»Aber Mrs. Ravenscroft schon.«
»Ach, sie hatten viel Gemeinsames. Sie hatte ihn ausgesucht, nicht so sehr der General. Allerdings hatte er sehr gute Manieren und sprach sehr nett mit jedem und so ... «
»Und der Sohn - wie hieß er doch gleich?«
»Edward? Ja, er hatte direkt eine Schwäche für ihn, er schwärmte ihn an. Jedenfalls, glauben Sie ja nicht an irgendeinen Skandal in der Familie, oder daß sie eine Affäre hatte oder General Ravenscroft etwas mit diesem mickerigen Mädchen, das für ihn gearbeitet hatte. Nein! Wer immer dieser gemeine Mörder war, er kam von außen. Die Polizei hat nie jemanden ausfindig gemacht, kein Wagen wurde dort gesehen, sie sind überhaupt nicht weitergekommen. Aber trotzdem glaub' ich, man müßte nach jemandem suchen, den sie vom Ausland her kannten oder sogar aus ihrer Zeit in Bournemouth. Man kann nie wissen.«
»Was hielt denn Ihr Mann von der Sache?« fragte Mrs. Oliver. »Er konnte natürlich nicht soviel darüber wissen wie Sie, aber vielleicht hatte er was gehört.«
»Natürlich, abends, im George and Flag, wissen Sie. Die Leute haben alles Mögliche behauptet. Daß sie getrunken hat und kistenweise leere Flaschen aus dem Haus getragen wurden. Absolut gelogen, das weiß ich genau! Außerdem war da noch ein Neffe, der sie ab und zu besuchte. Er kam irgendwie in Schwierigkeiten, aber ich glaube nicht, daß viel dran war. Die Polizei hielt's auch nicht für wichtig. Das war auch gar nicht zu der Zeit damals.« »Außer General und Lady Ravenscroft wohnte niemand ständig im Haus?«
»Nun, sie hatte eine Schwester, die manchmal kam, Lady Ravenscroft, meine ich. Eine Halbschwester, glaub' ich. Sie sah der Lady ziemlich ähnlich, aber sie war nicht so schön, und ein oder zwei Jahre älter. Sie brachte immer ein bißchen Unruhe mit, wenn sie auf Besuch kam. Sie war der Typ, der gern Unruhe stiftete, wenn Sie wissen, was ich meine. Bloß, um andere Leute zu ärgern!«
»Mochte Lady Ravenscroft sie?«
»Wenn Sie mich fragen, eigentlich nicht. Ich glaube, die Schwester erschien einfach, und sie wollte nicht ablehnen, aber ich glaube, es war nicht leicht für sie, sie zu Besuch zu haben. Der General konnte sie ganz 'gut leiden, weil sie sehr gut Karten spielte. Auch Schach und so was, das hat ihm gefallen. Auf gewisse Weise war sie eine amüsante Frau. Mrs. Jerryboy oder so ähnlich hieß sie. Sie war Witwe. Hat sich auch Geld von ihnen geliehen.«
»Mochten Sie sie?«
»Seien Sie mir nicht böse, Ma'am, aber ich mochte sie nicht. Ich konnte sie überhaupt nicht leiden. Ein richtiger Störenfried. Aber sie war längere Zeit nicht dagewesen, als die tragische Geschichte passierte. So ganz genau kann ich mich nicht mehr an sie erinnern. Ihr Sohn kam ein- oder zweimal mit. Ich konnte ihn nicht besonders leiden. Unsicherer Kunde, fand ich.« »Vermutlich«, sagte Mrs. Oliver, »wird man die Wahrheit nie mehr erfahren. Jedenfalls jetzt nicht mehr. Nach so langer Zeit. Kürzlich sah ich meine Patentochter wieder.« »Tatsächlich? Wie geht's Miss Celia? Gut?«
»Ja. Offenbar ganz gut. Sie will heiraten. Jedenfalls hat sie einen -«
»Einen festen Freund?« rief Mrs. Buckle. »Ach ja, den hatten wir alle. Nicht, daß wir den ersten besten heirateten, mit dem wir uns einließen. Das ist auch in neun von zehn Malen viel gescheiter.«
»Sie kennen nicht zufällig eine gewisse Mrs. Burton-Cox?« fragte Mrs. Oliver.
»Burton-Cox? Der Name kommt mir bekannt vor. Nein, ich glaube, nicht. Hat sie nicht hier mal gewohnt oder bei den Ravenscrofts gelebt oder so was? Irgendeine alte Freundin von General Ravenscroft, glaub' ich, aus Indien. Aber ich weiß es nicht genau.« Sie schüttelte den Kopf.
