehn finde ich gewiss einen Rückweg nach Echo. Bei den anderen sieben bin ich mir nicht so sicher. Gugimagon, du hast in der Irrenanstalt einen Gedächtniskristall bekommen - gib ihn mir bitte, denn er dürfte mir jetzt nützlich sein.«

»Da«, sagte der einäugige Alte und reichte Juffin einen anthrazitfarbenen, dunkel leuchtenden Kristall. »Seit wann bist du so fürsorglich? Was kümmert es dich, was aus meinen Opfern wird? Schließlich sind das nicht deine Mitarbeiter.«

»Natürlich nicht. Von all deinen Opfern stammt keines aus Echo und nur eins aus Tulan, einer Stadt im Vereinigten Königreich. Alle Übrigen sind Fremde. Aber das tut nichts zur Sache. Wir müssen diesen Kristall in siebzehn Teile zerlegen«, sagte Juffin und drehte ihn vorsichtig in den Händen, bis er in siebzehn Stücke zerfiel. »Na bitte«, meinte er zufrieden. »Alle können sich jetzt einen Teil nehmen.«