»So eine bodenlose königliche Frechheit!«, rief Melifaro entzückt. »Welche Missachtung der Lebensgewohnheiten einfacher Bürger höre ich da heraus! Will unser kleiner König jetzt sogar meinen Eltern seine inhumanen Herrschermethoden zeigen? Ein großer Regent bist du, großer König von Fangachra!«
»Hör auf mit dem Unsinn. Ich habe Besseres zu tun, als mich mit dir per Stummer Rede herumzuzanken. Wenn du so weitermachst, schwillt mir der Kamm, und meine Krone passt nicht mehr. Komm lieber zu Techi. Ich fahre dich dann in dein Elternhaus, und morgen früh gehst du wie üblich wieder ins Haus an der Brücke. Und denk daran: Für all meine Mühen knöpfe ich dir nicht eine Krone ab. Wer würde dir ein besseres Angebot machen?«
»Da kann ich wirklich nicht Nein sagen«, pflichtete Melifaro mir bei. »Aber gib doch zu, dass es dir nur darum geht, eine Nacht im Schlafzimmer meines legendären Großvaters zu verbringen. Gut, ich komme zu Techi. Du ahnst ja nicht, wie teuer dich all meine Freundschaftsdienste kommen werden.«
»Ende«, murmelte ich. »Wenn du nicht binnen einer halben Stunde dort auftauchst, wirst du es bereuen.«
Es war höchste Zeit, unsere stumme Unterhaltung abzubrechen, denn gerade betrat ich das Armstrong und Ella.
»Max, das kann doch nicht wahr sein! Du hättest nass und unglücklich hier auftauchen sollen, bist aber trocken und strahlst - wenn das nicht verdächtig ist!«
Techi versuchte, ein ernstes Gesicht zu machen, doch wenn jemand in diesem Gasthaus strahlte, dann sie.
»Warum staunst du? Ich bin schließlich ein mächtiger Zauberer. Ich kann violette Magie bis zum 3872. Grad anwenden, und in solchen Höhen wird jeder durchnässte und schlecht gelaunte Mensch im Handumdrehen trocken und glücklich.«
»Und warum ausgerechnet violette Magie?«, fragte Techi.
»Keine Ahnung. Vielleicht, weil mir die Farbe gefällt. Man soll sich nicht sein Leben lang auf weiße und schwarze Magie beschränken - das ist sehr konservativ.«
»Sir Schürf war heute hier«, sagte Techi. »Ich habe ihm erzählt, dass du mit deinem Boot auf dem Churon unterwegs bist. Er hat das wohl für einen Scherz gehalten und zu lächeln versucht - fast wäre ihm das sogar gelungen.«
»Da hattest du Glück, denn so was kommt selten vor. In letzter Zeit allerdings hat Lonely-Lokley sich etwas geändert. Auch in meiner Gesellschaft hat er schon lächeln wollen. Ich habe ihn bereits getroffen. Außerdem habe ich geschafft zu duschen, mich umzuziehen, zu frühstücken, mich zu erkälten und wieder zu gesunden und so verrückt zu sein, Melifaro einen abendlichen Besuch bei seinen Eltern vorzuschlagen. Und das Beste daran: Er hat eingewilligt. Findest du nicht, dass ich ein ereignisreiches Leben führe?«
»Und wie!«, seufzte Techi begeistert. »Hast du wirklich vor, mit Melifaro zu verreisen?«
»Durchaus. Und du solltest dich nicht so unverblümt darüber freuen, dass ich weg bin. Bisher hatte ich nämlich geglaubt, meine Abwesenheit mache dich unglücklich.«
»Na ja, wenn du bleiben würdest, müsste ich dir wieder erklären, dass ich bei diesem Wetter keine große Lust habe, in der Stadt spazieren zu gehen. Außerdem hat Juffin mir heute gesagt, er habe in deiner Sammlung einen sehr interessanten Film gefunden.« Techi senkte schuldbewusst den Kopf. »Er hat mir versichert, er werde mir sehr gefallen, obwohl es darin ziemlich viele unanständige Szenen gebe.«
»Und wie heißt der Film?«, fragte ich interessiert.
Ich wollte wissen, was mein bösartiger Chef meiner Freundin empfahl. Bei ihm musste man mit allem rechnen.
»Er hat einen seltsamen Titeclass="underline" Der zögernde Läufer.«
Beinahe hätte ich mich mit heißer Kamra bekleckert, denn eine so seltsame Interpretation des Titels Der Lauf auf der Rasierklinge hatte ich noch nie gehört.
»Juffin hat Recht - dieser Film gefällt wirklich nicht jedem«, pflichtete ich ihr bei. »Aber ich habe nichts dagegen, mir den Film mit dir anzusehen.«
Ich hatte nicht mitbekommen, wann der heimtückische Melifaro hinter meinem Rücken erschienen war. Immerhin war er überraschend pünktlich - für seine Verhältnisse jedenfalls.
