Zunächst war es angenehm gewesen. Die freien Bewohner der Stadt begrüßten den Entschluß der Verantwortlichen, die Areale zu verkaufen. Die düsteren Gestalten waren eingezogen, der Abschaum der Menschheit. Verstohlen hatten die Einheimischen zwischen den Latten ihrer Jalousien hinausgeblickt, als die Fremden in offenen Lastwagen gebracht wurden. Sie sahen häßlich aus, schmuddelig, schleimig. Man konnte sich vorstellen, daß sie schwitzten und stanken. Und dann sprangen sie herab, Männer, Frauen und Kinder, und wimmelten wie Ameisen über den Halden.
Man hatte Luftvorhänge eingerichtet, Mauern, elektrische Zäune, hatte dafür gesorgt, daß alles, was einmal drinnen war, auch drinnen blieb. Durch riesige Kanalröhren, in denen ein ständiger, einwärtsgerichteter Wind aufrechterhalten wurde, warf man die Abfälle hinein – Essensreste, Autowracks, Müll aus Wohnungen, Fabriken, Unterhaltungsstätten. Abfälle aus Desinfektionsanstalten und Spitälern, alte Kleidung, Tierkadaver. Durch Röhren leitete man die Abwässer hinein, aus Wohnbezirken, aus chemischen Werken, eine Brühe voll von Faulschlamm, Nitriten, Arseniden, Antimoniden, Blei- und Quecksilbersalzen, radioaktiven Abfällen, Detergentien, Antibiotika. Das alles wurde aufgesogen, einverleibt wie von einem nimmersatten Tier – und auf irgendeine Weise verdaut.
Biologen und Ärzte hatten ein baldiges Ende jener entarteten Menschen vorausgesagt, die sich freiwillig in eine lebensfeindliche Umgebung begeben hatten, und manche hatten sogar dagegen protestiert. Sie sahen aber schließlich ein, daß das Problem der Übervölkerung nicht anders zu lösen war, und gaben ihren Widerstand auf. Doch wie schon so oft hatten die Fachmänner unrecht gehabt. Die Leute schienen sich wohl zu fühlen, sie blieben gesund und gediehen. Und sie erfüllten ihre Aufgaben. Sie brachten Ordnung in das Chaos, schufen Raum für neue Abfälle, halfen zur besseren Ausnutzung des Platzes. Aber sie bauten auch Wege, Wohngebäude, züchteten Algen und Pilze, verschmolzen Metalle … Kommissionen, die sich von Zeit zu Zeit ins Innere wagten, berichteten darüber.
Ja, sie gediehen – und vermehrten sich; niemand hätte das für möglich gehalten, aber es geschah. Das Problem ihrer Fruchtbarkeit stellte sich erneut und nachhaltiger. Sie wurden immer mehr, der Platz wurde ihnen zu klein. Und nun kamen ihre Forderungen: Sie verlangten eine Erweiterung der Areale, sie verlangten mehr Müll!
Es blieb nichts übrig, als ihnen nachzugeben – um so mehr, als sie ja dem Zuge der Entwicklung entgegenkamen. Die Müllagerplätze dehnten sich aus, der bewohnbare saubere Raum wurde kleiner, und schließlich kam das Gesetz, das die weitere Abtrennung von Ablagerungsplätzen verbot …
Aus der Ferne ertönt Geschrei. Über den grauen Blöcken der Kompostierungsanlage steigen braune Dämpfe auf. In der Luft liegt ein ekliger, dumpfer Geruch. Es kann nicht mehr lange dauern …
300 Jahre früher
»Wir machen Ihnen ein faires Angebot«, sagte der Botschafter. »Wir kaufen alle fraglichen Areale. Unser Angebot liegt nicht hoch, aber das Land ist für Sie sowieso nicht nutzbar. Sie haben das Recht, Ihre Abfälle weiterhin dort hinzubringen. Dazu übernehmen wir die Verpflichtung, sämtliche Arbeiten durchzuführen, die in diesen Gebieten anfallen. Dieses Angebot ist sehr vorteilhaft für Sie – denken Sie an die Gesundheitsschäden, die sich Ihre Leute dort bisher zugezogen haben! Diese Sorge wären Sie jetzt los.«
Die Gruppe von Politikern, mit der er sprach, hatte sich so weit von ihm zurückgezogen, wie es die Höflichkeit zuließ. Zwar unterschied sich der Botschafter äußerlich nicht allzuviel von ihnen, aber jeder wußte um die Besonderheiten jenes Volkes, das er vertrat und dem er schließlich auch angehörte. Man ekelte sich vor diesen Leuten und zeigte es auch, wenn der Zufall einmal eine der seltenen Begegnungen herbeiführte. In diesem Fall allerdings war die Situation ein wenig anders. Das Angebot, das er ihnen machte, war so verlockend, daß sie es einfach annehmen mußten – wertloses Land für teures Geld verkaufen, und dazu noch beachtliche Vorteile einhandeln. Freilich – auch die andere Seite stand unter Druck: Ihr kleines Land platzte aus den Nähten – und die Leute konnten nicht auswandern. Wohin hätten sie gehen sollen?
