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Natürlich hatten wir uns auch nach Details erkundigt, die uns aufgefallen waren, beispielweise der Eigenart der Wände. Über physikalische und chemische Dinge wußten sie nichts, hatten nie darüber nachgedacht, alles als selbstverständlich genommen. Auch die Bedeutung der Plaketten kannten sie nicht. Sie wußten nur, daß sie sie vorweisen mußten, wenn eine »Kontrolle« war. Was war eine »Kontrolle«? Wir bekamen keine befriedigende Auskunft. Es mochte sich um Besucher von außen handeln, oder um Beobachtungssonden, oder um Signale welcher Art auch immer. Wir hatten darum gebeten, eine dieser Plaketten genauer ansehen zu dürfen, waren aber auf entschiedene Ablehnung gestoßen.

Was hatte das alles zu bedeuten? Unsere Meinungen waren geteilt. Nuru meinte, es handelte sich um eine unterdrückte Klasse, die von irgendwelchen Leuten im Hintergrund ausgebeutet würden, und Boyd schloß sich seiner Meinung an. Ich hatte nicht den Eindruck einer Ausbeutung, die Menschen machten auf mich einen restlos glücklichen Eindruck. Offenbar war eine Stunde »Arbeit« das einzige, was man von ihnen verlangte. Ingrid allerdings meinte, es käme nicht auf die Arbeitszeit an, sondern darauf, ob eine Leistung freiwillig erbracht würde, und das sei hier nicht der Fall; diese Menschen würden gezwungen – durch irgendeine Art von psychischer Manipulation. Mischa vertrat die Ansicht, daß unsere Informationen nicht zur Beurteilung der Sachlage reichten. Es könnte sich auch um Menschen handeln, die schon vor Generationen alle Lebensprobleme gelöst hätten, die ihre Welt so eingerichtet hätten, daß sie ein gesundes und sorgenfreies Leben führen könnten und auf eine weitere Entfaltung verzichtet hätten; und es sei zu fragen, ob nicht jede Art einmal diesen Entwicklungsstand erreichen könnte. Diese Vermutung wurde allerdings von den anderen zurückgewiesen. Sie sahen ein sinnvolles Dasein nur in einer fortwährenden Veränderung und Erneuerung.

Nuru war in seinem Urteil sogar noch radikaler: »Gewiß – wir wissen noch wenig über die Geschichte dieses Volkes«, sagte er, »aber was wir wissen, dürfte genügen. Es besteht kein Zweifel daran, daß es sich um menschenartige Wesen handelt und daß sie ein unwürdiges Dasein führen. Wir müssen versuchen, sie auf diesen Zustand aufmerksam zu machen, sie aufzurütteln, sie dazu zu bestimmen, aus ihrem Dasein etwas zu machen!«

»Sie sehen wie Menschen aus«, rief Mischa, »aber wir haben keine Ahnung, ob es Menschen sind. Es gibt keinen Anlaß dafür, die Werte, die auf der Erde gelten, ohne weiteres auf fremde Gesellschaften zu übertragen.«

»Und außerdem ist uns ein Eingriff verboten«, sagte Naomi.

»Schließlich wird uns auf diesem Planeten Asyl gewährt - von wem auch immer die Zusage gekommen ist.«

»Du meinst, wir sind hier Gäste, und die Lebensverhältnisse hier gingen uns nichts an?« sagte Boyd gereizt. »Ich allerdings glaube, daß es Werte gibt, die für jeden Ort und jede Zeit verbindlich sind. Wir sind nicht von der Erde geflohen, um anderswo faule Kompromisse zu schließen!«

Die Meinungen gingen weit auseinander. Schließlich einigten wir uns darauf, daß eine genauere Analyse not tat, ehe wir Entscheidungen treffen wollten.

