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Plötzlich war Juffin dicht neben mir, legte mir die Hand auf die Brust und warf mich neben meiner DVD-Sammlung aufs Bett.

»Entschuldige, Junge, das wollte ich nicht. Aber du hast dich nicht verletzt, oder?«, fragte mein Chef gut gelaunt.

Er saß mit stolzgeschwellter Brust auf der Fensterbank. Hinter seinem Raubtierprofil ging die Sonne auf. So ein Bild lässt sich auf Münzen schlagen.

»War es das schon?«, fragte ich und lächelte unsicher. »Sind wir wieder in Echo? Ist etwa alles vorbei?«

»Noch nicht ganz - den Magistern sei Dank«, sagte Juffin lächelnd. »Wir werden noch lange leben. Aber ich fürchte,

wir müssen jetzt ins Haus an der Brücke, um Sir Schürf aus seiner Zelle zu befreien. Wenn ich richtig rechne, hat er schon ziemlich lange nicht mehr geschlafen. Außerdem hat er sich vermutlich sehr gelangweilt.«

»Dann lassen Sie uns fahren. Doch halt, ich muss mich noch umziehen. Ich habe Sand in allen Taschen und Ritzen.«

»Das kannst du später machen«, meinte Juffin mit einer ungeduldigen Handbewegung. »Sonst willst du dich auch noch baden, und ich fange an, mir Filme anzusehen. Was soll da aus dem armen Lonely-Lokley werden?«

»Wie Sie wollen«, sagte ich ergeben, spurtete meinem Chef nach und sprang hastig die Treppe hinunter.

»Wie hast du es eigentlich geschafft, dich so lange im Tor zwischen den Welten aufzuhalten?«, fragte er mich, als wir auf der Straße waren. »Nach all den Anstrengungen, die du durchgemacht hast, hatte ich nicht damit gerechnet, dass dir das gelingen würde.«

»Es war ganz einfach: Ich habe darum gebeten.«

»Wen denn?«, fragte Juffin erstaunt.

»Keine Ahnung. Ich habe laut darum gebeten und mich anschließend brav bedankt.«

»Dann kann ich dir schon wieder zu einer Entdeckung gratulieren, denn bisher ist niemand auf die Idee gekommen, dort etwas zu sagen. Demnächst versuche ich das auch mal.«

Juffin musterte mich sichtlich erstaunt. Ich fürchtete schon, größenwahnsinnig zu werden, blieb aber - wie stets - auf dem Teppich.

Im Haus an der Brücke war es still wie Gerstenbrei. So ruhig ist es dort nur in der Morgendämmerung.

Unser Büro war leer. Nur auf dem Schreibtisch stand eine Kochplatte, auf der ein Krug Kamra warm gehalten wurde. Der wunderbare Juffin hatte sich offenbar rechtzeitig im Fressfass gemeldet, und seine Bestellung war eher eingetroffen als wir. Solche Voraussicht kann manchmal Leben retten oder doch - wie in diesem Fall - die Lebensgeister wecken.

Ich ließ mich auf meinen Stuhl fallen und schenkte mir eine Tasse Kamra ein. Mein Chef kämpfte derweil heroisch mit dem Schloss der Verhörzelle.

»Willkommen in der Freiheit, Schürf!«, rief mein Chef dann. »Ich habe allerdings eine schlechte Nachricht für dich: Unser lieber Freund Gugimagon ist tot.«

»Den Magistern sei Dank! Ihr wart ziemlich lange unterwegs«, entgegnete Lonely-Lokley und klappte sein Buch zu. »Die letzte Nacht war alles andere als leicht für mich, denn der Reiter hat mich bedrängt. Zum Glück habe ich ein Amulett.«

»Dieser Gugimagon hat offenbar bis zur letzten Sekunde gekämpft«, sagte Juffin und schüttelte erstaunt den Kopf. »Den habe ich wirklich unterschätzt. Schürf, willst du noch ein wenig bei uns bleiben oder sofort nach Hause?«

»Ein paar Minuten bleibe ich gern«, sagte Lonely-Lokley und setzte sich zu mir. »Max, vorgestern hast du versprochen, mich nach Hause zu fahren, und bei deinem Fahrtempo kann ich nur staunen, dass du dein Versprechen nicht erfüllen willst.«

Ich war verblüfft. Dass jetzt sogar Schürf zur Ironie griff, machte mich sprachlos. Dann aber raffte ich mich auf und sagte: »Versprich mir, mich nicht wieder zu attackieren.«

»Ich hab deinen Kram noch hier irgendwo, Schürf«,

sagte Juffin und wühlte in seinem Schreibtisch herum. Nach langem, von zahllosen Flüchen begleitetem Stöbern zog er eine große Schachtel hervor, in der Lonely-Lokley seine tödlichen Handschuhe aufbewahrte. »Nimm deinen Schatz wieder mit, und lass mich dich aufs Neue im königlichen Dienst willkommen heißen. Ich freue mich, dass du nur kurz pausieren musstest. «

»Und sei bitte so lieb und zieh deine Handschuhe nicht gleich wieder an«, ergänzte ich mit listigem Lächeln.

