Er kannte nun die Entfernung von seiner Heimatwelt. Die zweiundzwanzig Flugtage der Reise in dieses System waren also nicht in direktem Flug vergangen. Die Entfernung betrug nämlich nur zweihundertzwölf Parsek. Ein Punkt für Rade. Eine kostspielige Vorsichtsmaßnahme, aber bei einem Verbrecher eigentlich zu erwarten.
Die Entfernung zurück nach Hause von diesem System aus kannte er nicht. Aber das spielte keine allzu große Rolle. Die Rauschgiftabteilung legte mehr Wert auf die Gegenrichtung, in galaktischen Koordinaten ausgedrückt. Zwischen den beiden gab es keine mathematische Verbindung, sondern nur eine auf Schätzung beruhende Formel, die schwerer zu behalten war als die Richtung selbst.
Natürlich war der in den stellaren Koordinaten angeführte Leitstern von hier aus wahrscheinlich zu sehen. Aber wie konnte er ihn ohne Instrumente erkennen? Ebenso natürlich waren diese Instrumente greifbar, aber man durfte sich nicht damit erwischen lassen. Nein, das Orientierungsproblem war an seinem jetzigen Standort die unwichtigste Aufgabe.
Er hatte jetzt eine Tatsache in Erfahrung gebracht, und Rades Theorie hatte um einen Punkt an Wahrscheinlichkeit gewonnen. Sallman Ken entschied, daß dies eine fabelhafte Tagesleistung darstellte und gönnte sich deswegen eine ausgiebige Ruhepause.
VI
Fast drei von Sarrs Dreizehn-Stunden-Tagen vergingen vergingen ereignislos, ehe die die Erde umkreisende Relaisstation die Torpedos aufnahm. Wie Feth Allmer vorausgesagt und Laj Drai nach Zuhilfenahme seiner Tabellen berechnet hatte, kamen die Signale von der Peilstation von der Nachtseite des Planeten. Drai rief vom Observatorium in die Werkstätte hinunter an, wo Ken und Allmer dabei waren, die Geschwindigkeit ihres Torpedos zu drosseln.
»Sie können runtergehen, sobald die dunkle Seite da ist«, sagte er. »Sie kriegen das Funksignal herein, wenn sie spiralig niedergehen und sich zwischen vierzig und fünfundfünfzig Grad über der Ebene der Planetenumlaufbahn halten, vom Planetenmittelpunkt aus gemessen. Der Strahl kann von Ihrem Torpedo mehr als vierzig Bahndurchmesser weit draußen aufgefangen werden, ein Verfehlen gibt es also nicht. Bis zum Eintritt in die Atmosphäre heißt es Automatik, dann Steuerung von Hand. Sie können nur ein paar Kilometer vom Leitstrahl abweichen, falls Sie bis ganz runter wollen. Wäre doch schade, wenn Sie die Chemikalien mitten unter die Eingeborenen verstreuen, falls die dort kampieren sollten.«
»Stimmt«, gab Ken zurück. »Feth schwingt jetzt ins Dunkle ab, etwa fünf Kreisdurchmesser entfernt. Zu schade, daß wir keine Sichtübertragung im Torpedo haben. Einmal werde ich ganz dicht hinuntergehen, so dicht, daß man ein Teleskop einsetzen kann, falls nicht eine Fernsehkamera erfunden wird, die Winterwetter aushält.«
»Da unten gibt es Schlimmeres als nur klamme Finger«, sagte Drai wahrheitsgemäß. »Als Sie damals einen Blick auf diese Welt warfen, da hatten Sie es nicht so eilig mit der Annäherung.«
»Da war meine Neugierde noch nicht geweckt«, antwortete Ken.
Das Gespräch schlief ein, als Feth Allmer die Hebel betätigte, die für die Schubrichtung der Torpedoantriebe zuständig waren. Wie Ken gesagt hatte, ging das Torpedo nun in die Nachtseite des großen Planeten über, wobei es noch immer eine relative Geschwindigkeit von mehreren Sekundenkilometern zu überwinden hatte. Allmer steuerte mit Hilfe eines Peilrahmens der Relaisstation, dessen Angaben vor ihm auf dem Schaltbrett aufleuchteten. Das Torpedo war von der Erde noch so weit entfernt, daß der Rückstrahlhöhenmesser nicht arbeitete. Ken beobachtete schweigend die hin und her zuckenden Anzeigenadeln und die Bewegung der flinken Tentakel. Ein befriedigendes Brummen des Operators zeigte ihm deutlicher als sämtliche Instrumente an, daß endlich der Leitstrahl erreicht worden war. Ein schlangengleicher Arm drehte die Feineinstellung bis zum Äußersten.
