Dieses Planetensystem lag zu Sarr relativ nahe. Wieder eine Tatsache. Die Vorsichtsmaßnahmen, die Drai und seine Leute ergriffen hatten, um diese Tatsache zu verschleiern, konnte man für ein am Rande der Legalität arbeitendes Unternehmen als angemessen ansehen oder nicht. Sie waren mit Sicherheit selbstverständlich, wenn es sich um Schwerkriminalität wie Rauschgifthandel handelte.
Planet Drei war kalt – milde ausgedrückt – und das fragliche Rauschgift hielt normale Temperaturen nicht aus. Das war ein Tatsachenbindeglied von ungewisser Tragfähigkeit und wurde nur ganz leicht von Drais schweigendem Eingeständnis verstärkt, daß ›Tafak‹ ein Pflanzenprodukt war.
Trotz angestrengten Nachdenkens wollte ihm keine weitere Information mehr einfallen, die für Rade auch nur annähernd von Nutzen hätte sein können. Ken nahm es dem Chef der Rauschgiftabteilung ein wenig übel, weil er ihn in diese Sache verwickelt hatte. Die rein astronomischen und ökologischen Probleme, denen er sich dabei gegenübersah, interessierten ihn natürlich sehr viel mehr als einen Berufspolizisten.
Was wußte er überhaupt über diesen verdammten Planeten Drei? Fest stand, daß er bewohnt war, eine an sich schon phantastische Tatsache. Fest stand, daß er unbekannt war. Kein Bildsender und kein bemanntes Raumschiff war jemals in seine Atmosphäre eingedrungen. Das erschien Ken nun bei gründlicher Überlegung ziemlich sonderbar. Auch in Anbetracht der schrecklichen Kälte und der Tatsache, daß eine Atmosphäre Wärme ableitete, wie es im freien Raum möglich war, fand er es unglaublich, daß es einem tüchtigen Ingenieur bislang noch nicht gelungen sein sollte, etwas zu erfinden, womit man auf dem Planeten landen konnte.
Feth war mehr Mechaniker als Ingenieur. Es sah aus, als fehle es dem Unternehmen an wissenschaftlichem Unterbau. Allein die Tatsache, daß man Ken eingestellt hatte, war ein Beweis dafür.
Vielleicht war er bereits in die unmittelbare Nähe von Rades Problem geraten. Es war klar, daß jede interstellare Handelsorganisation über eine gut besetzte eigene Umweltabteilung verfügte. Ohne eine solche Abteilung hätte keiner dieser Konzerne sich lange behaupten können. Man brauchte nur an die sehr merkwürdigen Situationen denken, die sich beispielsweise einstellten, wenn das an Metallen reiche Sarr mit den amphibienhaften chemischen Zauberern von Rehagh in Handelsbeziehungen traten. Und doch war er, Sallman Ken, ein naturwissenschaftlicher Dilettant, das einzige, was Laj Drai sich in dieser Hinsicht zugelegt hatte! Das war nicht nur sonderbar, das war unglaublich! Er fragte sich, wie es Drai geschafft hatte, diesen Umstand auch nur eine Sekunde lang als selbstverständlich erscheinen zu lassen.
Nun, wenn er nichts herausbekam, dann würde man ihn wahrscheinlich nicht behelligen. Er konnte und wollte Planet Drei so gründlich wie nur möglich erforschen, zurückkehren und seine Informationen an Rade weitergeben – der sollte damit anfangen, was er wollte. Planet Drei war interessanter.
Aber wie ließ sich eine Landung auf diesem Teufelsplaneten bewerkstelligen? Nach dem Zusammenstoß mit den Eingeborenen der ebenen, blauen Gebiete würde man große Schiffe lieber nicht einsetzen. Aber Torpedos waren ohne Verluste zwanzig Jahre lang gut durchgekommen. Radarstrahlen in den letzten zwei oder drei Jahren waren die einzige Aktivität, durch die die Flachländer sich bemerkbar gemacht hatten. Und diese konnten durch Viertelwellenabschirmung leicht abgelenkt werden, wie Drai gesagt hatte. Nein, das einzige wirkliche Hindernis stellten die fürchterlichen Umweltbedingungen dar.
In einem Standardschutzanzug konnte ein Sarrianer in einem See aus geschmolzenem Aluminium arbeiten, und zwar eine ganze Weile. In diesem Fall war der Temperaturunterschied geringer, als er es auf dem Eisplaneten sein würde. Die Leitfähigkeit des Metalls müßte größer sein als die der Planetenatmosphäre. Damit ließ sich der Unterschied vielleicht ausgleichen. Und wenn nicht, dann konnte man den Anzug mit zusätzlichen Heizschlangen oder einer Isolierschicht oder gar mit beidem ausrüsten. Warum hatte man nie den Versuch gemacht? Er mußte Feth oder Laj Drai fragen.