»Na, wenn dich das beruhigt«, sagte Schürf achselzuckend, blickte unschuldig drein und inspizierte dann aufmerksam den Inhalt seiner Schachtel.

»Was suchst du denn da?«, fragte Juffin belustigt.

»Hier ist überall Sand drin«, erklärte Schürf trocken.

»Papperlapapp, wie sollte der denn in meinen Schreibtisch gekommen sein?«, entgegnete mein Chef kategorisch.

Lonely-Lokley sagte nichts dazu, sondern wischte mit den Schößen meines Todesmantels ungerührt seine Schachtel aus. Ich wusste nicht, was ich zu dieser Unverschämtheit sagen sollte, und klappte den Mund nur auf und zu wie ein Fisch.

»Deine Kleidung ist schmutzig - ganz anders als meine Sachen«, erklärte der Frechdachs ruhig.

Juffin kicherte nur, und bald war auch ich bereit, über die ganze Situation zu lachen. Besser spät als nie.

»Ihr zwei solltet im Theater auftreten. Dort würdet ihr sicher großen Erfolg haben. Und jetzt geht ihr sofort schlafen - genau wie ich«, sagte er und verließ als Erster das Büro.

Lonely-Lokley nahm neben mir Platz. Ich musste mit einem Dienstwagen vorliebnehmen, weil mein A-Mobil bei unserer letzten gemeinsamen Fahrt zu Bruch gegangen war.

»Wie hat dir das Buch gefallen?«, fragte ich ihn und fuhr los.

»Unglaublich gut. Es ist eine Legende oder ein Märchen - sicher bin ich mir da nicht - und handelt vom Weltuntergang.«

»Eine Antiutopie also«, meinte ich verständnisvoll und gähnte. »Gut, dass du keinen Frauenroman bekommen hast. Erzähl mir doch, worum es geht. Du weißt ja, dass ich von dem Buch noch nie gehört habe und mir nicht einmal der Name des Autors etwas sagt.«

»Hoffentlich interessiert es dich wirklich«, brummte Sir Schürf. »Es geht um die Bewohner deiner Welt, die plötzlich aussterben, da die Luft sich nicht mehr atmen lässt. Nur ein paar hundert Menschen bleiben am Leben. Zunächst irren sie vereinzelt herum, finden dann aber zueinander, entwickeln die Atemtechnik, die ich dir beigebracht habe, und können so überleben. Erst warten sie noch ängstlich auf den Tod, dann aber merken sie, dass außer ihnen auch manche Tiere und Pflanzen weiterleben und es Hoffnung gibt. Also entscheiden sie sich, gemeinsam in einer bestimmten Gegend zu siedeln, und wählen dafür einen Ort, der früher nur zu Erholungszwecken diente, dessen Namen ich allerdings vergessen habe.«

»Du meinst sicher einen Kurort«, bemerkte ich nickend. »Und wie geht das Buch aus?«

»Das weiß ich noch nicht, aber den handelnden Personen geht es schon deutlich besser. Sie altern nicht mehr, und ein Mann hat die Gegend mit einem fliegenden A-Mobil inspiziert. Leider habe ich nicht genau verstanden,

wie. Jedenfalls hat sich herausgestellt, dass in den früher von Menschen bewohnten Siedlungen Vögel nisten. Diese Tauben sind inzwischen so klug, dass sie alles benutzen können, was früher die Menschen in Gebrauch hatten. Unser Entdecker setzt seine Flugreise fort, kommt auf eine Insel, auf der riesige Schildkröten leben, und findet heraus, dass sie sich per Stummer Rede verständigen. Rasch erfährt er, dass die Schildkröten viele Generationen zuvor erlebt haben, was auch die Menschen jüngst erlebten: Auch sie waren vom Aussterben bedroht und mussten sich ein neues Plätzchen zum Leben suchen. Die Schildkröten erzählen ihm, früher sei die ganze Welt von Mammutbäumen regiert worden und davor von Drachen. Weiter bin ich noch nicht gekommen. Jedenfalls ist das ein sehr seltsames Buch. Ich habe noch nie etwas Ähnliches gelesen.«

»Ich auch nicht, offen gesagt. Aber jetzt verrate mir bitte, wie ich zu deiner Wohnung komme.«

»Immer geradeaus. Ich sag Bescheid, wenn du abbiegen musst. Kannst du mir vielleicht noch andere Bücher aus deiner Welt besorgen? Sie scheinen ziemlich interessant zu sein - jedenfalls interessanter als deine DVDs.«