»Sag das besser nicht in Juffins Anwesenheit«, warnte ich ihn lächelnd. »Gut, ich versuche, etwas für dich zu besorgen, Schürf, aber ich kann dir nichts versprechen. Manchmal habe ich Glück, aber vielleicht ziehe ich demnächst ein Mathebuch für die zweite Grundschulklasse aus der Ritze zwischen den Welten. Doch wer weiß - womöglich gefällt dir sogar das. Ich probiere es auf alle Fälle, aber erst mal brauche ich etwas Zeit, um mich von meinem jüngsten Abenteuer zu erholen.«
»Danke, Max. Jetzt bitte links - mein Haus steht am Ufer des Churon. Seltsam, dass du mich noch nie besucht hast. Ich hätte dir längst meine Gastfreundschaft erweisen sollen.«
»Alle Wege führen zum Haus an der Brücke«, seufzte ich. »Das ist ja das Problem.«
Ich verabschiedete mich von Schürf und beschloss, direkt zu meiner Freundin zu fahren, um sie nicht länger warten zu lassen. Eigentlich hätte ich zu mir in die Straße der gelben Steine fahren und dort drei Tage und drei Nächte wie ein Toter schlafen sollen, doch stattdessen fuhr ich zu meiner Freundin Techi in die Straße der vergessenen Träume.
Als ich aber zu ihr kam, lag sie schlafend im Bett und hatte einen so strengen Gesichtsausdruck, dass ich sie nicht wecken wollte. Also legte ich mich neben sie und sank sofort in Tiefschlaf.
Für diese kühne Tat freilich musste ich büßen. Zwar nicht sofort, aber nach vielen Stunden erholsamen Schlafs.
»Ich frage mich schon die ganze Zeit, ob ich dich umbringen soll. Mein Schlafzimmer ist voller Sand. Hast du in der Nacht einen Sack davon verstreut?«
Techi zog mich an der Nase und hielt das offenbar für einen guten Witz. Ich sah das anders.
»Man darf mich nicht töten. Schließlich bin ich König! Was würde mein Harem ohne mich machen? Außerdem brauche ich dringend Schlaf. Ich hab gerade erst die Augen zugemacht.«
»Bist du dir sicher? Immerhin ist es schon Abend.«
Erschrocken sah ich mich um. Tatsächlich: Vor dem Fenster war es dunkel, und in der Ecke leuchtete eine Lampe.
"Ich hätte dich nicht geweckt, aber Sir Juffin hat sich per Stummer Rede bei mir gemeldet und mich gebeten, dich aus dem Schlaf zu reißen. Er hat gesagt, du solltest längst wieder im Büro sein.«
»Was ich nicht alles soll!«, brummte ich. »Ist denn etwas passiert?«
»Ich glaube nicht«, sagte Techi lächelnd. »Aber Kofa und dein Chef wollen sich einen Film ansehen, und irgendwer muss ja Dienst tun.«
»Verstehe«, seufzte ich. »Einen Film wollen die beiden sich ansehen. Das ist natürlich ein zwingender Grund, mich an tanzen zu lassen.«
Endlich schaffte ich es mal ins Badezimmer. Als ich in der Wanne lag, wurde mir bewusst, was für ein wunderbares Leben ich führte und wie sehr ich mich darauf freute, meinen Chef im Haus an der Brücke zu treffen. Besser, man begreift solche Dinge spät als nie.
Im Armstrong und Ella waren noch keine Gäste. Die Besucher hier kamen und gingen wie die Gezeiten, und an diesem Abend war offenbar Ebbe.
»Erzähl mir endlich, was du die ganze Zeit gemacht hast«, sagte Techi und stellte mir eine Tasse Kamra vor die Nase. »Irgendeinen Vorteil muss unsere Romanze schließlich für mich haben.«
»Na gut, aber wenn Juffin mich ruft, muss ich gehen. Ich hoffe ja, meine Geschichte ist spannender als der Auftritt der Athleten, den du dir gestern mit Lady Melamori angesehen hast. Es ist unglaublich viel passiert. Womit soll ich anfangen?«
»Mit deinem Harem natürlich«, antwortete Techi ein wenig verächtlich. »Gestern Abend war Melifaro hier und wollte mich nach Einzelheiten deines königlichen Liebeslebens aushorchen. Ich bin aus allen Wolken gefallen, kann ich dir sagen.«
Ich lächelte brav und berichtete von der Krönungsfeier und den seltsamen Drillingen, die ich geschenkt bekommen hatte. Techi hörte gespannt zu und hielt sich mit Kommentaren zurück. Das beunruhigte mich, denn normalerweise unterbrach sie mich oft.
»Seltsam«, sagte sie nach der Krönungsgeschichte. Ich griff derweil zu dem Gebäck, das sie mir hingestellt hatte.
