Der Junge handelte ohne zu zögern, aber mit mehr Voraussicht, als man ihm zugetraut hätte. Ein trockener Zweig wurde als Hilfsmittel benutzt – die Lukentür erinnerte ihn nämlich fatal an eine Falle. Deshalb stützte er sie vorsichtshalber mit dem Zweig ab. Dann langte er nach dem Goldtiegel.
Dabei übersah er die Drähte, die die Heizanlage mit der Energiequelle des Torpedos verbanden. Er faßte nach dem Tiegel und verschwendete keinen Blick auf die Drähte, obwohl sie der Grund dafür waren, daß er das Ding nicht herausbekam. Er hatte Zeit, einmal kräftig zuzupacken, ehe sich die Tatsache bemerkbar machte, daß sich das Metall erst vor kurzem noch in geschmolzenem Zustand befunden hatte.
Roger, der fast den Kopf in die Kammer gesteckt hätte, schrie noch lauter auf als vorhin, ließ den Tiegel los, versetzte dem Torpedorumpf einen wütenden Tritt und fing an wie wild herumzutanzen, wobei er seine verbrannte Hand festhielt und Verwünschungen gegen die Unbekannten ausstieß, die Schuld an seiner Verletzung trugen. Dabei entging ihm, daß der als Stütze benutzte Ast zerbrach, als die Lukentür zuging. Er bemerkte nur, daß es plötzlich fast ganz dunkel wurde. Was passiert war, sah er erst, als die Tür wieder aufging. Ohne zu wissen warum, fegte er mit der heilen Hand die geknickten Aststücke weg und stand gleich darauf in völliger Finsternis da, als die Tür sich nun ganz schließen ließ. Dabei wurde er das unbehagliche Gefühl nicht los, daß er beobachtet wurde.
Wieder dröhnte die Stimme los. Wieder erkannte er das Wort ›Gold‹, doch die Silben, die dazwischen kamen, waren zu verzerrt, als daß er sie hätte verstehen können. Er hatte überdies keinen Tabak bei sich, und im Torpedo gab es auch keinen, so daß er gar nicht auf die Idee kam, was gemeint sein könnte. Er machte auch keinen Versuch, das fremd klingende Wort nachzuahmen, und nach einer Weile verstummten die Äußerungen.
Nun ertönten schwächere Geräusche, die nicht an ihn gerichtet schienen, obwohl sie auch wie Sprache klangen. Roger hätte sie natürlich nicht so eingestuft, doch hatte er den deutlichen Eindruck, daß er Zeuge eines Wortwechsels war.
Es dauerte eine gewisse Zeit, bis der Refrain von vorhin wieder zu hören war. »Gold – Tafak – Gold – Tafak.« Schließlich war es Roger zu viel und er schrie den dunklen Rumpf an:
»Ich weiß nicht, was das soll, verdammt nochmal! Ich will verdammt sein, wenn ich dein Gold wieder anfasse, und die anderen Wörter kenne ich nicht. Halt die Klappe!«
Wieder versetzte er dem Rumpf einen Tritt, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Er war richtig erschrocken, als die Stimme nun schwieg. Er trat ein paar Schritte zurück, gespannt, was als nächstes folgen würde. Er tat gut daran.
Lautlos löste sich das Torpedo vom Boden, schoß in die Höhe, krachte durchs Geäst und verschwand im nachtschwarzen Himmel, begleitet vom Pfeifen empörter Luft. Der Junge blieb wie angewurzelt stehen und sah durch die Lücke in den Ästen hoch. Seine Mühe wurde nicht belohnt. Er sah Sterne und sonst gar nichts.
Roger Wing fand in jener Nacht sehr wenig Schlaf. Die Tatsache, daß er auf dem Weg zu seinem Lager nasse Füße bekam, trug nur zum Teil die Schuld daran.
VIII
»Nein, das ist nicht das Hauptproblem!« Laj Drai wiederholte diese Feststellung eher nachdenklich, als er in den Kontrollraum glitt und die Tür geistesabwesend hinter sich schloß.
»Chef, ich…« Feth kam nicht weiter.
»Ich will Sie nicht unterbrechen. Los, Ken – Sie stehen da vor einem Problem, wie ich sehe. Wir wollen es ausräumen, ehe wir uns dem nächsten zuwenden. Es wird keine Unterbrechungen mehr geben.«
Einigermaßen erstaunt wandte Ken sich wieder dem Mikro zu und fuhr in seinem scheinbar endlosen Singsang fort. Er hatte Drais Drohung schon vergessen gehabt. Obwohl er die Worte nicht verstand, mit denen Roger ihn unterbrach, wußte er doch, daß es lange genug gedauert hatte. Er teilte die Ungeduld des Jungen bis zu einem gewissen Grad. Und das Poltern, als Roger gegen das Torpedo trat, war unmißverständlich.
