»Sie geben den Anzug auf? Ich dachte, der wäre teuer gewesen«, sagte Ken zuckersüß und zog den massiven Helm mit einem Scheppern zu.
Feth, der alles mitangehört hatte, rückte den Helm noch einmal richtig zurecht. Er selbst hatte seit Jahren nicht mehr so mit Drai gesprochen und wurde noch von unangenehmen Erinnerungen an jenes letzte Mal verfolgt. Deswegen machte er sich Sorgen. Natürlich durchschaute er, was hinter Kens Haltung steckte. Ken wollte Drai so weit verärgern, daß dieser nur in einem Punkt Verdacht schöpfte. Und dieser eine Punkt war genau das, was Ken anstrebte. Feth mußte sich eingestehen, daß dieser Teil des Gesprächs sehr geschickt geführt worden war. Dennoch war er nicht sicher, ob ihm Laj Drais Miene gefiel, als dieser sich in Hörweite der Funkanlage bequem zurechtrekelte.
Er wurde aus seinen Überlegungen gerissen, als Ken von der Luftschleuse hereinrief und meldete, daß er am Torpedo festhing.
»Ich möchte hier mit meiner eigenen Steuerung raus und mich ein bißchen bewegen, weil ich hier in der Nähe des Schiffes gut beurteilen kann, ob es klappt. Hier habe ich gerade genug Trägheit und noch kein Gewicht.«
»Hört sich vernünftig an«, stimmte Feth ihm zu. Er nahm die Tentakel vom Instrumentenbrett. Ein Auge blieb auf die Instrumente gerichtet, während das andere nach der nächsten Sichtscheibe blickte. In wenigen Sekunden kam der zigarrenförmige Metallkörper in Sicht, zuerst in die eine, dann in die andere Richtung schnellend. Die ungeschlachte Gestalt Kens hing von einem Punkt nahe am Bug, der Vivarien-Behälter ein Stück weiter hinten. Auch das Vivarium war viel zu groß für die Frachtkammer. Ken hatte offenbar keine Schwierigkeiten, mit der provisorisch wirkenden Anlage zurechtzukommen. Plötzlich gab Ken das Zeichen dafür, daß er flugbereit wäre.
»Alles klar«, sagte Feth. »Bin wieder dran. Geben Sie bloß acht, daß Ihre Steuerung auf Null steht. Die beiden Systeme sind nicht querverbunden, und die Impulse summieren sich algebraisch. Übrigens… es ist alles in der Frachtkammer untergebracht.« Das zweite Torpedo mit den ersten Proben war von seinem einsamen Landeplatz auf Merkur erlöst worden, und Laj Drai wußte davon. Feth hoffte daher, er hätte die leichte Betonung des Wörtchens ›alles‹ überhört. Der Techniker hatte das zusätzliche Funkgerät zusammen mit den anderen Dingen in die Frachtkammer getan, im allerletzten Moment, so daß er keine Zeit mehr gehabt hatte, Ken Bescheid zu sagen. Er hoffte bloß, Ken würde damit richtig umgehen können.
Ken allerdings hatte keine Ahnung, was Feth da angedeutet hatte. Er wappnete sich schon für den Abstieg, der seinen Nerven beim letzten Mal so zu schaffen gemacht hatte. Diesmal gelang es ihm besser, mit ihnen fertigzuwerden, da er in Gedanken meist bei den Problemen war, die ihm nach der Landung bevorstehen würden. Es waren ihrer nicht wenige.
Er fand mühelos den Schauplatz der Zusammenkunft, obwohl Feth es nicht gelang, ihn direkt darüber hinunterzulassen. Er sah, daß es noch sehr früh war. Die Sonne war kaum aufgegangen. Um so besser. Zur Sicherheit gab er an Feth durch, daß er gelandet war und nun selbst die Steuerung übernähme. Dann machte er sich an die Arbeit.
Als erstes lenkte er das Torpedo bergab bis an den Rand eines ausgedehnten Flecks mit Pflanzenbewuchs. Ehe er sich in die Arbeit stürzte, vergewisserte er sich, daß dieser Fleck isoliert war. Die Reaktion der Pflanzen auf heißes Metall hatte ihn ungemein beeindruckt, dazu kam sein Übermaß an Phantasie. Er steuerte das Torpedo so tief herunter, bis das Vivarium auf dem Boden auftraf. Jetzt löste er den Behälter aus den Halterungen. Der Doppeldeckel ging leicht auf, da Feth nämlich die mögliche Wirkung niedriger Temperaturen auf die Metallscharniere berücksichtigt hatte. Ken konnte sich an die Arbeit machen.
