Der andere gab keine Antwort.
Alle wußten, welche Gedanken ihm durch den Kopf gingen. Und als er sich zu seiner Äußerung durchrang, da verspürte Ken so etwas wie Selbstzufriedenheit. Er hatte alles richtig vorhergesehen.
»Und die Flachländer… könnten die in der Flüssigkeit leben? Aber vielleicht gibt es die gar nicht. Die Flüssigkeit muß unsere Torpedos zerstört haben! Und was ist mit den Radarstrahlen? Die haben wir eindeutig aufgespürt!« Er sah Ken an, als hätte er ein entscheidendes Gegenargument gebracht.
»Sie haben nicht den geringsten Beweis dafür, daß diese Strahlen nicht von den Eingeborenen erzeugt wurden, mit denen Sie Beziehungen hatten. Ich sagte schon, daß sie sehr fähige Astronomen sind. Ich glaube, Sie haben in den vergangenen zwanzig Jahren einem sehr interessanten Mythos angehangen, obwohl ich zugeben muß, daß der Idee ein paar handfestere Beweise gutgetan hätten.«
Drai hielt ein Auge auf die geheimnisvolle Flüssigkeit gerichtet, während er das andere zum Piloten hin drehte.
»Lee, geh zweitausend Meter in die Höhe und dann in irgendeine Richtung, egal wohin.«
Lee kam der Anordnung schweigend nach. Lee flog nicht die kürzeste Route zum Ozean, doch die Geschwindigkeit des Schiffes war auch innerhalb der Atmosphäre so groß, daß sich in nur wenigen Minuten das sagenhafte ›Flachland‹ unter ihnen erstreckte. So nahe hatten sie sich in zwanzig sarrianischen Jahren nicht herangewagt. Der Kapitän deutete stumm nach unten. Gleich darauf hingen sie wenige hundert Meter über den Wellen. Drai sah lange hinunter. Dann sprach er fünf Worte zu Ken: »Holen Sie eine Probe herauf.«
Ken überlegte kurz. Dann suchte er die kleine Bombe, in der er auf Mars die Frostprobe aufbewahrt hatte, pumpte die Luft heraus und verschloß das Ventil. Er kletterte in seinen Panzer und stapfte in die Luftschleuse, nicht ohne Lee eindringlich zu ermahnen, das Schiff ruhig zu halten.
Er befestigte nun einen Draht an der Bombe selbst und einen zweiten am Ventilgriff. Sodann öffnete er die äußere Tür, ließ die Bombe hinunter, so lange, bis er am Gewichtsverlust spürte, daß sie eingetaucht war. Nun zog er den zweiten Draht, wartete einen Augenblick und zog die gefüllte Bombe zurück, deren Ventil er wieder schloß. Dann wurde die Außentür der Luftschleuse geschlossen.
Natürlich explodierte die Bombe innerhalb weniger Sekunden, nachdem der Schwefel auf ihrer Oberfläche nicht mehr kondensierte. Ken war froh, daß er noch nicht aus dem Panzer geschlüpft war. Weggesprengte Bombenteile hatten das Metall sogar versengt. Nach kurzer Überlegung unternahm er einen zweiten Versuch. Diesmal ließ er einen kleinen Schwamm aus Glaswolle hinunter in der Hoffnung, die Flüssigkeit würde ein ausreichendes Maß an natürlicher Kapillarkraft haben. Er verschloß das Schwämmchen in einer zweiten Bombe und bestimmte schließlich mit derselben Methode, die er bei der Mars-Probe angewendet hatte, das Molekulargewicht der Substanz. Es fiel höher aus als beim ersten Mal, doch er entdeckte die Salzablagerungen auf dem Schwamm und berücksichtigte sie bei der Gewichtsberechnung. Das Ergebnis beseitigte jeden Zweifel daran, daß es sich bei dieser Substanz tatsächlich um Wasserstoffoxid handelte.
Er sah hinunter auf die bewegte blaue Fläche. Dabei fragte er sich, wie tief die Flüssigkeit reichte und ob sie Auswirkungen auf die Umweltbedingungen des Eisplaneten hatte. Dann drehte er sich um, kroch aus dem Panzer – er hatte ihn seit Beginn des Experiments nicht mehr abgelegt – und ging zu Drai, um ihm Bericht zu erstatten.
Der Drogenschieber hörte ihm schweigend zu. Das Über-Bord-Werfen seiner bisherigen Anschauung hatte ihm sichtlich zu schaffen gemacht. Es dauerte lange, bis er etwas herausbrachte, und er sagte nur: »Zurück auf Planet Eins, Lee. Ich muß nachdenken.«
Ken und Feth sahen einander an, hüteten sich aber, auch nur eine Andeutung von Genugtuung erkennen zu lassen.
XX
»Sieht so aus, als hätten Sie es geschafft.« Feths Worte klangen bedrückt.
