Выбрать главу

»Das war nur so ein Gedanke. Schließlich hast du ein Recht auf Privatsphäre. Und weil ich die verletzen muss, bitte ich dich wenigstens darum, mir diesen Eingriff zu erlauben.«

Schürf sah mich aufmerksam an. In seinen blauen Augen, die sonst eine enorme Ruhe ausstrahlten, funkelte eine Wut, die mir den Atem stocken ließ.

»Ich bin kein gewöhnlicher Mensch! Ich bin der Schnitter des Lebensfadens! Der Tod im königlichen Dienst, wie du gern sagst! Und darum habe ich kein Recht auf Privatsphäre. Dieses Recht nämlich würde meinen Arbeitgeber - einen Geheimdienst immerhin! - teuer zu stehen kommen.«

Mein Freund sah zu Boden und fuhr nach kurzer Pause sehr viel beherrschter fort: »Ich sage dir das, weil du in der gleichen Lage bist wie ich. Wir dürfen keine Privatsphäre haben. Das ist keine Tragödie, sondern gehört zu unserem Berufsbild. Das wird sich irgendwann ändern, doch bis dahin müssen wir uns an die Regeln der Agententätigkeit halten, die im Kleinen Geheimen Suchtrupp gelten. Natürlich darfst du Sir Juffin unsere Geschichte erzählen.«

»Was ist los, Schürf? Ist dir das Gespräch unangenehm? Ich höre dich zum ersten Mal solche Dinge sagen. Selbst der Verrückte Fischer, als den ich dich in Kettari kennen gelernt habe, hat keine so erschreckenden Reden geschwungen.«

»Irgendwas ist passiert«, meinte Lonely-Lokley und nickte gedankenverloren. »Und je schneller wir herausfinden, was, desto besser. Dieses Gespräch ist mir tatsächlich unangenehm, weil etwas in mir nicht will, dass du mit Sir Juffin sprichst. Eigentlich habe ich also nicht dich angefaucht, sondern mich. Es wäre mir sehr unangenehm, wenn ich dich beleidigt hätte.«

»Sündige Magister! So leicht bin ich nicht beleidigt. Du hast mich nur beunruhigt, Schürf. Aber das hat einen Vorteiclass="underline" Ich werde jetzt alles unternehmen, um diese Sache so schnell wie möglich aufzuklären.«

»Gut. Ich habe das Gefühl, auf deine Hilfe angewiesen zu sein. Das ist neu für mich und nicht besonders angenehm, aber vermutlich geht es nicht anders.«

»Man soll sich nicht scheuen, neue Erfahrungen zu machen - das hast du selber gesagt«, meinte ich lächelnd. »Und jetzt lass uns noch ein Glas vom Blut unschuldiger Kinder trinken, ehe wir uns auf den Weg machen. Du wirst bestimmt zu Hause erwartet, und ich werde versuchen, das Leben meines Chefs um Berichte aus der Welt meiner Träume zu bereichern.«

»Von welchem Blut und welchen unschuldigen Kindern redest du da eigentlich? Davon steht gar nichts in der Karte. Ist das etwa eine Spezialität des Hauses?«

»Nein«, sagte ich lächelnd. »Aber jedes Mal, wenn wir zusammen essen gehen, erinnern mich unsere Getränke irgendwie an das Blut unschuldiger Kinder. Dich etwa nicht?«

»Entschuldige, aber das finde ich nicht witzig«, sagte der staunenswerte Lonely-Lokley streng.

»Da bist du nicht der Einzige«, pflichtete ich ihm bei. »Das war eher ein Witz nach dem Geschmack von Sir Melifaro. Der treibt sich übrigens in der Weltgeschichte herum, statt seinen Aufgaben als Tagesantlitz unseres Ehrwürdigen Leiters nachzukommen und sich um meine Probleme zu kümmern.«

Ich bestellte noch eine Tasse Kamra, die in diesem Lokal leider nicht überwältigend war. Immerhin konnte ich mich damit trösten, dass es sich wohl nicht um die letzte Kamra meines Lebens handelte. Schürf starrte einen Moment ins Leere und bestellte dann ein Glas Rotwein.

»Warum gibst du den Wein nicht in deine löchrige Tasse?«, fragte ich etwas enttäuscht, als Schürf sein Glas hob. »Dann würde ich nämlich gern ein Schlückchen von dir nehmen.«

»Im Moment habe ich eigentlich nicht das Bedürfnis, auf die Kraft meiner löchrigen Tasse zurückzugreifen. Der heutige Tag war nicht sehr anstrengend. Außerdem merke ich, wie sehr mich deine Überzeugung beunruhigt, dass der Strand tatsächlich existiert.«

