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»Ich war zufällig in der Gegend«, erklärte Mrs. Oliver, »und als ich Ihre Anschrift in meinem kleinen Adreßbuch fand, dachte ich, ich könnte mal reinschauen und fragen, wie es Ihnen geht.« »Ah! Und ein bißchen von alten Zeiten plaudern? Es ist immer nett, wenn man sich darüber unterhalten kann, nicht wahr?«

»Ganz richtig«, sagte Mrs. Oliver, erleichtert, daß das Stichwort gefallen war. »Was für viele Fotos Sie haben!«

»Und ob ich die habe! Wissen Sie, als ich im Heim war - es hatte einen verrückten Namen, Haus Sonnenuntergang, Glück für die Alten oder so ähnlich - also über ein Jahr habe ich dort gelebt, bis ich es nicht mehr aushielt! Eine ekelhafte Gesellschaft war das. Man konnte nicht mal seine eigenen Sachen mitbringen. Alles mußte dem Heim gehören. Ich behaupte ja nicht, daß es nicht gemütlich war, aber wissen Sie, ich mag mein eigenes Zeug um mich haben. Meine Fotos und meine Möbel. Eines Tages kam eine reizende Dame vom Vorstand, jawohl, und sagte, es gäbe Heime, in die man alles mitnehmen könnte. Dazu eine furchtbar nette Helferin, die schaut jeden Tag nach, ob alles in Ordnung ist. Ja, hier fühle ich mich nun wirklich wohl. Ich habe alle meine Sachen hier.«

»Sie kommen aus der ganzen Welt«, sagte Mrs. Oliver und sah sich um.

»Ja, der Tisch dort - der aus Messing - ist von Captain Wilson, er schickte ihn mir aus Singapur. Hübsch, nicht? Hier, dies auf dem Aschenbecher ist etwas Merkwürdiges. Ägyptisch, ja. Ein Skarabius oder wie man es nennt. Klingt wie eine Art Juckreiz, was? Ist es aber nicht. Nein, es ist eine Art Käfer aus Stein. Angeblich. Ein Lapsus - ein Lupis Lazuli oder so ähnlich.«

»Lapis Lazuli«, korrigierte Mrs. Oliver.

»Stimmt. Sehr hübsch, nicht? Das war mein archäologischer Junge, der machte Ausgrabungen. Er hat ihn mir geschickt.« »Ihre ganze schöne Vergangenheit«, sagte Mrs. Oliver.

»Ach ja. Alle meine Jungen und Mädchen. Manche kriegte ich als Babys, einige hatte ich vom ersten Monat an, und dann die älteren. Manche Fotos stammen aus Indien und aus der Zeit, als ich in Siam war. Ja ja. Dies da ist Miss Moia in ihrer ersten Ballrobe. Sie war ein hübsches Ding. Zweimal geschieden. Ja. Zuerst Schwierigkeiten mit Seiner Lordschaft, dem ersten Mann, dann heiratete sie einen Popsänger, und das hat natürlich nicht gutgehen können. Dann nahm sie einen Amerikaner aus Kalifornien. Sie besaßen eine Jacht und reisten viel herum. Starb vor zwei oder drei Jahren und war erst zweiundsechzig. Ein Jammer, so jung zu sterben.«

»Sie sind selber auch ganz schön in der Welt herumgekommen, nicht wahr?« sagte Mrs. Oliver. »Indien. Hongkong, dann Ägypten, und Südamerika.«

»O ja, ich bin viel herumgekommen.«

»Ich erinnere mich«, sagte Mrs. Oliver, »als ich nach Indien reiste, waren Sie mit einer Offiziersfamilie dort, nicht wahr? Bei einem General Sowieso. Hieß er nicht - einen Moment, mir fällt der Name nicht ein -, hieß er nicht Ravenscroft?«

»Nein, nein, Sie verwechseln das. Sie meinen die Barnabys. Bei denen war ich. Sie kamen auf Besuch zu ihnen. Stimmt's? Sie hatten eine Reise gemacht und haben sie besucht. Sie waren eine alte Freundin der Barnabys. Er war Richter.«

»Ja, natürlich«, antwortete Mrs. Oliver. »Es ist alles ein bißchen schwierig. Man bringt die Namen so leicht durcheinander.«

»Zwei nette Kinder hatten sie«, fuhr Mrs. Matcham fort. »Natürlich besuchten sie in England die Schule. Der Junge kam nach Harrow und das Mädchen nach Roedaen, so hieß es, glaub ich, und ich ging zu einer andern Familie. Tja, heute ist alles anders. Es gibt auch nicht mehr so viele Ammen wie frü-her. Obwohl die Ammen hin und wieder auch Scherereien machten. Mit unserer habe ich mich ja gut verstanden, als ich bei den Barnabys war. Von wem sprachen Sie doch gerade? Den Ravenscrofts? Ich erinnere mich an sie. Ich habe nur den Ort vergessen, wo sie wohnten. Nicht weit von uns weg. Die Familien kannten sich. Es ist lange her, aber ich erinnere mich genau. Nachdem die Kinder in die Schule kamen, blieb ich noch bei Mrs. Barnaby. Hab' ihre Kleider in Ordnung gehalten, gestopft und so weiter. Ich war noch da, als die schreckliche Sache passierte. Jetzt meine ich nicht die Barnabys, sondern die Ravenscrofts. Ja, das werde ich nie vergessen. Natürlich war ich persönlich nicht beteiligt, aber es war doch eine furchtbare Tragödie, nicht?« »Das dürfte wohl stimmen.« »Es passierte, als Sie schon nach England zurückgefahren waren, Miss Ariadne, ein gutes Stück später, glaube ich. Sie waren so ein nettes Paar. Wirklich sehr, sehr nett, und es war ein solcher Schock für sie.«

»Ich kann mich im Moment wirklich nicht erinnern«, sagte Mrs. Oliver.

