»Ich glaube, es war auf der Hochzeit von L?=wellyn«, meinte Mrs. Oliver.
»Ja, das könnte stimmen. Wie schrecklich Moira als Brautjungfer aussah. Diese furchtbar unvorteilhaften aprikosenfarbenen Kleider, die sie trugen.«
»Ich weiß. Die haben ihnen gar nicht gut gestanden.«
»Ich finde, heute sind Hochzeiten längst nicht mehr so hübsch wie zu unsrer Zeit. Manche haben so merkwürdige Kleider an. Neulich war eine meiner Freundinnen auf einer Hochzeit und erzählte, daß der Bräutigam in gesteppten weißen Satin gekleidet war, mit Rüschen am Hals. Aus Valenciennesspitzen. Wirklich sehr merkwürdig. Und das Mädchen trug einen höchst seltsamen Hosenanzug. Auch weiß, aber über und über mit grünen Kleeblättern bedruckt. Meine liebe Ariadne, kannst du dir so was vorstellen? Wirklich! Noch dazu in der Kirche! Wenn ich der Geistliche gewesen wäre, hätte ich es abgelehnt, sie zu trauen.«
Der Tee kam.
»Neulich traf ich mein Patenkind Celia Ravenscroft«, sagte Mrs. Oliver. »Erinnerst du dich an die Ravenscrofts? Natürlich ist es schon viele Jahre her.«
»Die Ravenscrofts? Warte mal! Das war doch diese traurige Tragödie! Angeblich ein Doppelselbstmord, nicht wahr? In der Nähe ihres Hauses in Overcliffe.«
»Was du für ein großartiges Gedächtnis hast, Julia«, meinte Mrs. Oliver.
»Hatte ich immer schon. Obwohl ich manchmal Schwierigkeiten mit Namen habe. Ja, es war sehr tragisch.«
»Wirklich sehr tragisch.«
»Einer meiner Vettern kannte sie sehr gut, in Indien, Roddy Foster, weißt du. General Ravenscroft machte eine glänzende Karriere. Natürlich war er, als er pensioniert wurde, ein bißchen taub. Manchmal hörte er nicht richtig, was man sagte.« »Kannst du dich noch gut an sie erinnern?«
»Aber ja. Sie wohnten doch fünf oder sechs Jahre in Overcliffe.«
»Ich habe ihren Vornamen vergessen«, gestand Mrs. Oliver. »Margaret, glaube ich. Aber jeder nannte sie Molly. Ja, Margaret. Damals hießen viele Mädchen so, nicht? Sie trug eine Perücke, erinnerst du dich?«
»So ganz genau weiß ich es nicht mehr, aber ich glaube, ja.«
»Sie wollte mich auch dazu überreden. Sie behauptete, das sei auf Reisen so praktisch. Sie hatte verschiedene Perücken. Eine für den Abend und eine für die Reise und eine - eigentlich merkwürdig, findest du nicht? Sie hätte doch einen Hut aufsetzen können.«
»Ich kannte sie nicht so gut wie du«, erklärte Mrs. Oliver, »und zur Tatzeit war ich auf einer Reise durch die USA. Deshalb habe ich eigentlich nie genauere Einzelheiten erfahren.« »Nun, es war alles sehr geheimnisvoll«, sagte Julia Carstairs. »Niemand wußte etwas. Es wurden so viele Geschichten herumerzählt.«
»Was hat man bei der polizeilichen Untersuchung festgestellt - ich nehme an, es fand eine statt?«
»Aber natürlich! Die Polizei mußte die Sache untersuchen. Es war einer dieser unklaren Fälle, weißt du? Sie konnten nicht genau sagen, was passiert war. Es schien möglich, daß General Ravenscroft seine Frau und dann sich erschossen hatte, aber offenbar war es genauso wahrscheinlich, daß Lady Ravenscroft erst ihren Mann und dann sich umbrachte. Die plausibelste Erklärung war, daß sie gemeinsam Selbstmord begangen hatten, aber es konnte nicht festgestellt werden, wie es dazu kam.«
»Die Möglichkeit eines Verbrechens schied aus?«
»Aber ja! Es hieß ganz ausdrücklich, daß nichts darauf hindeutete, daß etwas an der Sache faul war. Es gab keine Fußabdrücke oder irgendwelche Anzeichen, daß jemand in der Nähe gewesen war. Sie gingen nach dem Tee spazieren, wie sie das häufig taten. Sie kamen nicht zum Essen zurück, und der Diener oder der Gärtner ging sie suchen und fand sie beide tot. Der Revolver lag zwischen den Leichen.«
»Der Revolver gehörte ihm, nicht wahr?«
»Ja. Er besaß zwei. Diese alten Militärs tun das häufig. Sie fühlen sich so wohl sicherer, heutzutage passiert ja soviel. Ein zweiter Revolver lag noch zu Hause in einer Schublade. Er muß die Waffe absichtlich mitgenommen haben. Ich kann mir nicht denken, daß sie einen Revolver auf einen Spaziergang mitgenommen hätte.«
