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»ja, Julia?«

»Ich kann mir nicht helfen, ich denke immer, es müßte ein Mann dahinterstecken.«

»Du meinst, daß sie ... «

»Nun - also, es wäre einfach möglich, weißt du. Zum Beispiel, wegen der Perücken.«

»Ich sehe nicht ganz ein, was die Perücken damit zu tun haben.«

»Nun, sie wollte sich hübscher machen.« »Ich denke, sie war fünfunddreißig?« »Mehr, mehr! Sechsunddreißig, glaube ich. Sie hat mir einmal die Perücken gezeigt, mit der einen sah sie wirklich sehr attraktiv aus. Und sie verwendete auch viel Make-up. Das fing alles erst an, als sie hierherkamen. Sie war eine gutaussehende Frau.«

»Du meinst, sie könnte jemanden kennengelernt haben, einen Mann?« »Das habe ich immer vermutet«, erklärte Mrs. Carstairs. »Siehst du, wenn ein Mann was mit einem Mädchen hat, mer-ken es die Leute für gewöhnlich, weil die Männer so was nicht so gut verbergen können. Aber eine Frau - ich könnte mir schon vorstellen, daß sie jemanden kennenlernte, und keiner hat davon erfahren.«

»Glaubst du das wirklich, Julia?«

»Nein, eigentlich nicht«, gestand Julia. »Weil ich finde, daß die Leute es doch immer rausbringen, nicht wahr? Das Personal weiß es, der Gärtner oder der Busfahrer. Oder ein Nachbar. Und wenn sie es wissen, sprechen sie darüber. Trotzdem, es könnte so was gewesen sein, und Ravenscroft entdeckte es ... «

»Du meinst also, Mord aus Eifersucht?«

»Ich glaube, ja.«

»Du hältst es also für wahrscheinlicher, daß er sie erschoß und dann sich, als daß sie ihn und dann sich umbrachte?«

«Ja. Denn wenn sie ihn hätte loswerden wollen, wäre sie wohl kaum mit ihm spazieren gegangen. Sie hätte den Revolver in der Handtasche mitnehmen müssen, und dazu hätte sie schon eine recht große Handtasche gebraucht. Man muß die praktische Seite der Dinge berücksichtigen.«

»Ja«, sagte Mrs. Oliver, »das muß man. Sehr interessant.«

»Für dich sicher besonders, meine Liebe, weil du Kriminalromane schreibst. Eigentlich hätte ich gedacht, daß du bessere Ideen hast. Du müßtest eher wissen, was möglicherweise passiert sein könnte.«

»Nein«, protestierte Mrs. Oliver, »denn die Verbrechen in meinen Kriminalromanen sind erfunden. In meinen Geschichten geschieht alles so, wie ich es will und erfinde. Sie handeln nicht von Dingen, die tatsächlich passiert sind. So bin ich eigentlich am wenigsten geeignet, darüber zu urteilen. Ich möchte gern wissen, was du denkst. Du bist eine gute Menschenkennerin, Julia, und du hast die Ravenscrofts gekannt. Sie könnte dir irgendwann mal etwas erzählt haben - oder er.«

»Ja, ja! Warte mal einen Augenblick! Wenn du das so sagst, fällt mir sicher was ein!«

Mrs. Carstairs lehnte sich im Stuhl zurück, schloß ihre Augen halb und versank in Nachdenken. Mrs. Oliver blieb ruhig sitzen und sah aus wie jemand, der darauf wartet, daß das Kaffeewasser zu kochen beginnt.

»Einmal hat sie wirklich was gesagt, und ich weiß eigentlich nicht, was sie damit meinte«, begann Mrs. Carstairs. »Etwas darüber, ein neues Leben anzufangen - in Verbindung mit der heiligen Therese. Therese von Avila.«

Mrs. Oliver sah leicht erschreckt aus.

»Aber wie kam die heilige Therese ins Spiel?«

»Ich weiß wirklich nicht mehr genau. Sie muß ihre Lebensgeschichte gelesen haben. Jedenfalls meinte sie, wie wunderbar es sei, wenn Frauen eine Art zweite Chance bekommen. Das ist nicht genau der Ausdruck, den sie brauchte, aber etwas Ähnliches war es. Du weißt schon, wenn sie vierzig oder fünfzig werden und noch einmal neu anfangen wollen. Therese von Avila tat das. Bis dahin hatte sie nichts Besonderes gemacht. Sie war eben eine Nonne. Dann zog sie plötzlich aus und reformierte alle Klöster und wurde eine große Heilige.«

»Aber das scheint mir nicht ganz dasselbe zu sein.«

»Eigentlich nicht«, gab Mrs. Carstairs zu. »Aber Frauen reden manchmal den größten Unsinn, wenn sie etwas älter werden und eine Liebesaffäre haben. Daß es nie zu spät ist und so.«

7

Zweifelnd betrachtete Mrs. Oliver die drei Stufen und die Eingangstür zu dem kleinen, verkommen aussehenden Haus. Un-ter den Fenstern wuchsen ein paar Zwiebelgewächse, hauptsächlich Tulpen.