»Tja«, sagte Mrs. Oliver, »leider kann ich nicht bleiben und noch länger mit Ihnen plaudern. Es war wirklich sehr nett, Sie und Marlene wiederzusehen.«
9
»Da war ein Anruf für Sie«, meldete Hercule Poirots Diener George. »Von Mrs. Oliver.« »Danke, George. Und was hat sie gesagt?«
»Sie fragte, ob sie heute abend nach dem Essen kommen kann.«
»Das wäre großartig«, rief Poirot. »Ganz großartig. Ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir, Mrs. Olivers Besuch wird eine Erholung sein. Sie ist so amüsant und sagt die unglaublichsten Dinge. Hat sie die Elefanten erwähnt?«
»Elefanten, Sir? Nein, ich glaube nicht.«
»Aha. Das bedeutet sicher, daß die Elefanten ein Reinfall waren.«
George sah seinen Herrn zweifelnd an. Es gab Zeiten, da begriff er die Bedeutung seiner Bemerkungen nicht ganz.
»Wir rufen zurück!« sagte Poirot. »Ich bin entzückt, sie zu sehen.«
George verschwand und kehrte kurz darauf zurück, um zu sagen, daß Mrs. Oliver gegen Viertel vor neun Uhr erscheinen würde.
»Kaffee«, meinte Poirot. »Es gibt Kaffee und Petits fours. Ich habe mir kürzlich welche von Fortnum and Mason schicken lassen.«
»Likör, Sir?«
»Nein, ich glaube nicht. Ich selbst trinke einen Sirop de Cassis.«
Mrs. Oliver war pünktlich. Poirot begrüßte sie hocherfreut. »Wie geht es Ihnen, chere Madame?«
»Ich bin erschöpft«, erwiderte Mrs. Oliver und sank in den angebotenen Lehnsessel. »Vollkommen erschöpft.«
»Ah! Qui va ä la chasse ... hm, ich kann mich an das Sprichwort nicht mehr erinnern.«
»Aber ich«, erklärte Mrs. Oliver. »Ich hab's als Kind gelernt: Qui va ä la chasse, perd sa place.«
»Das trifft aber sicher auf Ihre Jagd nicht zu. Ich meine Ihre Elefantenjagd, falls das nicht nur so eine Redensart war.« »Absolut nicht«, antwortete Mrs. Oliver. »Ich habe wie eine Verrückte Elefanten gejagt, überall. Das viele Benzin, das ich verfahren habe, die Züge, in denen ich gesessen bin, die vielen Briefe, die ich schrieb, die Telegramme! Sie glauben nicht, wie anstrengend so eine Sache ist.«
»Dann ruhen Sie sich aus. Trinken Sie einen Kaffee.«
»Schönen, starken schwarzen Kaffee - danke, gern. Genau, was ich brauche.«
»Haben Sie Erfolg gehabt, wenn man fragen darf?«
»Eine Menge«, erwiderte Mrs. Oliver. »Die Frage ist nur, ob es etwas taugt.«
»Sie haben Tatsachen herausgekriegt?«
»Nein. Eigentlich nicht. Ich habe von Dingen gehört, die mir die Leute als Tatsachen erzählten, aber ich bezweifle sehr, ob es alles wirklich Tatsachen sind.« »Also alles nur vom Hörensagen?«
»Nein. Es kam, wie ich vermutet hatte. Es waren Erinnerungen. Ein Haufen Leute, die sich erinnerten. Die Sache ist nur die, daß man sich, wenn man sich erinnert, nicht immer richtig erinnert, nicht wahr?«
»Ja. Aber man könnte es doch immerhin als einen Erfolg bezeichnen, meinen Sie nicht?«
»Und was haben Sie gemacht?« fragte Mrs. Oliver.
»Sie sind immer so direkt, Madame«, antwortete Poirot. »Sie verlangen von mir, daß ich herumrenne und was unternehme.«
»Also, sind Sie herumgerannt?«
»Nein, aber ich hatte Besprechungen mit ein paar Kollegen.«
»Das klingt viel friedlicher als meine Abenteuer«, sagte Mrs. Oliver. »Ach, ist der Kaffee gut. Schön stark. Sie glauben nicht, wie müde ich bin. Und wie durcheinander.«
»Na, na. Wir wollen das Beste hoffen. Sie haben etwas erreicht. Ich bin überzeugt.«
»Ich habe einen Haufen Meinungen und Geschichten gehört. Ich weiß nicht, ob was Wahres dran ist.«
»Vielleicht sind sie nicht wahr, aber nützlich«, bemerkte Poirot.
»Ich weiß schon, was Sie meinen«, antwortete Mrs. Oliver. »Ich glaube das auch. Aber wenn Leute von der Vergangenheit erzählen, dann berichten sie oft nicht, was wirklich passiert ist, sondern bilden sich nur ein, daß es so passiert ist.«
»Aber sie müssen doch etwas haben, wovon sie ausgehen«, erklärte Poirot.
»Ich hab' Ihnen eine Liste gemacht«, sagte Mrs. Oliver. »Ich brauche nicht ins Detail zu gehen, wo ich überall war oder was ich wen fragte; ich war auf Informationen scharf, die man vielleicht nicht von jedem Beliebigen bekommt. Sie stammen alle von Leuten, die über die Ravenscrofts etwas Bescheid wußten, auch wenn sie sie persönlich nicht sehr gut kannten.« »Informationen aus fremden Ländern, meinen Sie?«