Als wir am nächsten Tag wieder zur Siedlung fuhren, waren wir uns über das, was wir unternehmen wollten, nicht mehr so einig wie an den Tagen zuvor. Ingrid und Nuru benutzten den Kommunikator, um die Bewohner des Gebäudes auf ihren Zustand aufmerksam zu machen. Sie sprachen von Freiheit und Manipulation, von den großen Aufgaben intelligenter Wesen, von übergeordneten Werten, von Neuorientierung und Revolution … Aber ich hatte nicht den Eindruck, daß sie jemand verstand. Zwar standen immer einige Menschen um sie herum, aber sie verhielten sich nicht anders als jene vor den Tanzvorführungen und an den Fenstern: Sie hörten eine Weile zu, blickten Nuru und Ingrid ohne eine Gefühlsregung mit ihren großen dunklen Augen an, und gingen später ohne ersichtlichen Grund wieder fort. Boyd bemühte sich inzwischen sehr um Mara, er suchte Wege zur direkten Verständigung, wollte Mara dazu bringen, Ausdrücke unserer Sprache zu lernen, bemühte sich selbst um die Sprache der Fremden. Zwar war auch ihm nicht viel Erfolg beschieden, doch immerhin – Mara schien interessierter zu sein als die andern, sie war ausdauernder und zeigte einen Anflug von Intelligenz. Vielleicht war es aber auch etwas ganz anderes. Wäre sie ein Mädchen von der Erde gewesen, so hätte ich gesagt, daß sie von Boyd beeindruckt war. Aber auch darüber war schwer etwas Endgültiges zu sagen. Gab es hier so etwas wie Liebe oder Sex? Die Männer und Frauen schienen sich völlig neutral zu verhalten, nirgends zeigte sich eine Polarität der Geschlechter, nirgends deutete sich so etwas an wie Sympathie, Zusammengehörigkeit, Verbundenheit … Natürlich hatten wir auch darüber Fragen gestellt, aber man hatte uns nicht verstanden.

Am Abend nahm Boyd Mara wieder mit zum Luftkissenboot. Er hatte uns nicht gefragt, und auf unsere Vorhaltungen reagierte er ungeduldig. »Mir ist es ganz gleich, ob wir Gebote übertreten oder nicht, es ist einfach unsere Pflicht, uns eingehend zu informieren. Ich will wissen, ob diese Wesen Menschen sind wie wir, oder ob sie sich irgendwie unterscheiden. Wir müssen eine Blutprobe entnehmen, ein Röntgenbild anfertigen, ein Elektrokardiogramm usw.«

»Und wenn sie wieder einen Kollaps erleidet?« fragte Ingrid.

»Ich glaube, sie werden über den Blutkreislauf ernährt. Schau her!« Boyd griff einen Arm Maras, drehte ihn herum, so daß man die Armbeuge sehen konnte. »Diese bläulichen Stellen – ich vermute, sie stammen von einem Injektionsspray. Wir werden ihr Zuckerlösung injizieren, und ihr werdet sehen: Morgen ist sie völlig munter!«

Wir gaben uns nicht zufrieden, doch Boyd meinte, er täte es auf seine eigene Verantwortung, wir hätten ihm nichts zu befehlen.

Als wir zurückkamen, überraschte uns Mischa, der mit Naomi zurückgeblieben war, mit einigen Meßergebnissen. Er hatte eine Bohrung unternommen und festgestellt, daß die Schicht aus Kohle- und Siliziumverbindungen mindestens 20 Meter dick war. Was darunter lag, hatte er nicht feststellen können – das Echolot hatte nicht angesprochen. Eine Gravitationsmessung hatte ein unerklärliches Resultat erbracht: Es sah so aus, als sei die schwere Masse dieses Planeten im Zentrum konzentriert. Wir wußten nicht recht, wie wir diese Resultate deuten sollten und gingen darüber hinweg. Viel mehr interessierte uns natürlich Mara. Wenn wir auch gegen die von Boyd vorgeschlagenen Versuche waren, so hieß das nicht, daß uns ihre Ergebnisse gleichgültig waren.

Mara schien großes Vertrauen zu Boyd zu haben, denn solange er bei ihr blieb, ließ sie alles mit sich geschehen. So wie es aussah, unterschieden sich diese Wesen nicht grundsätzlich von den Menschen: Der Skelettbau war bis auf Kleinigkeiten dem unseren gleich, Elektrokardiogramm und Elektroenzephalogramm unterschieden sich genausowenig, und nur in den Eiweißsubstanzen aus den Blut- und Gewebeproben zeigte sich die extraterrestrische Abstammung.

Wie Boyd angekündigt hatte, injizierte er Mara Zuckerlösung, und zu unserer Beruhigung zeigte sie sich am nächsten Morgen relativ munter, zwar hatte sie dunkle Ringe um die Augen und bewegte sich ein wenig schwerfällig, aber dieser Zustand war doch in keiner Weise mit dem völligen Zusammenbruch zu vergleichen, den sie bei ihrem ersten Besuch im Raumschiff erlitten hatte. Boyd erklärte, daß er im Raumschiff bleiben würde, er hätte noch einige Versuche mit Mara vor, und auch die anderen beschlossen, an diesem Tag auf den Besuch in der Siedlung zu verzichten.