Выбрать главу

Der undurchsichtige Charakter der Katzen macht mir zu schaffen. Je mehr ihre Intelligenz steigt, um so eigenwilliger scheinen sie zu werden. Aber allmählich beginne ich sie recht gut zu verstehen. Mir scheint, ihre Philosophie ist vernünftiger als die des Menschen. Sie tun nur, was sie wollen, und sie sind zufriedener, als es ein Mensch je sein könnte. Sie können sich wunderbar entspannen, und die Stunden der Ruhe sind für sie der höchste Genuß. Der Mensch könnte viel von ihnen lernen.

Manchmal geben sie erstaunliche Zeugnisse ihrer Fähigkeiten. Mit einer Katze, ich habe sie Kleopatra genannt, konnte ich bereits komplizierte logische Probleme lösen. Dabei hat sie mich geradezu übertrumpft – sie nannte mir richtige Resultate von Aufgaben, die ich nur mit Hilfe der symbolischen Logik lösen konnte.

Gestern hat mich eine Kommission der Forschungsgemeinschaft im Labor besucht. Die Herren haben sich meine Ausführungen mit großem Interesse angehört, und auch Prof. Shulman hat sich prächtig benommen. Zwar ist er seit einigen Jahren pensioniert, aber noch immer gilt er als der Betreuer meiner Forschungen. Manches von dem, was ich im Laufe der letzten dreißig Jahre erarbeitet habe, konnte er weitaus besser darstellen als ich.

Der Besuch hatte natürlich seinen Grund; zwar hat man mir es nicht offiziell mitgeteilt, aber ich habe doch erfahren, daß es um die Fortsetzung meiner Arbeiten geht. Ich hoffe sehr, daß man mir die angeforderten Einrichtungen genehmigen wird! Der dafür notwendige Betrag ist zwar nicht gering, aber bei der Bedeutung der neuen Erkenntnisse …

Eine gewisse Hoffnung habe ich auch, daß man mein Stipendium ein wenig aufbessern wird. Zwar habe ich nie viel Geld verbraucht, aber es war doch bitter, als ich vor einigen Wochen die Wohnung, die ich seit dem Tod meiner Eltern allein bewohne, verlassen mußte. Ich bin ein wenig weiter hinaus vor die Stadt gezogen, in ein kleines Holzhaus, das ich einigermaßen preiswert mieten konnte.

Man hat mir die Zuschüsse gestrichen! Ich kann es nicht fassen; jeder muß doch einsehen, daß meine Arbeiten dadurch außerordentlich behindert sind. Von einer Aufbesserung des Stipendiums keine Rede! Ich kann nicht verstehen, daß es jemand geben kann, der die Bedeutung der Arbeiten nicht versteht. Aber vielleicht liegt es an der Kommission – wie ich erfahren habe, waren Juristen und Philosophen dabei!

Trotzdem gebe ich natürlich nicht auf. Zwar kann ich nicht mehr mit zwanzig oder dreißig Katzen arbeiten, wie ich das in den letzten Jahren getan habe, aber fünf bis zehn der besten werde ich behalten – natürlich die, bei denen die größte Aussicht auf Erfolg besteht.

In der letzten Zeit haben sich meine Ziele ein wenig gewandelt. Es geht mir nicht mehr um die Zytologie, nicht mehr um die molekularen Grundlagen. Was mich jetzt am meisten beschäftigt, ist die Philosophie der Katzen. Das ist der Punkt, um den es geht: Nicht die Katze lernt vom Menschen, sondern der Mensch wird von der Katze lernen. Er wird einsehen, wie man ein Leben lebt, das in Harmonie mit seiner Umgebung steht, das auf der Weisheit der Selbstbeschränkung beruht, auf der Ruhe, der Stille, der Meditation … Wenn wir erst erkennen, wie wir auf diese Ebene des Daseins aufsteigen können, so haben wir eine Erkenntnis gewonnen, die über alles hinausgeht, was die Naturwissenschaft bisher erbracht hat. Von hier aus dürfte es möglich sein, die Menschen zur Einigung und zum Frieden zu bringen …

Heute habe ich das Labor an die Verwaltung zurückgegeben. Es wird eine Gruppe von jungen Biologen einziehen, die sich mit der in vitro-Vermehrung von Gewebe beschäftigen wird. Es geht offenbar um die Produktion von Nahrungsmitteln – Schweinebraten aus der Retorte!

