Выбрать главу

Als die andern am Abend zurückkehrten, traute ich meinen Augen nicht: Boyd hatte Mara mitgenommen. Ein wenig unsicher, aber keineswegs furchtsam kam sie mit ins Raumschiff, sah sich neugierig um, allerdings ohne übertriebenes Interesse zu zeigen.

»Was ist euch da nur eingefallen?« – Ich machte keinen Hehl daraus, daß ich das für ein Risiko hielt.

»Wir brauchen sie hier, wenn wir uns in absehbarer Zeit verständigen wollen. Hier kann ich direkt mit dem großen Kommunikator arbeiten«, erklärte Boyd.

»Ist sie freiwillig mitgekommen«, fragte Naomi, »oder habt ihr sie mit Gewalt …«

»Aber nein«, antwortete Boyd. Er nahm Mara bei der Hand und führte sie in den Kommunikationsraum. »Stört uns jetzt nicht!«

»Wir haben abgestimmt, Nuru und Boyd waren dafür, Ingrid und ich dagegen«, sagte Mischa fast entschuldigend.

»Soll sie über Nacht hierbleiben?« fragte ich.

»Ja, wir haben genug Platz, sie kann hier schlafen. Am nächsten Tag nehmen wir sie wieder mit zurück.«

Mit Mara war ein Mißton in unsere Gruppe gekommen. Ich erinnerte mich an das Gebot, das wir über Funk erhalten hatten – das wir keine Störungen oder gar Schäden verursachen sollten. Und ich wurde noch skeptischer, als mir Mischa später eingestand, daß Mara das Territorium des Parks nicht freiwillig verlassen hatte: Boyd und Nuru hatten sie mit sanfter Gewalt in den Gleiter gebracht. Aber auch Ingrid zeigte sich wenig erfreut. Bei ihr hatte ich allerdings den Eindruck, daß nicht nur sachliche Erwägungen maßgebend waren; in letzter Zeit war sie mit Boyd liiert gewesen, und sie übersah nicht, daß Mara ein hübsches Mädchen war.

Boyd arbeitete bis spät in die Nacht hinein mit Mara, sie machte einen erschöpften Eindruck, als die Sitzung beendet war. Wir hatten eine Liege in den Abstellraum gebracht, als Nachtlager für Mara; es war eng hier, aber sie war ja die enge Zelle gewöhnt. Sie schien auch sofort einzuschlafen, und auch wir andern gingen zur Ruhe – außer Boyd, der die ersten Ergebnisse des Kommunikators abwarten wollte.

Als wir am nächsten Morgen aufstanden, sah Naomi nach Mara, und gleich darauf hörten wir sie rufen. Wir liefen hinzu und erschraken: Mara lag bewegungslos und bleich auf ihrem Lager, die Augen waren geschlossen, sie schien kaum zu atmen. Nuru fühlte ihr den Puls und hob ein Augenlid. »Sie lebt«, verkündete er, »aber ihr Zustand ist besorgniserregend. Sie atmet kaum, der Puls ist nicht zu fühlen – aber das muß nichts zu bedeuten haben, denn wir wissen ja nicht, ob ihre Adern denselben Verlauf haben wie unsere.«

»Wir müssen sie schnellstens zurückbringen!« sagte Mischa.

Wir trugen sie in das Luftkissenboot und fuhren los. Als wir ankamen, wies Ingrid nach oben: Dort schwebten wieder fünf der spindelartigen Körper, die wir bei unserem ersten Besuch beobachtet hatten. Diesmal nahmen sie keine Notiz davon, daß wir sie offenbar bemerkt hatten, sondern blieben über unseren Köpfen schweben.

Wir trugen Mara durch den Park, in das Gebäude hinein, und da wir nicht feststellen konnten, welche Zelle die ihre war, so legten wir sie in die erste beste.

Ich weiß nicht, ob wir erwartet hatten, daß etwas geschehen würde … Jedenfalls ereignete sich nichts. Mara lag bewegungslos auf ihrer Liege, wir standen darum herum, von den Einwohnern kümmerte sich niemand um uns oder Mara.

»Sie sind stumpfsinnig«, sagte Boyd. »Sie scheinen weder Zuneigung noch Sorgen um den andern zu kennen. Ich kann mir nicht denken, daß sie die Herren dieses Planeten sind.« Er drehte sich um. »Ich hole meinen Kommunikator«, erklärte er.

Pünktlich wie an den vorhergehenden Tagen wurden am späten Vormittag die Mauern undurchsichtig. Diesmal aber hatten wir Lampen mitgenommen – wir wollten wissen, was mit den Menschen, die ihre Zellen aufgesucht hatten, geschah. Und wir sahen es: Mit einemmal lag eine Art Deckel über dem Bett und schloß den Liegenden ein; was dadurch entstand, sah einem Sarg penetrant ähnlich. Und dann ging ein Ruck durch den Behälter, und er sank in den Boden hinein und entzog sich unseren Blicken. Der Boden schloß sich wieder, die Zellen waren leer.