»In welcher Hinsicht?« fragte Ken. Die beiden waren allem Anschein nach damit beschäftigt, die mechanische Funktionsfähigkeit der gekühlten Vivarien-Behälter zu überprüfen.
»Ich habe Jahre darauf verwandt, den Flachland-Mythos zu nähren. Dabei war mir klar, daß es nur eine Theorie war, aber Drai mußte den Unterschied zwischen Tatsachen und Mythos erst gezeigt bekommen. Und ich habe mein Bestes getan, um die Tafak-Produktion auf einem Minimum zu halten.«
»Vorausgesetzt, sie stagnierte nicht ganz«, warf Ken nicht ohne Schärfe ein.
»Stimmt. Und jetzt kommen Sie daher und lassen die Geschichte hochgehen, die ihn davon abhielt, den Planeten zu erforschen. Gleichzeitig geben Sie ihm ein Mittel in die Hand, durch Gewalt und Drohungen von den Eingeborenen zu bekommen, was er möchte. Falls Sie überhaupt Ideen gehabt haben, dann sind es bloß Versager.«
»Ach, so würde ich das nicht sehen. Sie sahen ja, wie Drai zumute war, als er von Bord ging.«
»Ja gewiß, ihn reuten die vergeudeten Jahre und das gleichzeitig vergeudete Geld, nehme ich an. Aber diese Reue wird nicht mehr lange anhalten. Sein Mißmut dauert jetzt schon ein paar Tage. Er wird…«
Während Feth düster seine Ansichten vortrug, dachte Ken angestrengt nach. Jetzt unterbrach er ihn rüde.
»Dann wird es zu spät sein. Feth, Sie müssen mir eine Weile blindlings vertrauen. Ich verspreche Ihnen, daß Sie um Ihre Dosis nicht umfallen werden. Ich werde jetzt ein paar Stunden in der Luftschleuse zu tun haben. Lee ist noch an Bord. Ich möchte, daß Sie zu ihm gehen und ihn festnageln. Wie, das ist Ihre Sache. Er soll nicht sehen, was ich mache. Sie kennen ihn länger als ich und können sich sicher etwas ausdenken, was ihn interessieren könnte. Bloß töten dürfen Sie ihn nicht. Wir brauchen ihn noch.«
Feth sah Ken voller Zweifel an. Ken sagte nichts mehr und überließ es ihm allein, den Kampf mit einer ganz natürlichen Furcht auszukämpfen.
Als Feth schließlich sagte ›In Ordnung‹, war Ken erleichtert, aber nicht weiter verwundert. Er wartete ab, bis Feth in Richtung Kontrollraum verschwunden war. Als er einigermaßen sicher sein konnte, nicht gestört zu werden, schloß er die innere Luftschleusentür, zog einen gewöhnlichen Raumanzug über und machte sich eifrig ans Werk.
Es tat ihm leid, daß er dabei einige seiner lebenden Proben opfern mußte, tröstete sich aber mit dem Gedanken, daß man diese später ersetzen könne. Und das Vivarium, das er jetzt benutzen wollte, enthielt nur ein paar Pflänzchen. Das Feuer war dazwischengekommen, ehe die Kinder es hatten füllen können. Das war Voraussicht und nicht nur Glück. Er hatte entscheiden müssen, welches er benützen würde, ehe er den Planeten verlassen hatte.
Feth konnte im Kontrollraum feststellen, daß seine Aufgabe nicht zu schwierig sein würde. Er stand mit dem Piloten nicht auf allerbestem Fuß, empfand aber für ihn nicht den glühenden Haß, den er Drai gegenüber hegte. Lee hatte in der Vergangenheit bewiesen, daß er nicht viel Skrupel kannte, andererseits konnte Feth sich an nichts erinnern, was ausgesprochen negative Gefühle gerechtfertigt hätte. Folglich war es nichts Besonderes, als Feth nun in den Kontrollraum geschlendert kam und sich auf einen Schwatz niederließ. Der Pilot war in seine Lektüre vertieft wie immer, wenn er dienstfrei hatte. Auf seine Frage, wo Ken wäre, sagte Feth, dieser bastle mit seinem Grünzeug in der Luftschleuse herum.
»Warum muß er die Luftschleuse zum Labor umfunktionieren?« äußerte Lee im Klageton. »Ich sagte ihm schon, daß es eine schlechte Angewohnheit ist. Er hat ja ein richtiges Labor in der Station. Warum bringt er die Proben nicht dorthin?«
»Ich schätze, er hofft im Falle eines Kühlsystemdefekts die Luft aus der Schleuse pumpen zu können, damit die Proben es überstehen, bis er den Fehler behoben hat«, antwortete Feth. »Aber Sie müssen ihn selbst fragen, wenn Sie Genaueres wissen wollen. Aber ich würde mir da keine Sorgen machen. Wir sind bloß zu dritt an Bord, und Kens Behälter sind ja nicht so groß, daß sie im Weg stünden, falls die Antriebe verrückt spielen.«