Ich trage es den Herren von der Verwaltung nicht nach. Die Kollegen haben sich übrigens sehr anständig benommen, obwohl niemand mehr aus jener Zeit da ist, zu der ich begonnen habe. Sie haben mich gebeten, sie so oft wie möglich zu besuchen, ihnen mit meinen Erfahrungen zur Seite zu stehen …

Eigentlich fühle ich mich sehr wohl hier draußen am Waldrand. Hier bin ich frei von Antrieb und Hast, denen man in einem wissenschaftlichen Institut stets unterliegt. Ich habe eine kleine Pension, und ich brauche niemand Rechenschaft darüber abzulegen, für welche Zwecke ich Forschungsmittel verwende.

Selbstverständlich habe ich meine Arbeit nicht aufgegeben. Leider konnte ich nur wenige meiner Katzen mitnehmen; oder richtiger, ich arbeite nur noch mit einer. Sie hat den Namen Kleopatra III., und stammt direkt von der ersten Kleopatra ab, die so beredte Zeichen von Intelligenz gegeben hat.

Kleopatra III. übertrifft alles, was ich bisher erlebt habe. Sie ist ein prächtiges Tier, und ich glaube, daß ich mit ihr doch noch ans Ziel komme; ich bin überzeugt davon, daß ich es bald erreichen werde. Das einzige, was mir Sorgen bereitet, ist die Frage der Vererbung. Ich habe hier natürlich keine Mittel, um eine Jungfernzeugung zu veranlassen. Aber diese Sorge ist noch nicht so dringend – Kleopatra ist ein junges, gesundes und kräftiges Tier und hat noch etliche Jahre zu leben.

Vier Tage lang war Kleopatra nicht mehr im Haus gewesen. Der alte Mann war besorgt. Immer wieder trat er vor die Tür, ging um die Gebäude herum, hielt Ausschau, rief … keine Spur von der Katze.

Am fünften Tag war sie plötzlich wieder da. Sie war mager und verstaubt, im Maul trug sie ein kleines graues blindes Bündel. Sie blickte sich kurz um und legte es dann in die Mulde zwischen den beiden Kissen auf der Couch. Sie leckte es ab, blickte den alten Mann von unten herauf an und lief wieder weg.

Kurze Zeit später brachte sie ein zweites Junges, ein drittes und ein viertes. Sie ließ sich bei ihrer Brut nieder, machte sich breit, wühlte sich zwischen den Kissen ein Nest. Sie hob den Kopf und sah den alten Mann stolz an.

»Was ist mit unserer Arbeit?« fragte der alte Mann.

»Nichts«, antwortete Kleopatra. »Ich habe zu tun.«

»Du scheinst zu vergessen, daß du ohne mich überhaupt nicht existieren würdest!«

Die Katze zerrte am Kissen, mit ihren Krallen riß sie Fäden aus dem Stoff. »Fängst du schon wieder damit an? Wie mich das langweilt …«

»So ist das also«, sagte der alte Mann. Er wartete eine Weile, doch Kleopatra beachtete ihn nicht mehr. Da ging er in die Küche und holte eine Schüssel mit Milch. Er stellte sie auf den Boden neben die Couch. Die Katze stand von ihrem Lager auf und trank gierig. Sie leckte sich die Schnauze und sprang mit einem Satz zurück auf die Couch. Die Jungen sahen wie breitköpfige Mäuse aus und quiekten.

»Was soll ich tun?« fragte der alte Mann. »Wenn ich die Testreihe nicht fortführe, hatte die ganze Arbeit keinen Sinn.«

»Du kannst für uns sorgen – das ist das einzige, was Sinn hat«, sagte die Katze und wandte sich wieder ihren Jungen zu. Sie sah zufrieden aus und schnurrte leise.

Der alte Mann sah ihnen lange zu, dann ging er ins Labor und holte die Mappen mit den Tagebüchern und Protokollen hervor. Er öffnete den Deckel des Müllschluckers und warf sie einzeln ins Feuer.

_____________

Die Koordinatorin

War es eine Vorahnung gewesen oder nur ihre besondere Sensibilität? Jedenfalls hatte Pia Katharina schon ein Gefühl kommenden Unheils, als das längliche Gesicht Esthers auf dem Videoschirm auftauchte.

»Wir wollen mit den Tests beginnen«, sagte Esther. »Willst du dabeisein? Sollen wir anfangen?«

»Ach nein«, antwortete Pia Katharina. »Du weißt doch, daß ich kein Interesse daran habe. Oder …« sie stockte, »gibt es etwas Besonderes?«

Esther blickte unbewegt aus dem Bildschirm. »Ich dachte nur … weil es sich um Regine handelt – oder solltest du es übersehen haben?«