»Seltsam, allerdings«, pflichtete ich ihr mit vollem Mund bei. »Ich habe das Gefühl, plötzlich Kopf einer großen Familie zu sein. Meine sogenannten Gemahlinnen sind sehr jung, und ich kann ihnen viel beibringen - zum Beispiel, wie man einen Lochimantel wickelt oder Besteck benutzt. All das habe ich kurz nach meiner Ankunft in Echo von Kimpa gelernt, Sir Juffins altem Diener. Ich könnte meine Ehefrauen allerdings auch vernachlässigen, aber das wäre nicht fair.«
»Ich kann dir ja bei ihrer Erziehung helfen. Sag mir nur, was du brauchst. Deine Gemahlinnen sind sicher lernfähig. Ihre Mutter, die legendäre Isnouri, ist im Vereinigten Königreich eine Berühmtheit. Ich habe schon einige Geschichten über sie gehört. Du hast Glück, dass ausgerechnet ihre Töchter in deine Obhut geraten sind.«
»Es ehrt mich, drei Ehefrauen zu haben, aber das Beispiel meiner Katzen zeigt, dass ich nicht gerade fürsorglich bin. Und drei junge Mädchen brauchen erheblich mehr Aufmerksamkeit als zwei Katzen.«
»Nur keine übereilten Schlussfolgerungen!«, rief Techi lachend. »Menschen oder Katzen ... du weißt doch gar nicht, wer diese Schwestern sind und was sie brauchen.«
Kaum hatte sie sich beruhigt, wies sie mir entschieden die Tür.
»Fahr endlich ins Haus an der Brücke, damit dein verärgerter Chef nicht herkommt. Gegen Ende der Traurigen Zeit hat er versucht, mich umzubringen, und davon selbst dann nicht abgelassen, als Nuflin Moni Mach ihn dazu mahnte. Wenn er dich hier antrifft, könnte es für mich wieder gefährlich werden.«
»Wenn Juffin drei Abende hintereinander keinen Film zu sehen bekommt, kann er wirklich gefährlich sein«, seufzte ich. »Aber auch ich brauche mitunter ein wenig Privatleben.«
»Mit deinem Privatleben beschäftige ich mich jetzt. Ich fahre zu deiner Residenz und sehe mich dort ein wenig um. Ich habe schon immer davon geträumt, einen Diener zu haben, und dort gibt es gleich zwölf. Aber melde dich bitte per Stummer Rede in deiner Residenz und sag Bescheid, wer ich bin.«
»Das klingt fantastisch!«, rief ich erfreut. »Ich glaube, meine Untertanen hätten dich auf den Thron setzen sollen.«
»Abgemacht! Ich bin als Nächste dran.«
»Na endlich«, sagte Juffin und fiel mir beinahe um den Hals. »Wir warten schon seit mindestens drei Stunden auf dich. Was hast du bloß die ganze Zeit gemacht?«
»Stellen Sie sich vor, ich war beschäftigt«, erklärte ich würdevoll.
»Mit all deinen Frauen, was? Du warst in deinem Harem - gib's zu!«, hörte ich Melifaro hinter meinem Rücken, hob aber nicht einmal die Brauen, sondern setzte mich, gähnte demonstrativ und zog ein möglichst gelangweiltes Gesicht.
»Ich war mit meinen Frauen, den Frauen meiner Minister und Diener und mit allen Frauen, die mir über den Weg gelaufen sind, des Langen und Breiten beschäftigt«, bestätigte ich und zwinkerte Juffin zu. »Leider aber habe ich etwas zu oft erwähnt, dass ich zu Hause noch eine Freundin habe - da war die Sache gegessen.«
Doch mein Chef war unerbittlich. »Du hast doch wohl nicht auf ein paar Sorgenfreie Tage spekuliert? Ich jedenfalls habe letzte Nacht, wie du weißt, vorbildlich durchgearbeitet. «
»Sie sind eben von ganz anderem Kaliber. Für Sie ist so was eine Kleinigkeit«, sagte ich und warf Melifaro, der unserem Gespräch verwirrt folgte, einen diskreten Blick zu.
»Gut, Leute, ich gehe jetzt«, sagte mein Chef von der Tür her. »Ich habe Wichtigeres zu tun, als mir die bohrenden Fragen dieses Opfers der Einsamkeit anzuhören«, fügte er hinzu und konnte damit nur Melifaro meinen. »Und du, lieber Max, denkst bitte daran, dass ich dich in den rosaroten Panther verwandle, wenn du es wagen solltest, mich bei meinem DVD-Abend zu unterbrechen.«
»Wieso ausgerechnet in den rosaroten Panther?«
»Nicht auf alle Fragen muss es eine Erklärung geben«, sagte Juffin und verschwand.
Melifaro und ich blieben allein zurück. Mein Kollege sah mich so neugierig an, dass er mir kaum mehr wie ein Mensch, eher wie ein großes Fragezeichen vorkam.