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»Du langweilst dich wohl?«, fragte sein Vater. »Iss am besten etwas, damit wir Ruhe vor dir haben. Außerdem ist es mir vor Sir Max ziemlich peinlich, wie du dich aufführst.«

»Das verstehe ich«, sagte ich und wies mit dem Finger auf meinen Kollegen. »Wenn ich Ihren Sprössling sehe, staune ich immer wieder, dass Sie einen so missratenen Sohn haben.«

»Ich war lange auf Reisen. Mit solchen Fragen wenden Sie sich bitte an meine wunderbare Frau«, erklärte Sir Manga und sah sie vorwurfsvoll an. »Was sagst du dazu, meine Liebe?«

»Mama, nimm diesen bösen Menschen nicht ernst!«, rief Melifaro. »Du hast einen prächtigen Sohn. Ich jedenfalls bin sehr mit mir zufrieden.«

»Wie schön, dass wenigstens einer zufrieden ist«, sagte Lady Melifaro schwermütig. »Aber der Vorschlag deines Vaters war sehr gut, mein Junge. Also nimm dir was zu essen.«

»Wie sieht es eigentlich mit meinen Haaren aus?«, fragte Sir Manga.

»Wenn ich endlich fertig bin, wirst du mein erleichtertes Seufzen besser verstehen.«

Ich genoss die Unterhaltungen im Hause Melifaro. Je mehr Familienmitglieder sich daran beteiligten, desto vergnüglicher wurden sie.

»Wo treibt sich mein Bruder Bachba überhaupt herum?«, fragte der jüngste Sohn des Hauses und setzte sich zu Tisch.

»Das mögen die Magister wissen«, gab Sir Manga achselzuckend zurück. »Heute Morgen hat er von einer Reise nach Landland gesprochen, um auf dem Jahrmarkt in Numban etwas für den Haushalt zu kaufen. Genaueres weiß ich nicht.«

Ich versuchte mir vorzustellen, wie der hünenhafte Bachba eine Kleinigkeit für den Haushalt erstand, und konnte das Lachen kaum unterdrücken. Man sollte eine Serie mit dem Titel Die Melifaios drehen und sie rund um die Uhr ausstrahlen. Schade, dass keiner der vielen mächtigen Magister, die Echo seit Gründung des Vereinigten Königreichs besucht hatten, auf die Idee gekommen war, das Fernsehen zu erfinden.

An diesem Abend machte mein unerschütterlicher Kollege als Erster schlapp, murmelte etwas über den Dienst, den er am nächsten Morgen anzutreten habe, und ging schlafen.

»Erstaunlich - noch vor hundert Jahren hat der Kleine geschworen, nie schlafen zu gehen, wenn er erst erwachsen sei«, machte seine Mutter sich über ihn lustig.

»Da hat er wohl einen Meineid geleistet«, sagte ich.

»In unserer Familie machen das alle«, stellte Sir Manga stolz fest. »Aber ich muss sagen, dass sein Bruder Antschifa der Gipfel meiner erzieherischen Leistungen ist. Er ist der erste echte Pirat in unserer Familie, und das will etwas heißen.«

»Antschifa ist mal wieder unterwegs, oder?«, fragte ich.

»Natürlich. Er bleibt nie länger als eine Woche bei uns.«

»Der hat's gut«, meinte ich verträumt. »Vielleicht sollte auch ich alles hinschmeißen und den Beruf wechseln.«

»Das würde ich Ihnen nicht empfehlen. Das Leben auf See ist nicht leicht. Das Schiff ist ein einfacher ukumbrischer Segler, auf dem man keine Magie anwenden darf und auf dem alle viel zu tun haben, selbst der Kapitän. Es gibt sogar Gerüchte, wonach die Passagiere mit anpacken müssen. Aber mein Sohn will von anderen Berufen ganz und gar nichts wissen, sondern trotzt unserer Familientradition. Außerdem besagt eine ukumbrische Tradition, nur wer mindestens sechzig Jahre auf einer Schika verbringe, sei ein echter Kapitän.«

»Ich vermute, die Schika ist ein besonderer Schiffstyp?«, erkundigte ich mich vorsichtig.

»Es ist das schnellste und wendigste Schiff überhaupt und eignet sich nicht für Lustpartien. Einmal bin sogar ich auf so einem Schiff gelandet, habe es von der ersten Sekunde an verflucht und war heilfroh, als ich endlich auf ein weniger schnelles Boot umsteigen konnte. Wäre ich auf der Schika geblieben - wer weiß, ob die Welt sich nicht mit vier Bänden meiner Enzyklopädie hätte zufriedengeben müssen.«

»Verstehe. Also werde ich dort wohl doch nicht anheuern«, sagte ich. »Danke, dass Sie mich gewarnt haben. Jetzt gehe ich besser schlafen - das ist die bequemste und beste Methode des Reisens.«

»Was das Bett meines wunderbaren Vaters Philo angeht, bin ich ganz Ihrer Meinung. Für andere Betten kann ich allerdings keine Garantie übernehmen. Finden Sie den Weg dorthin, oder soll ich Sie begleiten?«

»Glauben Sie, ich könnte mich im Labyrinth Ihres Hauses zurechtfinden? Sir Manga, Sie schmeicheln mir.«

»Und Sie übertreiben - wie immer«, erklärte der große Enzyklopädist und gähnte herzhaft. »Na schön, gehen wir, damit Sie sofort die richtige Tür finden.«

Wir irrten einige Zeit durch die Flure des riesigen Hauses. Sir Manga setzte ab und an eine erschrockene Kindermiene auf, und ich versuchte, es ihm gleichzutun.