Sie öffnete ihr kleines Adreßbuch, überzeugte sich, daß sie am richtigen Ort war, und klopfte behutsam mit dem Türklopfer an, nachdem sie auf eine elektrische Türklingel gedrückt, sich drinnen aber nichts gerührt hatte. Als weiter alles still blieb, klopfte sie wieder. Nun hörte sie Geräusche, schlurfende Schritte, asthmatisches Keuchen, und jemand bemühte sich, die Tür zu öffnen. Zusammen mit diesen Geräuschen drang undeutliches Gemurmel aus dem Briefkasten.

»Ist doch schrecklich. Jetzt klemmt das Ding schon wieder.« Schließlich wurden die Bemühungen von Erfolg gekrönt. Die Tür öffnete sich ächzend und quietschend. Eine sehr alte Frau mit verrunzeltem Gesicht, gebeugten Schultern und von Arthritis verkrümmt, sah die Besucherin an. Ihre Miene war nicht besonders freundlich. Sie verriet keinerlei Anzeichen von Furcht, nur Unwillen darüber, daß jemand es sich erlaubt hatte, an die Behausung einer echten Engländerin anzuklopfen. Sie mochte siebzig oder achtzig Jahre sein, aber sie war noch immer eine mutige Verteidigerin ihres Burgfriedens.

»Ich weiß nicht, was Sie wollen und -« Sie brach ab. »Grundgütiger Himmel!« rief sie aus, »es ist Miss Ariadne. Nein, so was! Es ist Miss Ariadne!«

»Ich finde es großartig, daß Sie mich wiedererkennen«, erklärte Mrs. Oliver. »Wie geht's Ihnen, Mrs. Matcham?«

»Miss Ariadne! Es ist nicht zu fassen!«

Mrs. Oliver dachte, daß es lange her war, seit jemand sie Miss Ariadne genannt hatte, aber die vor Alter brüchige Stimme klang ihr immer noch vertraut.

»Kommen Sie herein, meine Liebe«,    sagte die alte Frau,    »kommen Sie    erst mal herein.    Sie sehen gut aus, sehr gut. Wieviel Jahre    haben wir uns nicht    gesehen? Fünfzehn mindestens.«

Es waren zwar wesentlich mehr als fünfzehn, aber Mrs. Oliver beließ es dabei. Sie trat ein. Mrs. Mattharn schüttelte ihr zittrig die Hand. Mühsam schloß sie die Tür und führte Mrs. Oliver schlurfend und humpelnd in ein kleines Zimmer, das offensichtlich für den Empfang von Besuch bestimmt war, falls Mrs. Matcham ihn hereinließ. Eine Unmenge Fotografien von Babys und Erwachsenen standen und hingen herum. Manche Bilder in hübschen Lederrahmen, die sich allmählich verzogen hatten, aber noch nicht ganz in Stücke gegangen waren. Eine Fotografie in einem angelaufenen Silberrahmen zeigte eine junge Frau im Ballkleid und mit Federn auf dem Kopf. Ein Sofa und zwei Stühle standen da, Mrs. Oliver setzte sich auf einen Stuhl. Mrs. Matcham nahm auf dem Sofa Platz und stopfte sich unbeholfen ein Kissen in den Rücken.

»Meine Liebe, ich kann es gar nicht    glauben, daß ich Sie hier vor mir sehe. Schreiben Sie immer noch Ihre hübschen Geschichten?«

»Ja«, bestätigte Mrs. Oliver, obwohl sie leise Zweifel hegte, daß man Kriminalromane und Geschichten über Verbrechen und verbrecherisches Verhalten als »hübsche Geschichten« bezeichnen konnte. Aber das, dachte sie, war schon immer Mrs. Matchams Angewohnheit gewesen.

»Ich bin jetzt ganz allein«, fuhr Mrs. Matcham fort. »Erinnern Sie sich an meine Schwester Gracie? Sie starb letzten Herbst, ja. An Krebs. Sie haben sie noch operiert, aber es war schon zu spät.«

»Ach, meine Liebe, das tut mir aber leid.«

Während der nächsten zehn Minuten drehte sich das Gespräch um das Dahinscheiden von Mrs. Matchams letzten Verwandten, die einer nach dem anderen gestorben waren.

»Und Ihnen geht es gut? Sie sind gesund? Sie haben doch einen Mann? Ach, jetzt erinnere ich mich, er ist vor Jahren gestorben, nicht wahr? Und was führt Sie nun zu mir, nach Little Saltern Minor?«