Wir hatten keine Lust, bei künstlichem Licht im Innern herumzustreifen, wir verließen das Gebäude und gingen zum Luftkissenboot.

»Ich glaube, es handelt sich um eine Art Regeneration«, sagte Ingrid. »Ich hoffe nur, daß Mara keinen Schaden davongetragen hat. Es könnte peinlich für uns werden, jemand Schaden zuzufügen.«

»Ist das alles, was dich daran stört?« fragte Naomi. Zum ersten Mal sah ich sie richtig empört. »Ob diese Menschen intelligent sind oder dumm, ist doch ganz gleichgültig! Wir haben kein Recht, sie als Versuchskaninchen zu verwenden!«

»Ach was, du übertreibst!« entgegnete Boyd. Aber es war ihm offenbar nicht wohl in seiner Haut.

Als das Gebäude nach etwa einer Stunde seine Transparenz wiedererlangte, beeilten wir uns, wieder nach unten zu kommen. Hastig durchstreiften wir die Räume – wir suchten Mara. Uns allen fiel ein Stein vom Herzen, als wir Nurus Stimme durch die Räume schallen hörten: »Hier ist sie! Sie ist gesund!« In der Tat – sie sah blühend aus wie am Tag zuvor, sie lächelte uns zu, schien uns zu erkennen. Und dann trat sie auf Boyd zu, hob die Hand – darin lag das dunkle Metallplättchen, das jeder von ihnen zu besitzen schien. Boyd griff nach ihrer Hand, schloß seine Finger darüber – selten hatten wir ihn so ergriffen gesehen. »Ich bin froh, daß es dir wieder gutgeht«, sagte er. »Ich glaube, wir werden uns gut verstehen – wenn wir erst miteinander reden können.« Jetzt erst ließ er ihre Hand los. Er drehte sich um und zog den Kommunikator heran. »Wir wollen es einmal versuchen!«

»Kannst du mich verstehen, Mara?« Er sprach in das Schwebemikrophon, der Kommunikator übersetzte in die gutturale Sprache der Einheimischen.

Zuerst reagierte Mara nicht, Boyd wiederholte seine Frage.

Noch immer zögerte Mara. Dann aber sah man ihr an, daß sie zu begreifen begann – sie sagte etwas, der Kommunikator übersetzte: »Ich verstehe dich.«

»Seht ihr«, rief Boyd, »jetzt sind wir soweit.«

Wir alle waren froh darüber – bald würden sich die Rätsel dieses Planeten gelöst haben! Wir sprachen durcheinander:

»Frag sie, wie sie sich ernähren!«

»Frag, ob es irgendeinen Leiter oder Vorgesetzten gibt!«

»Frag sie, wie alt sie ist!«

»Warum gibt es keine Kinder und keine alten Leute?«

»Stehen sie in Verbindung mit anderen Siedlungen?«

»Weiß sie, wer mit uns die Funkverbindung aufgenommen hat?«

Boyd folgte unseren Wünschen, und Mara bemühte sich zu antworten. Das Ergebnis war mager. Oft dachte sie lange nach und antwortete dann »Ich weiß es nicht«. Oft schüttelte sie nur traurig den Kopf. Sie schien bald müde zu werden und die Lust an diesem Spiel zu verlieren. Boyd wandte sich an andere und fand auch da und dort jemanden, der bereit war mitzumachen. Aber diese Menschen schienen wenig Ausdauer zu haben, sie gaben bald auf, und außerdem zeigten sie sich überraschend teilnahmslos: Keinem fiel es ein, eine Gegenfrage zu stellen – wer wir seien, woher wir kämen …

Die Ausbeute, über die wir uns am Abend im Raumschiff unterhielten, war dürftig. Diese Menschen wußten weder, woher sie stammten, noch machten sie sich Gedanken über ihre Zukunft. Der Begriff des Alters war ihnen unbekannt, sie wußten nichts von Kindern oder Greisen, sie erinnerten sich nicht, wer ihnen das wenige beigebracht hatte, was sie wußten, sie hatten keine Ahnung von Geburt und Tod. Sie lebten in ihren Siedlungen, ohne Kontakt mit anderen Gruppen, in der Nacht fuhren sie zur Regeneration, am späten Vormittag hatten sie eine Stunde zu »arbeiten«; das war ihre einzige Pflicht. Was während der »Arbeitszeit« geschah, wußten sie nicht. Um sie herum wurde es dunkel, nach einer gewissen Zeit erwachten sie wieder, ein wenig erschöpft, ein wenig abgespannt … Sie fühlten sich glücklich, niemand dachte an eine Änderung ihrer Situation, niemand hatte besondere Wünsche oder Probleme.