Выбрать главу

Ich fühlte mich langsam besser. Mit jedem Schluck verringerte sich das lähmende Gefühl, der alte Max zu sein.

Ich war wieder der heutige Max: stolzer Träger des Todesmantels, ausgebuffter Zauberer des Kleinen Geheimen Suchtrupps und erfahrener Reisender in andere Welten. Der verrückte, unglücklich verliebte Max, der ich vor zwei Jahren gewesen war, verschwand, und das war gut.

Ich freute mich so über das Verschwinden des alten Max, dass Drupi sehr viele Streicheleinheiten bekam. Zufrieden schüttelte er den Kopf und schlackerte mit den großen Ohren. Offenbar wusste er nicht, dass man bei solchen Anlässen auch mit dem Schwanz wedeln konnte.

»Mir geht es wieder gut«, sagte ich lächelnd zu Melamori. »Das war ein kurzer Rückfall, aber er ist schon überstanden. Stehen mir diese unfassbar glücklich glänzenden Augen? Welche Farbe haben sie eigentlich? Blau vielleicht?«

Melamori nahm meine Frage ernst und sah mir einige Zeit tief in die Augen.

»Jetzt sind sie gelb wie die von Kurusch - nur etwas dunkler.«

»Das ist mir neu. Du übrigens hast als Erste bemerkt, dass meine Augen ständig die Farbe wechseln. Und du hast sie als Erste in Bann geschlagen.«

»Daran erinnere ich mich gut. Ich habe viele Vermutungen, wer du eigentlich bist. Ich schäme mich fast, es zu sagen, aber ich habe sogar mal gedacht, in dir habe sich ein altes Versprechen von Lojso Pondochwa erfüllt, wonach er aus der Hölle auferstehen und wieder unter den Lebenden wandeln werde. Damit ist nicht zu spaßen, denn ich bin mit vielen Geschichten über die Auferstehung alter Magister aufgewachsen. In der Bibliothek meiner Eltern gab es jede Menge Bücher zu diesem Thema. Eigentlich hättest du mir gleich sagen sollen, dass du aus einer anderen Welt gekommen bist. Dann wäre die Sache klar gewesen.«

»Wohl kaum«, entgegnete ich leichthin. »Dass ich aus einer anderen Welt gekommen bin, sagst du jetzt. Früher warst du nicht so tapfer - damals, als Juffin mir noch nicht erlaubt hatte, die ganze Wahrheit zu sagen, und ich mich immer wieder fragte, warum er so ein Geheimnis daraus machte.«

»Das sollte eine Art Prüfung sein«, seufzte Melamori. »Nicht für dich natürlich, sondern für uns. Wir Mitarbeiter des Kleinen Geheimen Suchtrupps sollten dieses Rätsel selber lösen. Ich habe dafür offenbar am längsten gebraucht und weiß auch, warum: Persönliche Interessen schaden in solchen Dingen immer. Kofa und Schürf haben dich rasch durchschaut, während Lukfi Penz noch immer völlig ahnungslos ist, doch alles andere wäre auch erstaunlich.«

»Du warst immerhin schneller als Melifaro - als ob das kein Erfolg wäre!«

»Du machst wohl Witze?«, fragte sie erstaunt. »Melifaro wusste seit eurem ersten Treffen Bescheid. Er musste dich nur einmal ansehen, um zu durchschauen, was es mit dir auf sich hat. Das ist typisch für ihn, doch er zeigt sein Wissen nur ungern. Das hätte dir wirklich auffallen können.«

»Offenbar gehören wir zwei zu den langsamen Rätsellösern. Der Titel des dümmsten Mitarbeiters des Kleinen Geheimen Suchtrupps gebührt allerdings mir, denn ich dachte die ganze Zeit, Melifaro glaube als Einziger an die Legende von den Leeren Ländern.«

»Vielleicht stimmt das sogar, denn er macht sich so oft über dich lustig, dass er manchmal nicht weiß, welche die echte Version deiner Biografie ist.«

Ich wedelte mit der Linken, in deren Handfläche mein so genannter Wirklicher Name in unsichtbaren Buchstaben stand, vor Melamoris Nase herum. »Statt dieses Unsinns hier sollte ich besser den Hinweis mit mir herumtragen, die Menschen seien nicht unbedingt die, als die sie erscheinen. Und ich sollte mir diesen Hinweis jeden Morgen einprägen. Eines schönen Tages kann ich die Weisheit dieses Satzes dann vielleicht im Alltag anwenden. Das wird mich überwältigen.«

»Was redest du da bloß? Wäre es wirklich so einfach, dich zu überwältigen, würden wir in einer glücklichen Welt leben«, sagte Melamori seufzend. »Außerdem berge ich für dich keine Überraschungen. Ich bin so, wie ich erscheine. Vielleicht ein bisschen dümmer und ängstlicher.«

»Woher kommt diese Selbstkritik, Lady?«

»Ich weiß es nicht. In letzter Zeit habe ich ein recht gespaltenes Verhältnis zu mir. Ich habe nicht mal die Kraft, an die Konsequenzen meiner Dummheit oder Schwäche zu denken.«