»Du bist ein seltsamer Kerl«, sagte er und begann wieder mit seiner alten Leier. »Du willst mich mitten in der Nacht irgendwohin schleppen - und das gerade an dem Abend, an dem ich mir mit deiner Freundin einen Film auf DVD ansehen möchte. Stimmt's, Techi?«
»Du hast Recht. Wir wollten uns den Film ansehen, und nebenbei sollte Juffin zu Gruselzwecken die Eckzähne blecken. Das hat er bestimmt aus einem Film. Ich jedenfalls war tief erschrocken, als er das erste Mal einen Vampir gespielt hat.«
»Ach, er will dich nur ärgern«, meinte Melifaro. »Aber die Lage ist kritisch, denn wenn Sir Juffin dabei ist, können wir uns nicht küssen. Er ist ein schlechter Mensch, doch im Vergleich zum künftigen König von Fangachra ist er beinahe ein Engel«, sagte er und verbeugte sich übertrieben tief vor mir.
Nachdem die beiden mit mir und Juffin Halli fertig waren, redeten sie über andere Bekannte. Man konnte den Eindruck gewinnen, in Echo wohnten vor allem böse und grausame Menschen und nur Melifaro sei ein wahrer Engel. Techi natürlich auch, denn sie war schließlich die Tochter von Lojso Pondochwa. Na ja, bei diesem Gedanken war Vorsicht geboten.
»Es reicht, lass uns gehen«, sagte ich nach einer halben Stunde, als ich merkte, dass die beiden unendlich hätten weiterplaudern können. »Techi, wie ich dich verstanden habe, bist du heute Abend bereits verabredet. Also lohnt es sich nicht, vor dir auf die Knie zu fallen und dich mit Tränen in den Augen anzuflehen, deine Pläne zu ändern, denn du würdest uns sowieso nicht begleiten.«
»Dass dir meinetwegen Tränen in die Augen treten könnten, klingt sehr schmeichelhaft«, sagte Techi lächelnd. »Trotzdem müssen wir unseren gemeinsamen Abend verschieben. Aber wenn du bis übermorgen nicht zurück bist, mache ich mir sicher Sorgen. Sei also bitte so lieb und halte mich auf dem Laufenden.«
»Keine Angst«, meinte ich. »Morgen früh muss ich meinen bezaubernden Begleiter wieder hier abliefern. Also benimm dich anständig, denn deine Freiheit ist nur von kurzer Dauer.«
»In Ordnung«, sagte Techi und umarmte mich zum Abschied. »Ich werde mich damit begnügen, ein paar wildfremde Männer abzuschleppen. Hoffentlich bist auch du damit zufrieden.«
»Aber ja!«
»Sündige Magister - wie wenig manche Leute doch brauchen, um glücklich zu sein«, mischte sich Melifaro ein.
»Tja, ich war schon immer ein Asket«, stellte ich fest.
Die Fahrt zu Melifaros Elternhaus verlief sehr angenehm. Fast hätte ich den Zweck des Ausflugs vergessen und war schon drauf und dran, Melifaro zu fragen, warum er mich eingeladen habe, konnte mich aber noch rechtzeitig bremsen.
Im geräumigen Wohnzimmer der Melifaros sahen wir uns einer Idylle gegenüber. Der zufrieden wirkende Sir Manga saß bequem in einem Sessel, und seine wunderbare Gemahlin flocht ihm den roten Zopf. Als wir eintraten, hatte sie noch ziemlich viel Arbeit vor sich.
»Sündige Magister, was für eine Überraschung!«, rief Lady Melifaro.
»Das ist keine Überraschung - das sind unser Sohn und Sir Max«, bemerkte Sir Manga phlegmatisch. »Die beiden werden noch viel Entsetzlicheres sehen müssen als uns zwei - lass dich also nicht ablenken.«
»Du hättest diese undankbare Arbeit wirklich jemand anderen erledigen lassen sollen«, bemerkte seine Gattin. »Ich jedenfalls hätte jetzt gern die Hände frei, statt mich mit deiner Mähne zu quälen.«
»Verehrteste, du hattest hundertfünfzig Jahre Zeit, dir für meine Haare eine andere Lösung einfallen zu lassen. Jetzt musst du die Suppe auslöffeln, die du dir eingebrockt hast. Jungs, habt ihr etwas dagegen, dass wir uns die Umarmungen sparen?«
»Wenn du dich mit ausgestreckten Armen auf mich stürzen würdest, würde ich schreiend fliehen und dich in die nächste Heilanstalt einliefern lassen«, sagte Melifaro.