»Ich kann nicht verstehen, warum man bei diesen Dingern keine anständige Beschleunigung erreichen kann«, ließ sich Feth halblaut vernehmen. »Jede Wette, daß wir gar nicht den ganzen Leitstrahl schaffen, ehe ich mich an die Planetenumdrehung angepaßt habe. Neun Zehntel des Torpedoraumes gehen auf Antriebsmittel und Akkus drauf. Da möchte man meinen, daß eine anständige Geschwindigkeit zusammenkommt, auch ohne Schnellgang. Diese miesen, billigen…« Er ließ den Satz unvollendet. Ken gab keine Antwort. Er wußte gar nicht, ob eine Antwort von ihm erwartet wurde. Jedenfalls war dieser Allmer viel zu intelligent, als daß er dummes Zeug von sich gegeben hätte. Da gebot die Vorsicht, daß jede Antwort gründlich überlegt wurde.
Offenbar hatte Feth Allmer falschen Pessimismus gezeigt. Denn in Minutenschnelle hatte er das Torpedo in eine vertikale Abwärtsbewegung gebracht. Ken konnte dies an den Anzeigegeräten ablesen. Es dauerte nicht lange, und der Rückstrahlhöhenmesser begann zu arbeiten. Diese Einrichtung wurde in einer Entfernung wirksam, die dem Durchmesser von Sarr entsprach, siebeneinhalbtausend Meter etwa. Ken ließ sich neben dem Operator nieder, als er die Reaktion des Höhenmeßgerätes sah. Jetzt war es nicht mehr weit.
Die Instrumentenreihe, die Allmer eigens für Kens Versuch aufgebaut hatte, zeigte noch keine Reaktion. Die Druckanzeiger standen auf Null, die Temperaturen waren gering – sogar das Natrium war gefroren. Seit Stunden hatte es keine Veränderung mehr gegeben – das Torpedo befand sich offensichtlich im Strahlungsgleichgewicht mit der fernen Sonne. Ken beobachtete gespannt das Sinken der Höhenmeßangaben. Dabei fragte er sich, ob sich der Eintritt in die Atmosphäre zuerst an den Temperatur- oder an den Druckwerten bemerkbar machen würde.
Es stellte sich heraus, daß er es nicht erfahren sollte. Feth meldete den Druckwert, ehe ein einziger von Kens Anzeigern reagiert hatte. Ken fiel ein, daß die Luke geschlossen war. Natürlich hatte es dort eine Leckage gegeben, doch war diese unter beträchtlich größerem Druckdifferential der Fall gewesen. Jetzt waren die Fugen um die Luke dicht, und das trotz der angezeigten Temperatur.
»Die Ladeluke öffnen, bitte«, antwortete Ken auf die Meldung. »Wir können gleich feststellen, ob es irgendwelche Spontanreaktionen gibt.«
»Augenblickchen. Die Sinkgeschwindigkeit ist noch immer ziemlich groß. Wenn die Luft sehr dicht ist, könnte der Lukendeckel abgerissen werden.«
»Kann man den Bremsvorgang nicht beschleunigen?«
»Ja, sofort. Nur einen Augenblick noch. Ich wollte das Niedergehen nicht bloß auf die Nachtseite beschränken, aber jetzt haben wir ohnehin nur mehr fünfunddreißig Kilometer vor uns. Von jetzt an haben Sie das Sagen.« Die Nadel des Höhenmessers verlangsamte gehorsam ihr Tempo auf der Skala. Ken fing an, die Titan-Probe zu erwärmen, sie hatte von allen den höchsten Schmelzpunkt. Zudem vermutete er freien Stickstoff in der Atmosphäre. Zumindest einer der Tests mußte gelingen.
Sechstausend Meter über der Erdoberfläche war die kleine Heizanlage weißglühend, dies zeigte die Fotozelle im Inneren der Rumpfnase deutlich an. Der Atmosphärendruck war meßbar, wenn auch vom Standpunkt des Sarrianers nicht ausreichend, wenn man dem Druckanzeiger glauben wollte. Und Feth behauptete, er hätte eine Korrekturtabelle ausgearbeitet, indem er auf der Nachtseite von Planet Eins einige Druckmesser kalibriert hätte.
»Können Sie das Ding eine Weile in dieser Höhe halten?« fragte Ken. »Ich möchte, daß diese Titan-Probe hier oben reagiert, wenn möglich. Wir sind innerhalb der Atmosphäre, aber noch hoch genug, um nicht gesichtet zu werden.« Allmer deutete auf die Anzeige der Fotozelle. »Die Luke ist offen, und die Heizanlage glüht ganz hell. Besser, Sie schließen die Luke, auch wenn damit die Luftzufuhr gedrosselt wird. Ein Licht in dieser Höhe muß auf große Entfernung sichtbar sein.«
»Daran dachte ich nicht.« Ken war erschrocken. Nach einiger Überlegung sagte er: »Gut, schließen wir die Luke. Wir haben unsere Druckanzeiger. Fällt der Druck, dann wissen wir, daß sich etwas tut.«