»Bereust du etwa, nicht mit Alotho nach Arwaroch gegangen zu sein?«, fragte ich, denn mir war klar, woher der Wind wehte. »Tröste dich: Bald kannst du das wiedergutmachen, denn nächstes Jahr kommt Alotho frei.«

»Sogar früher«, entgegnete Melamori finster. »Ich konnte Kamschi nämlich einreden, Alothos in zwei Reihen auf ihren Herrn wartende Untertanen würden das Stadtbild wunderbar beleben. Dieses Argument allein wäre zwar zu schwach gewesen, doch zum Glück weiß ich, dass der verbissene Karrierist Kamschi einen kleinen Verstoß gegen die Dienstordnung auf dem Kerbholz hat. Ja, Max, ich habe sogar einen städtischen Beamten erpresst, und ich bin froh darüber. Ich bin eine recht geschickte Intrigantin. Meine Familie aus dem Orden des Siebenzackigen Blattes kann stolz auf mich sein. Natürlich habe ich auch Alotho diese Nachricht zukommen lassen, und sie hat ihn sehr glücklich gemacht. Ohne mich würde es diesem schönen Mann nicht gerade gut gehen, und vom Grässlichen Mudlach träumt er jede Nacht. Ein Schiff mit seinen Soldaten ist bereits hierher unterwegs. Zu Frühlingsanfang, also in einem Monat, wird es Echo voraussichtlich erreichen. Was kann diesen groß gewachsenen Seeleuten schon geschehen?«, sagte Melamori mit so maliziösem wie angespanntem Lächeln.

Ich wollte meinen Ohren nicht trauen. »Jetzt verstehe ich gar nicht mehr, warum du jeden Tag so finster dreinschaust.«

Die ganze Zeit war ich fest davon überzeugt gewesen, die Trennung von Alotho habe Melamori in ihre Schwermut gestürzt. Nun aber zeigte sich, dass sie schon lange von dem bald bevorstehenden Wiedersehen wusste. Was war nur los mit ihr?

Melamori schlug mit der Faust auf den Tisch, und ich beobachtete fasziniert, wie unsere Gläser zitterten.

»Du meinst, du verstehst alles«, sagte sie wütend. Plötzlich änderte sich ihre Stimme, und sie fuhr traurig fort: »Nein, Max, du verstehst gar nichts. Verzeih, dass ich mich so habe gehen lassen. Mit Alotho und mir, das wird nicht klappen - genauso wenig wie damals mit dir. Ich werde wieder ein riesiges Durcheinander anrichten und mir irgendwann sagen, ich sollte mich mit dem zufriedengeben, was ich habe, statt nach etwas Besserem zu suchen. Meine Eltern wären sicher stolz, wenn sie erführen, wie großartig sie mich erzogen haben. Früher hielt ich mich für die tapferste, unabhängigste und tollste Frau weit und breit. Aber das denke ich nicht mehr. Das Gerede meiner Mutter und ihr Lieblingssatz Eine Lady darf sich nicht allein an unbekannten Orten aufhalten - all das hat für mich keine Bedeutung mehr, wenn ich ans Ausgehen denke. Aber ich habe diesen Satz ständig im Ohr, wenn ich überlege, alles hinzuwerfen und nach Arwaroch auszuwandern. Kaum stelle ich mir vor, am anderen Ende des Meeres das Schiff zu verlassen, höre ich den vertrauten Satz Eine Lady darf sich nicht allein an unbekannten Orten aufhalten.«

»Das verstehe ich gut«, sagte ich und nickte mitfühlend. »Ich hätte sicher nicht den Mut, dorthin auszuwandern. Man muss ein Held sein, um all die pompösen Riten auszuhalten.«

»Du hättest nicht den Mut?«, fragte Melamori erstaunt. »Du hast sogar die Welten gewechselt, um hierherzukommen!«

»Ob du es glaubst oder nicht: Das war sehr leicht. Ich hatte wirklich Glück, denn dort, woher ich stamme, hatte ich nichts zu verlieren, gar nichts. Meine Lage dort war ziemlich schlimm, aber ideal für jemanden, der in eine andere Welt will. Du aber hast hier etwas zu verlieren. Deshalb verstehe ich deine Unentschiedenheit sehr gut.«

»Natürlich habe ich hier etwas zu verlieren«, pflichtete sie mir bei, überlegte kurz und schüttelte den Kopf. »Aber das war nur eine Illusion, Max. Selbstverständlich mag ich Echo und meine Arbeit, und ich kenne hier viele Leute, mit denen ich gern zu tun habe. Aber eigentlich spielt das keine Rolle. Als ich mich damals weigerte, mit Alotho nach Arwaroch zu gehen, ging es mir nicht so sehr um all das, was ich hier hätte aufgeben müssen: Die Vorsicht hieß mich abwarten - die panische Angst vor dem Unbekannten.«