Und nun war diese Idee mit den Enklaven aufgetaucht; niemand wußte, von wem sie eigentlich stammte. Aber sie war bestechend. Auch ein politischer Vorteil lag darin: Der Vertrag würde dazu beitragen, daß in der freien Welt ein Unruheherd verschwand, daß die Gefahr einer kriegerischen Expansion verringert würde …
Nach kurzer Beratung wurde das Angebot angenommen.
200 Jahre früher
»Ich sehe keinen Ausweg«, sagte der Wirtschaftsminister. »Ein Land wie unseres, ein lächerliches Fleckchen Erde, zwischen großen Nachbarn eingezwängt, kann auf die Dauer nicht unabhängig bleiben. Ich sehe keinen Weg, um die finanzielle Situation zu retten, um so mehr, als der Herr Gesundheitsminister gerade heute mit absolut utopischen Forderungen für die Finanzierung des Umweltschutzes hervorgetreten ist …«
Ein rundlicher, grauhaariger Mann sprang auf. »Meine Herren, Gesundheit ist wichtiger als Geld! Wir dürfen nicht zulassen, daß unser Wasser vergiftet wird, daß die Luft …«
»Das bedeutet Millionen!«
Der Vorsitzende hob die Hand: »Bitte beruhigen Sie sich! Der Fachausschuß für Environtologie hat das Ergebnis einer Studie vorgelegt, das geradezu frappierend ist – nicht nur, weil es alle unsere Probleme mit einem Schlag löst. Ich schlage vor, wir informieren uns aus erster Hand! Wenn Sie einverstanden sind, treffen wir uns nach dem Mittagessen im biologischen Institut der Universität.«
Der Vorstand des Instituts selbst empfing die Regierungskommission. »Unsere Forschungen begannen mit der Züchtung eines stadtharten Baums. Er muß in versalzenem Boden gedeihen, vor allem gegen Streusalze unempfindlich sein. Er muß Abgase, Staub und Ruß vertragen. Kunstlicht und Vibrationen bis hoch in den Infraschallbereich hinein dürfen ihm nicht schaden. Das Ergebnis hat alle Erwartungen übertroffen. Sehen Sie!« Ohne seinen Stolz ganz zu verbergen, deutete der Biologe auf einen großen Blumentopf in der Ecke des Raums, den seine Gäste bisher nicht beachtet hatten. Aus grauer, verkrusteter Erde wuchs ein knorriger Stamm heraus, verzweigte sich in einige Zweige. Daran hingen große dickfleischige, zerfiederte Blätter. »Das ist sie: unsere Neuzüchtung, der stadtharte Baum. Wir haben ihn den härtesten Tests unterworfen: Er verträgt nicht nur die Abgase – er braucht sie sogar! In Luft, die frei von Kohlenmonoxid und Schwefeldioxid ist, geht er ein.« Der Gelehrte stand auf. »Und nun bitte ich Sie, mir zu folgen!«
Während die Gruppe durch die Gänge des Instituts wanderte, fuhr er fort: »Unsere Überlegungen beruhen auf einer alten Erkenntnis: daß auch der Mensch ein adaptives Wesen ist – in noch viel stärkerem Maß als ein Baum. Gerade das wurde aber bisher in der Environtologie nicht berücksichtigt. Man hat die Umgebung dem Menschen anzupassen versucht – was schwer und teuer ist – und dabei Schiffbruch erlitten. Warum gehen wir nicht den umgekehrten Weg: Warum passen wir den Menschen nicht der Umgebung an? Bisher haben wir jede Veränderung der Luftzusammensetzung, jede Anreicherung des Wassers mit Fremdstoffen mit Angst registriert. Warum stellen wir uns nicht positiv zu jeder Veränderung und überlassen es dem Menschen, sich darauf einzustellen? Bitte, treten sie ein!«