Angenommen, eine Landung war auch mit dieser Ausrüstung unmöglich. Aber warum waren dann auch Fernsehaufnahmen unmöglich? Ken wollte einfach nicht glauben, daß man das dünne Glas einer Fernsehröhre nicht so stark kühlen konnte daß es sich den Umweltbedingungen anpaßte, ohne zu zerspringen, auch wenn die elektronischen Teile erwärmt bleiben mußten. Gewiß war der Unterschied nicht größer als in den antiken Glühbirnen.
Diese beiden Fragen mußte er Feth vorlegen. Er hielt jetzt wieder auf den Kontrollraum zu, als er Drai begegnete, der ihn anredete, als hätte er heute keinen einzigen argwöhnischen Gedanken gehegt.
»Feth hat Ihr Torpedo nun auf dem Hauptleitstrahl. Drei Tage lang geht es nun ohne Steuerung dahin. Und Sie machen ein Gesicht, als hätten Sie es eilig, in den Kontrollraum zu kommen.«
»Ich wollte mit Feth etwas besprechen. Ich habe mir überlegt wie ein Raumanzug aussehen müßte, der auf Planet Drei Bestand haben soll. Mir scheint, es ließe sich da etwas machen.« Er lieferte seinem Chef eine zensierte Version seines Gedankenganges.
»Na, ich weiß nicht«, sagte Drai daraufhin. »Das müssen Sie mit Feth besprechen. Seit er bei uns ist, haben wir es schon einige Male versucht. Die Versager traten ein, als wir es mit Fernsehkameras versuchten. Auf der ersten Expedition war er nicht dabei. Damals ging es ja auch gar nicht um Erforschung, wie ich Ihnen schon sagte. Es handelte sich um eine Kreuzfahrt aus purem Vergnügen. Wir hatten so viele Torpedos an Bord, weil der Schiffseigner seine Besichtigungen gern in aller Bequemlichkeit absolvierte. Wenn wir in ein Planetensystem gelangten, schickte er ein ganzes Dutzend aus und blieb mit der Karella im Respektsabstand, bis er etwas entdeckte, was er sehen oder persönlich tun wollte.«
»Kenne ich ihn?«
»Nein, er starb schon vor einiger Zeit. Als wir das hier entdeckten, war er schon hochbetagt. Ich erbte sein Schiff und gründete das Handelsunternehmen.«
»Und wann kam Feth dazu?«
»Ein, zwei Jahre nach der Firmengründung – er ist der Dienstälteste meiner Mitarbeiter. Er kann Ihnen alle technischen Schwierigkeiten erklären, was ich selbst nicht könnte. Also, wenden Sie sich an ihn… falls ihm nach Reden zumute ist.« Ohne seine letzte Bemerkung zu erläutern, ging Drai weiter. Ken wunderte sich nicht darüber, er wußte bereits daß Feth zu den wortkargen Typen gehörte.
Der Techniker war im Moment arbeitslos. Er hing noch immer auf dem Ständer vor der Torpedosteuerung und dachte angestrengt nach. Als Ken eintrat, raffte er sich auf, sagte aber nichts und begnügte sich mit einem Begrüßungsnicken. Ken, dem an Feths Verhalten nichts Ungewöhnliches auffiel, überschüttete ihn geradezu mit seinen Ideen. Er durfte zu Ende sprechen, ohne unterbrochen zu werden.
»Ihre Gründe klingen gut«, mußte der Techniker eingestehen, »und ich habe auch keine Theorie zur Hand, um sie zu entkräften. Ich kann bloß darauf hinweisen, daß die Röhren immer wieder zersplittern. Wenn Sie unbedingt einen Anzug vollgepfropft mit Thermometern und Druckmessern runterschicken wollen, soll es mir recht sein, wenn ich Ihren Optimismus auch nicht teile, was Sie sicher verstehen werden. Ich habe in der Atmosphäre von Planet Drei schon jede Menge tadelloser TV-Röhren verbraucht.«
»Ich gebe gern zu, daß Sie mir an Praxis viel voraushaben«, antwortete Ken, »aber einen Versuch ist es wert.«
»Und wenn die Werte, die uns die Instrumente liefern, akzeptabel sind… wer geht dann als nächstes im Anzug runter? Der Gedanke allein macht mir steife Kniegelenke. Die Vorstellung jagt mir richtig Angst ein, das gebe ich gern zu.«
»Mir auch.« Ken dachte an das nicht zu unterdrückende Gefühl, das ihn erfaßt hatte, als er zum erstenmal Planet Drei erblickte. »Zweifellos ein scheußlicher Ort. Aber ich möchte mehr darüber wissen, und bin gewillt, meine Gesundheit aufs Spiel zu setzen.«