Die Erdproben wurden aus der Frachtkammer ins Vivarium umgelagert, alles zusammen auf eine Seite. Unter Zuhilfenahme eines Metallstabes, den er zu diesem Zweck mitgebracht hatte, ebnete Ken die dunkle Masse zu einer etwa sieben Zentimeter hohen Schicht ein, die etwa dreißig Zentimeter des Behälters der Länge nach ausfüllte. Dann benutzte er den Stab als provisorische Schaufel. Winziges Strauchwerk, Moosteile und andere Gewächse wurden aus dem Boden gelöst, wobei Ken es sorgfältig vermied, seinen Panzer mit ihnen in Berührung zu bringen. Den Metallstab legte er häufig weg, damit er abkühlte.
Er untersuchte die verschiedenen Wurzelsysteme und grub eine zusätzliche Ladung Erde an jeder Stelle aus, wo er eine Pflanze entnommen hatte, damit die Erdschicht im Vivarium ausreichend tief ausfiel. Der Reihe nach verpflanzte er die Proben in den Behälter, viel dichter, als es einem irdischen Gärtner genehm gewesen wäre, aber immerhin pflanzte er sie fest ins Erdreich ein, so daß sie aufrecht dastanden. Ein oder zweimal warf er sehnsüchtige Blicke zu den größeren Sträuchern hin, gab aber den Gedanken auf. Die waren zu groß, und nach einer kurzen Untersuchung merkte er auch, daß die Wurzeln zu lang waren.
Er hatte ein Drittel der Vivarienfläche vollgepflanzt, als die Wings eintrafen. Roger und Edie waren den anderen ziemlich voraus. Die zwei Jüngsten wären ihnen wahrscheinlich knapp auf den Fersen gewesen, wenn sie nicht schon einen so langen Marsch hinter sich gehabt hätten. So aber waren sie bereits müde und kamen zugleich mit ihren Eltern an.
Ken beobachtete nun, wie die restlichen Familienmitglieder näher kamen. Die Größe von Mr. und Mrs. Wing erstaunte ihn ein wenig. Die Individuen, die er zuerst gesehen hatte, waren vermutlich Kinder. Die Erwachsenen waren viel imposanter, wenn man sich allein von der Körpergröße beeindrucken ließ. Ken vermutete, daß sie den Sarrianer im Durchschnitt um ein Viertel Körpergewicht übertrafen, vorausgesetzt, es war ihr Körper, der diese seltsamen Kleidungsstücke füllte, und vorausgesetzt, sie hatten Fleisch von vergleichbarer Dichte. Die älteren Eingeborenen traten viel bestimmter auf, viel würdiger und ernster. Den unreifen Exemplaren hatte es an diesen Eigenschaften gemangelt. Es war das erste Mal, daß Ken in den Erdbewohnern möglicherweise zivilisierte Wesen sah.
Ken hörte sie nicht kommen. Das Mikro im Torpedo war nicht so empfindlich, und Roger ließ diesmal keinen Ausruf laut werden, als er Ken bemerkte. Statt dessen kamen die Kinder ganz nahe heran und wollten sehen, was er machte. Erst als Rogers Neugierde in diesem Punkt befriedigt war, begrüßte er ihn laut und hörbar.
»Sie sind früh dran, wie ich sehe.«
»Warum sagten Sie nicht, daß sie kommen?« zischte Drais Stimme aus dem Lautsprecher.
»Hab sie nicht gesehen. Ich war an der Arbeit«, gab Ken ruhig zurück. »Wenn Sie wollen, daß wir mit der Verständigung weiterkommen, dann verhalten Sie sich gefälligst ruhig. Die Eingeborenen können nicht unterscheiden, ob ich es bin, der da spricht und werden durch zusätzliche Geräusche bloß verwirrt.«
Das Verhalten des größten jedenfalls verriet einen disziplinierten Verstand. Mr. Wing verlor keine Zeit. Er ließ sich vor Ken nieder, zog ein Notizbuch hervor, in dem er bereits die Worte aufgeschrieben hatte, von denen Roger behauptete, er hätte sie dem Außerirdischen beigebracht, und ging sie der Reihe nach durch. Er sah auf, als Ken jedes dieser Worte aussprach. Ken deutete zusätzlich auf jeden genannten Gegenstand. Befriedigt, daß alles verstanden worden war, stürzte sich der Mann mit Zielstrebigkeit und Geschick in eine Sprachlektion, die bewirkte, daß Ken ihn als artverwandtes Wesen betrachtete, noch ehe eine echte Kommunikation stattgefunden hatte. Zu einer Verständigung kam es erst nach einer gewissen Zeit, doch dauerte es bei weitem nicht so lange, wie man vielleicht befürchtet hatte. Zu einem Gedankenaustausch über alltägliche Dinge genügt ein Wortschatz von weniger als tausend Wörtern. Die eingetretene Situation war zwar keineswegs alltäglich, doch dank Mrs. Wings Zeichentalent und dem Eifer der Kinder, alle erforderlichen Tätigkeiten praktisch vorzuführen, war der Fortschritt für beide Teile sehr zufriedenstellend.