»Das würde mich vermutlich auch beunruhigen. Aber ich habe mich mit meiner Entdeckung abgefunden und versucht, mich mit etwas anderem zu beschäftigen. Weißt du, das ist ein Trick von mir: Wenn ich die Kontrolle über eine Situation verliere, beschäftige ich mich mit etwas anderem. Das setzt erstaunliche Kräfte frei, doch es ist wichtig, sich voll auf diese neue Sache zu konzentrieren. Du musst eine Beschäftigung finden, egal welche - Hauptsache, sie lenkt dich von deinem unlösbaren Problem ab. Denn wenn du dich mit etwas beschäftigst, das zu schwer für dich ist, löst sich deine Welt in Einzelteile auf.«

»Das ist eine der seltsamsten Theorien, die ich je gehört habe«, sagte Lonely-Lokley so skeptisch wie fasziniert. »Und ich glaube, dieser seltsame Rat nützt niemandem außer dir.«

»Da hast du Recht«, sagte ich lächelnd. »Aber auch ich kann mitunter einen guten Rat gebrauchen. Und jetzt gib mir endlich deine Tasse. Irgendwie spüre ich, dass ich aus diesem seltsamen Gefäß trinken sollte.«

»Wirklich?«, fragte Schürf und schüttelte erstaunt den Kopf. »Du führst dich langsam auf wie die ehemaligen Magister unseres Ordens. Warum besorgst du dir eigentlich nicht selber eine löchrige Tasse?«

»Wieso denn? Ich kenne eure Rituale doch gar nicht.«

»Du hast wirklich seltsame Vorstellungen von Magie«, sagte Schürf erstaunt. »Welche Rituale denn? Entweder hat man die Kraft, eine Flüssigkeit in einem Gefäß mit löchrigem Boden zu halten, oder man hat sie nicht. Unsere Rituale jedenfalls dienen nur dazu, Neulinge einzuschüchtern. Besser gesagt: Wir erschaffen und ändern unsere Rituale nach Lust und Laune.«

»Ich bin nun mal Neuling und möchte nicht eingeschüchtert werden. Was ich vor allem brauche, ist gute Laune.«

»Auf die Rituale kannst du getrost verzichten«, meinte Schürf, griff in seine Manteltasche, zog die löchrige Tasse heraus und hielt sie mir hin. »Und was willst du trinken?«

»Kamra zum Beispiel«, antwortete ich, goss meine Portion in seine löchrige Tasse und trank sie auf einen Zug leer.

»Na, was hast du gespürt?«, fragte er. »Bei löchrigen Tassen führt Kamra leider nicht zu den besten Resultaten.«

»Wirklich nicht? Ich habe das Gefühl, ich fliege gleich.«

»Das allein ist zu wenig. Man sollte die Kraft, die man durch das Trinken aus einer löchrigen Tasse gewinnt, dazu verwenden, wirklich etwas zu tun und sich nicht mit Illusionen abspeisen zu lassen. Bei passender Gelegenheit erzähle ich dir Näheres über den Orden der löchrigen Tasse, aber da Neugier zu deinen Stärken gehört, fragst du mich sicher bald danach. Doch jetzt müssen wir los. Es ist schon recht spät, und ich wohne in der Neustadt. Kannst du mich vielleicht nach Hause fahren? Du bist ja viel schneller als unsere Chauffeure.«

»Für dich mach ich das doch gern.«

»Vielen Dank. Meine Frau verbringt ihre Abende nämlich am liebsten in meiner Gesellschaft. Das finde ich erstaunlich, denn ich halte mich eigentlich für langweilig.«

»Ich verstehe deine Frau gut. Wenn man mit dir zusammen ist, glaubt man, es gebe keine Gefahren auf der Welt.«

»Du redest schon wieder seltsames Zeug«, brummte Lonely-Lokley finster. »Na schön. Lass uns fahren.«

Wir bezahlten bei dem sympathischen, auf grausam geschminkten Wirt und verließen das Lokal. Das orangefarbene Licht der Straßenlaternen vertrieb die Dunkelheit. Der Mond hatte in dieser Nacht keine Chance, seinen Anteil an der Beleuchtung zu übernehmen, denn der Himmel war voller Wolken.

Ich setzte mich ans Steuer meines A-Mobils, Schürf nahm neben mir Platz, und ich raste fröhlich los. Kann sein, dass Kamra nicht sehr geeignet ist, um aus löchrigen Tassen getrunken zu werden, aber die seltsame Leichtigkeit, die mich erfüllte, gefiel mir außerordentlich. Ich fühlte mich wie perlender Champagner, der schäumend aus dem Glas steigt.

»Hör mal, Schürf, ich hab noch eine Frage«, begann ich.

Die Frage fand ich eigentlich nicht so wichtig, doch ich hatte Lust, mit ihm zu plaudern.

»Es geht um unseren gemeinsamen Traum. Wie spürst du eigentlich die Anwesenheit des bedrohlichen Dritten, von dem du erzählt hast? Du hast ihn doch nie zu Gesicht bekommen.«

»Weißt du, Max, es fällt mir wirklich schwer, näher zu beschreiben, was in dem Traum geschieht, den wir miteinander teilen. Ich erinnere mich nur an den Strand und an das Gefühl der Bedrohung. Mehr weiß ich nicht.«