»Nein. Nein, das hätte sie wohl nicht so einfach machen können.«
»Anscheinend gab es keinerlei Beweise dafür, daß sie unglücklich gewesen waren oder sich gestritten hätten oder irgendeinen Grund, warum sie Selbstmord begehen hätten sollen. Natürlich weiß man nie, was für traurige Dinge es im Leben seiner Mitmenschen gibt.«
»Ja«, pflichtete Mrs. Oliver bei. »Das weiß man nie, Julia. Hast du irgendwelche Vermutungen?«
»Nun, man macht sich so seine Gedanken, liebe Ariadne. Weißt du, vielleicht war er krank. Vielleicht hat man ihm gesagt, er müßte an Krebs sterben. Aber das stimmte laut dem medizinischen Befund nicht. Er war ganz gesund. Soviel ich weiß, hatte er mal - wie heißt es gleich - einen Herzinfarkt. Lateinisch klingt es nach Krone, aber es ist ein Herzanfall. Jedenfalls hat er so was gehabt, war aber kuriert. Sie war ziemlich nervös. Sie war immer schon neurotisch gewesen.« »Ja, daran erinnere ich mich«, sagte Mrs. Oliver. »Natürlich kannte ich sie nicht sehr gut, aber -«, fragte sie plötzlich, »trug sie damals eine Perücke?«
»Also weißt du, daran kann ich mich nicht genau erinnern. Sie hat ihre Perücke immer getragen. Eine von ihnen, meine ich.« »Ich finde nur«, sagte Mrs. Oliver. »Irgendwie hab' ich das Gefühl, daß man kaum eine Perücke aufsetzt, wenn man sich oder seinen Mann erschießen will, meinst du nicht auch?«
Die beiden Damen besprachen diesen Punkt lebhaft.
»Was glaubst du nun wirklich, Julia?« fragte Mrs. Oliver dann.
»Nun, wie gesagt, liebe Ariadne, man macht sich seine Gedanken. Es wurde allerhand geredet, das ist ja immer so.«
»Über ihn oder sie?«
»Es hieß, da sei eine junge Frau im Spiel gewesen, weißt du. Sie soll als seine Sekretärin gearbeitet haben. Er hat in Indien seine Memoiren geschrieben - ein Verlegerauftrag, glaube ich -, und er hat ihr immer diktiert. Einige behaupten - ach, du weißt schon, was manchmal geredet wird -, daß er vielleicht ... was angefangen hat mit dem Mädchen. Sie war nicht mehr ganz jung. Über dreißig, und sah nicht besonders gut aus. Es gab keinen Skandal, aber man kann nie wissen. Manche Leute glaubten, er hätte seine Frau erschossen, weil er das Mädchen heiraten wollte. Aber idi hab's nie geglaubt.«
»Was hast du denn geglaubt?«
»Also, natürlich habe ich mir schon Gedanken über sie gemacht.«
»Du meinst, daß auch von einem Mann die Rede war?«
»In Indien soll mal was gewesen sein. Sie soll sich mit einem jungen Mann eingelassen haben, viel jünger als sie. Und ihrem Mann hat das nicht gefallen, es gab einen kleinen Skandal. Ich hab' vergessen, wo das war. Jedenfalls war es lange her, und ich glaube nicht, daß irgendwas draus wurde.«
»Du glaubst nicht, daß hier in der Gegend geklatscht wurde? Keine besonderen Beziehungen zu irgend jemanden in der Nachbarschaft? Es gab keinen Beweis für Streitereien zwischen ihnen?«
»Nein. Natürlich habe ich damals auch alles über den Fall gelesen. Man sprach viel darüber, weil man das Gefühl hatte, es könnte eine tragische Liebesgeschichte dahinterstecken.« »Das traf aber nicht zu, denkst du? Sie hatten doch Kinder. Celia, meine Patentochter.«
»Ja, natürlich, und einen Sohn. Er war noch sehr jung und irgendwo auf der Schule. Das Mädchen war erst zwölf - nein, älter. Sie war bei einer Familie in der Schweiz.«
»Es gab keine - keine Geisteskrankheiten in der Familie?« »Ach, du denkst an den Jungen -ja, das könnte möglich sein. Man hört die merkwürdigsten Dinge. Da war doch der Junge, der seinen Vater erschoß - irgendwo bei Newcastle, glaube ich. Das war Jahre vorher. Du weißt schon. Er war sehr deprimiert, und zuerst wollte er sich angeblich erhängen, als er auf der Universität war, und dann fuhr er nach Hause und erschoß seinen Vater. Keiner wußte genau, warum. Jedenfalls, bei den Ravenscrofts war das nicht der Fall. Nein, da bin ich ganz sicher. Ich kann mir nicht helfen, ich denke ... «