»Ich weiß. Man vergißt so vieles. Ich selber ja nicht. Aber es hieß, sie sei immer etwas seltsam gewesen. Schon als Kind hat sie mal ein Baby aus dem Kinderwagen genommen und es in den Fluß geworfen. Eifersucht, hieß es.«

»Sprechen Sie - meinen Sie Lady Ravenscroft?«

»Nein, natürlich nicht. Ach, Sie erinnern sich nicht so gut wie ich. Es war die Schwester.« »Ihre Schwester?«

»Ich bin mir heute nicht mehr sicher, ob es ihre Schwester war oder seine. Angeblich war sie lange Zeit in einem Nervensanatorium gewesen. Seit sie elf oder zwölf Jahre alt war. Dann hieß es, sie wäre wieder in Ordnung, und sie wurde entlassen. Sie heiratete einen Offizier. Und dann gab es Schwierigkeiten. Und als nächstes hörte man, daß sie wieder in so eine Anstalt gesteckt worden war. Man wird da gut behandelt, wissen Sie. Nette Zimmer und so weiter. Und sie sind immer wieder hingegangen und haben sie besucht, der General oder seine Frau. Die Kinder wurden von jemand anderem aufgezogen, man hatte wohl Angst. Jedenfalls hieß es zum Schluß, daß sie wieder in Ordnung wäre. So kehrte sie zurück und lebte mit ihrem Mann, und dann starb er. Das Herz. Sie war sehr verstört und kam zu ihrem Bruder -oder war es ihre Schwester -, um bei ihnen zu leben, sie schien sich da sehr wohl zu fühlen. Und wie gern sie die Kinder hatte! Es war nicht der kleine Junge, glaube ich, der war in der Schule. Es war das kleine Mädchen. Ein anderes kleines Mädchen, das an dem Nachmittag zum Spielen kam. Ach, ich kann mich an die Einzelheiten nicht mehr erinnern. Es ist so lange her! Manche haben behauptet, sie wäre es gar nicht gewesen. Sie glaubten, die Amme hätte es getan, aber die Amme liebte die Kinder und war völlig verstört. Sie hatte sie aus dem Haus fortnehmen wollen. Sie meinte, sie seien da nicht sicher. Aber natürlich glaubte man ihr nicht, und dann passierte das, und soviel ich weiß, dachten sie, es müßte die Amme - wie hieß sie bloß - gewesen sein. Der Name fällt mir einfach nicht ein. Jedenfalls, da hatten sie's!«

»Und was geschah mit der Schwester, ob nun vom General oder von Lady Ravenscroft?« »Nun, sie wurde von einem Arzt weggebracht und schließlich nach England zurückgeschickt. Ich weiß nicht, ob sie in die gleiche Klinik kam wie vorher, aber sie war gut versorgt. Geld war genug da. Von der Familie des Mannes. Vielleicht wurde sie wieder gesund. Ich hab' jahrelang nicht mehr daran gedacht. Bis Sie kamen und mich nach General und Lady Ravenscroft fragten. Wo sie jetzt wohl sein mögen? Er müßte längst pensioniert sein.«

»Nun; es war eine recht traurige Geschichte«, sagte Mrs. Oliver. »Haben Sie darüber nicht in der Zeitung gelesen?«

»Was denn?«

»Daß sie ein Haus in England gekauft hatten und ... «

»Ach ja, jetzt fällt's mir wieder ein! Ich erinnere mich, was darüber gelesen zu haben. Und daß ich dachte, den Namen Ravenscroft kennst du doch, aber an das Wo und Wie konnte ich mich nicht mehr erinnern. Sie stürzten über eine Klippe, nicht wahr?«

»ja«, sagte Mrs. Oliver, »so ähnlich.«

»Aber hören Sie, meine Liebe, es ist wirklich zu nett, daß Sie da sind. Sie müssen eine Tasse Tee mit mir trinken.«

»Danke«, sagte Mrs. Oliver, »wirklich, ich möchte keinen Tee. «

»Natürlich wollen Sie welchen. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, kommen Sie mit in die Küche, ja? Ich bin nämlich die meiste Zeit dort. Es ist einfacher. Aber Besucher führe ich immer hier herein, weil ich auf meine Sachen stolz bin, wissen Sie. Stolz auf meine Sachen und stolz auf alle meine Kinder.« »Menschen wie Sie müssen ein wundervolles Leben gehabt haben, mit den vielen Kindern, die Sie aufzogen.«