Über diesem Problem schlief er ein – etwa zu dem Zeitpunkt, als wenige Kilometer über ihm das Test-Torpedo in die Atmosphäre eintrat.
XIII
Die Karella bezog eine Position tief im Erdschatten, jenseits des meßbaren Luftdrucks. Der sphärische Kompaß, der auf die tief unten auf dem Planeten installierte Bodenstation eingestellt war, zeigte in eine Richtung, die man als ›gerade hinunter‹ hätte bezeichnen können, wenn nicht Schwerelosigkeit geherrscht hätte. Ordon Lee las etwas, wobei er einen gelegentlichen Blick zu seinem geliebten Instrumentenbrett hin warf, wenn ein Licht aufblinkte. Dies war ziemlich oft der Fall, da Ken und Feth die Tests der Kälteschutzanzüge auf Massenproduktionsbasis gestellt hatten. Einer der Anzüge war bereits zurück und war auch schon untersucht worden. Feth stand mit einem gewöhnlichen Raumanzug bekleidet in der offenen Luftschleuse, löste den zweiten Anzug aus den Halterungen und befestigte statt dessen den dritten. Mit Ken, der die Torpedosteuerung bediente, stand er in Funkkontakt.
Ken hielt das Torpedo so gut es eben ging teils in der Luftschleuse fest, die für solche Manöver nicht geschaffen war und die volle Länge des Torpedos nicht aufnehmen konnte. Feth hatte aus demselben Grund seine Schwierigkeiten, und die Schleusen-Blockierungs-Anzeige auf Lees Instrumentenbrett flackerte hysterisch.
Nachdem das Torpedo nochmals auf die dunkle Fläche unten losgeschickt worden war, beruhigte sich die Lage ein wenig – aber wirklich nur ein wenig. Feth brachte den zweiten Anzug hinein, schloß dabei die Außentür und brachte damit wieder ein anderes Lämpchen zum Aufflackern, und Lee wurde in seiner Lektüre wieder empfindlich gestört. Dann sah man nur mehr das schwächer werdende Abstandslicht des sich entfernenden Torpedos, und Ken mußte nun seine Aufmerksamkeit teilen. Er mußte die Steuerung überwachen, lechzte aber gleichzeitig danach, Feth bei seiner Tätigkeit zuzusehen. Er wußte schon, daß der erste Anzug tragbar war. Die Innentemperatur war um vierzig Grad gefallen. Dies stellte einen Wärmeverlust dar, den sein eigener Kreislauf leicht ausgleichen konnte. An der Heizeinheit war nun ein Regler angebracht, den Feth absichtlich niedrig eingestellt hatte, damit der Wärmeverlust meßbar blieb. Da diese Einschränkung nun nicht mehr existierte, würde er sich auf dem Eisplaneten so wohl fühlen, wie es in einer Metallhülle von hundertzwanzig Kilo Gewicht möglich war.
Da er dies jetzt wußte, machte er sich um den zweiten Anzug schon viel weniger Sorgen. Dennoch war es ihm unmöglich, sich auf die Tätigkeit des Steuerns zu konzentrieren. Er schrak zusammen, als ein Summer an seinem eigenen Instrumentenbrett ertönte, der anzeigte, daß sein Torpedo auf Außendruck gestoßen war. Da Ken es versäumt hatte, die Geschwindigkeit herabzumindern, hatte er eine Weile ganz schön zu tun. Und als er seinen Kundschafter gelandet hatte – sicher, wie er hoffte, hatte auch Feth seine Arbeit beendet. Sie verfügten jetzt über zwei einsatzbereite Anzüge.
Damit war Ken und Feth die größte Sorge abgenommen. Sie waren auch nicht sonderlich enttäuscht, als der dritte Anzug der Überprüfung nicht standhielt. Ken ahnte den Grund: Feth hatte festgestellt, daß an Bein- und ›Ärmel‹-Gelenken Lecks aufgetreten waren, weil diese Stellen bei hoher Beschleunigung besonders stark beansprucht wurden. Er hielt aber mit seiner Meinung zurück, und Feth stellte keine Fragen. Ken hatte das unbehagliche Gefühl, daß der Techniker mit seinen erstaunlichen Chemie- und Physikkenntnissen ohnehin zu demselben Schluß gelangt war.
Diese Sorge, falls man es überhaupt so nennen konnte, ging in der Hast der letzten Vorbereitungen für die Landung unter. Ordon Lee weigerte sich noch immer rundheraus, mit seinem Schiff in die Hitzefalle der Erdatmosphäre einzutauchen, ungeachtet der zwei Anzüge, die den Test gut überstanden hatten. Daher würde Ken so wie die leeren Schutzanzüge auf die Oberfläche niedergehen müssen – an die Außenwand des Torpedos geklammert. Man mußte die Halterungen natürlich entsprechend ändern, so daß er sie selbst lösen konnte, und das brauchte einige Zeit. Ken nahm noch eine ausgiebige Mahlzeit zu sich und trank als Vorsichtsmaßnahme ziemlich viel… die Sarrianer erzeugten fast alle notwendigen Flüssigkeiten im eigenen Körpergewebe.