Es war Drai, der gleich darauf das Torpedo anheben ließ. Auch er hatte diese Worte noch nie zuvor gehört. Sie waren aber so verschieden von den üblichen menschlichen Äußerungen, daß es ihn schauderte. Der Gedanke an gespannte oder gar abgebrochene Beziehungen mit Planet Drei war ihm unerträglich – und dieses Wesen war unmißverständlich erregt und mehr als nur verärgert. Dieser Schlag gegen den Rumpf..
Drais Tentakel fegte an Sallman Ken vorbei. Der Hauptantriebsschalter und der Richtungsgeber wurden betätigt. Ken drehte sich auf seinem Ständer um und sah seinen Chef neugierig an.
»Sie sind ja ebenso außer sich wie der Eingeborene. Was ist denn?«
Laj mußte tief Atem holen. Schließlich aber hatte er seine Stimme wieder unter Kontrolle. Ihm dämmerte, daß sein dramatischer Auftritt nicht sein allerklügster Schachzug gewesen war. Es war nämlich ohne weiteres möglich, daß sein angeheuerter Experte den Namen des irdischen Produkts auf ganz harmlose Weise erfahren hatte. In diesem Fall wäre es sehr ungeschickt, wenn man dem Vorfall zuviel Gewicht beimaß, nach außen hin zumindest. So unauffällig als möglich wechselte er das Thema. »Ihre chemische Analyse ist wohl auf Schwierigkeiten gestoßen?«
»Hm, sieht so aus. Die Eingeborenen sind doch nicht so ausgeprägte Tagwesen, wie Sie behauptet haben.« Das war nicht als Verteidigung seiner Vorgangsweise gemeint. Ken fiel bloß keine bessere Antwort ein.
Laj Drai ließ sich Zeit mit seiner Antwort. »Zwanzig Jahre lang haben die immer nur bei Tag Signal gegeben. Ob die Flachländer dahinterstecken? Ich kann mir aber nicht vorstellen wie. Sind Sie wenigstens mit den Tests fertig?«
»Ja, es reicht. Wir müssen das Torpedo wieder hierherbeordern, damit ich feststellen kann, welche Wirkung die Atmosphäre auf meine Proben hatte. Wir wissen schon, daß einige gebrannt haben, aber ich möchte zu gern wissen, was dabei produziert wurde.«
»Sulfide können es nicht sein. Die kommen einem als natürliche Verbrennungsprodukte zuerst in den Sinn.«
»Falls nicht gefrorener Schwefelstaub in gewaltigen Mengen in der Atmosphäre enthalten ist. Aber daran hatte ich gar nicht gedacht. Ich werde eine entsprechende Probe machen. Bis jetzt machen mir die Ergebnisse ziemliches Kopfzerbrechen. Ich kann mir nicht denken, daß es bei dieser Temperatur ein Gas gibt, das die Verbrennung auslöst, und doch gibt es etwas derartiges.«
»Wie steht es mit Fluor?« Laj kramte in den undeutlichen Erinnerungsbrocken eines naturwissenschaftlichen Grundkurses.
»Tja, schon möglich – aber wie kann es in der Atmosphäre frei vorkommen? Man möchte meinen, daß es zu aktiv wäre, sogar bei dieser Temperatur. Das trifft natürlich auf alle verbrennungsfördernden Elemente zu, deswegen müssen wir abwarten, bis die Proben da sind. Ich bin fast schon soweit, daß ich eine Landung auf dem Planeten riskieren würde, nur um zu sehen, wie es dort aussieht.«
Drai reagierte mit einem bezeichnenden Achselzucken. »Wenn Sie und Feth einen praktikablen Weg sehen, dann werde ich Sie nicht aufhalten. Damit können Sie sich sogar einen Bonus verdienen. Bis Ihr Zeug wieder da ist, dauert es drei Tage, und in der Zwischenzeit gibt es nicht viel zu tun. Feth stellt das Torpedo auf den Leitstrahl ein, sobald die Entfernung von Planet Drei entsprechend ist.«
Ken faßte dies als Wink auf, daß er gehen sollte. Er ging hinaus und ließ sich ziellos durch die Korridore treiben. Im Moment mußte er ohnehin einige Überlegungen in eigener Sache anstellen. Wie Drai gesagt hatte, konnte man vor der Ankunft des Torpedos nichts unternehmen. Er hatte also keine Ausrede, sich Rades Problem nicht durch den Kopf gehen zu lassen.
Das Produkt hieß ›Tafak‹. Zumindest hatte er diese Information bekommen. Rade hatte den Namen des Rauschgifts nicht gekannt, daher war der Wert dieser Information sehr fraglich.