Schließlich blieb ich allein in dem kleinen dunklen Zimmer, das ich so mochte. Ich hatte das Gefühl, Philo Melifaro - der berühmte Großvater meines Kollegen und einer der mächtigsten Magister des Ordens vom geheimen Kraut - habe ausgerechnet an mich gedacht, als er dieses Zimmer einrichtete. Er musste schon damals gewusst haben, dass er es nicht nur seiner Familie hinterlassen würde. So ein mächtiger Zauberer konnte seine Zukunft bestimmt erahnen und wissen, dass beispielsweise ich eines Tages in seinen Träumen auftauchen würde.

Aber all das hatte jetzt keine Bedeutung, sondern war nur einer dieser Gedanken, die man kurz vor dem Einschlafen hat, wenn man die Balken an der Decke beobachtet.

Diesmal wechselte ich so schnell von der Wirklichkeit in den Traum, dass ich meinen Weg mit kleinen weißen Steinen hätte kennzeichnen sollen, wie Hänsel und Gretel es taten.

Zuerst glitt ich durch verschiedene angenehme Träume, ohne zu wissen, wie ich in sie hineingeraten war und was ich eigentlich darin trieb. Schließlich landete ich an einem leeren Strand - dem eigentlichen Ziel meiner Reise - und versuchte, mir meine Situation zu vergegenwärtigen. Das war zwar nicht einfach, gelang mir aber manchmal bei Träumen, die sich seit meiner Kindheit wiederholten.

Ich kam langsam zu mir und versuchte, mir wie ein schwer Betrunkener ins Gedächtnis zu rufen, was ich getan hatte. Ich erinnerte mich an den Abend mit Familie Melifaro, an unsere Fahrt aus der Stadt aufs Land hinaus, an das Treffen mit Techi im Armstrong und Ella und an das wichtige Gespräch mit Sir Schürf. Dann sah ich genauer hin und bemerkte die Spuren im Sand. Hier war jemand mit Schuhen aus Uguland unterwegs gewesen. Ich wusste auf Anhieb, dass diese Spuren von Lonely-Lokleys Schuhen stammten. Das sagte mir eines meiner beiden Herzen, und ich vertraute ihm blind. Etwas Ähnliches war mir mit meinen Kollegen schon mehrmals passiert. Zwischen uns war eine tiefe Verbindung entstanden, die ich nicht näher beschreiben konnte. Kurz bevor ein Mitglied des Geheimen Suchtrupps auftauchte, hatte ich eine Art Duft in der Nase, der mir verriet, mit welchem meiner Kollegen ich zu rechnen hatte. Ähnlich war es, wenn ich einen Raum betrat, in dem sich noch vor kurzem jemand vom Suchtrupp aufgehalten hatte. Mit meinen Kollegen ergeht es mir wie einem Hund mit seinem Herrchen oder Frauchen, überlegte ich - nur dass ich sie eigentlich nicht rieche, sondern sie eher mit einer Art sechstem Sinn spüre.

Aber ich hatte keine Zeit, über solche Spitzfindigkeiten nachzudenken, denn ich hatte gerade eine wichtige Information bekommen und erfahren, dass ich im Traum die Spuren eines Menschen erblickte, der den gleichen Traum hatte wie ich. Es sah jetzt so aus, als würden wir beide am Meeresstrand durch den nassen Sand spazieren.

Ich wünschte mir aufzuwachen, denn das Ganze wurde mir langsam zu viel.

»Sei still!«, ermahnte ich mich. »Schließlich bist du genau deshalb hergekommen. Deine hysterischen Anfälle kannst du dir für später sparen.« Die seltsame Gewohnheit, mit mir selbst zu reden, erwies sich in diesem Fall als nützlich, denn ich beruhigte mich und wusste, dass ich tapfer bleiben würde. Große Auftritte konnte ich mir für ein Gespräch mit meinem Chef aufheben, denn der hatte dafür sicher manche Erklärung.

Ich sammelte meine Kräfte, um weiterzuträumen, spazierte noch einige Zeit am leeren Strand entlang und suchte nach dem seltsamen Unbekannten, von dem Sir Schürf gesprochen hatte. Aber ich fand niemanden, sondern wurde so müde, dass mich jeder Schritt enorm anstrengte.