Falls Ken auch nur den leisesten Zweifel verspürte, als er die Metallhülle betrat, die seinen einzigen Schutz gegen die denkbar unwirtlichste Umgebung darstellen würde, so ließ er sich davon nichts anmerken. Das ließ sein Stolz nicht zu. Er sagte kein Wort, während Feth sorgfältig den oberen Teil festmachte… man stieg von oben in den Anzug – und mit einem winzigen Stethoskop die Ausgleichspumpen abhörte. Befriedigt nickte er dem gepanzerten Ken zu. Dieser faßte mit einem seiner Greifhaken nach einer Wandrunge und setzte seine Masse in Richtung Luftschleuse in Bewegung.
Er mußte im Korridor warten, während Feth seinen Raumanzug wieder anzog. Und dann hieß es nochmal geduldig in der Schleuse warten, während Feth den Anzug sorgsam am Torpedorumpf befestigte. Schließlich zeigte sich auch Lee hilfsbereit und hielt das Torpedo in der Schleuse gegen die Zugkraft der Meteor-Abweiser fest, die er nicht einmal für einen Moment anstellen wollte.
Auch als sich die Außentür zwischen Ken und dem übrigen bewohnten Raum innerhalb mehrerer Millionen Kilometer schloß, verlor er nicht die Beherrschung. Zum Glück hatte er sich mittlerweile an die Schwerelosigkeit gewöhnt. Das Gefühl endlosen Fallens zeitigt nämlich manchmal ernsthafte seelische Störungen. Nicht einmal die relative Leere des ihn umgebenden Alls machte ihm viel aus, da er genügend Objekte sehen konnte, um nicht die Orientierung zu verlieren. In diesem Bereich waren so viel Sterne zu sehen wie in der Nähe seines Heimatplaneten, da zweihundert Parsek in der Größenordnung der Galaxis wenig ausmachen.
Er behielt die Ruhe, bis Sehvermögen und Gleichgewichtsgefühl ihm übereinstimmend sagten, daß er sich im Zustand des Fallens befand. Die Karella war schon längst hinter – oder über – ihm verschwunden. Die Sonne stand in derselben Richtung, da man sich ohne Diskussion darauf geeinigt hatte, daß die Landung auf der Tagseite des Planeten stattfinden sollte. Weitaus mehr Debatten hatte es gegeben, als es darum ging, ob man den alten Landeplatz ansteuern sollte – Ken wollte natürlich die Eingeborenen sehen, doch war auch seine wissenschaftliche Neugierde von Vorsicht gebremst worden. Feth, der den Ausflug schlicht als zusätzlichen Test für den Anzug ansah, hatte in den Eingeborenen nur eine zusätzliche Komplikation gesehen und hatte sich dagegen ausgesprochen. Doch die Neugierde hatte den Sieg davongetragen. Ken steuerte nun den Zielsender an, an dem immer das Handelsgeschäft abgewickelt wurde. Er wußte, daß er ein wenig nach Westen driften würde – er wollte zwar seinem Eingeborenen begegnen, wollte aber mit dem Handel nicht mehr als nötig zu tun haben. Ihm war natürlich klar, daß diese Lebewesen sich bewegen konnten, weigerte sich aber standhaft, sich das Ergebnis auszumalen, falls derjenige, dem ein so großer Schreck eingejagt worden war, den Handelsleuten über den Weg gelaufen war. Er betrachtete dies als sinnlose Vermutungen und hatte recht damit.
Jetzt konnte er schon deutlich die größer werdende Welt unten sehen – er hatte jedenfalls das Gefühl von ›unten‹ –, da Feth die Sinkgeschwindigkeit des Torpedos herabminderte. Das Torpedo selbst konnte er gar nicht so leicht sehen, da sein Anzugpanzer vom Torpedo weggerichtet war und die Sichtscheiben auf der Rückseite des Helms dem Rumpf zu nahe waren. Langsam begann er sich daher wie jemand zu fühlen, der an einem Seil zweifelhafter Stärke vom Rand eines hohen Daches hängt. Wäre sein Stimmapparat mit dem Atemsystem so eng verbunden gewesen wie bei menschlichen Wesen, dann hätten die beiden auf der Karella seinen Gemütszustand über Funk mitbekommen. So aber konnten sie seine beschleunigte Atmung nicht hören, und er mußte seine Angst allein und still durchleiden. Und das hatte auch sein Gutes. Ordon Lee hätte wohl kaum mitfühlend reagiert, und Feth, dem noch eher ein derartiges Gefühl zuzutrauen war, hätte ihm nicht laut Ausdruck verliehen.