»Na, das wär's dann wohl«, sagte Mrs. Oliver. »Also, was können wir tun? Wie steht's mit Ihrer Liste?«
»Die Polizeiberichte enthielten eine gewisse Menge an Informationen über alles, was im Haus gefunden wurde. Sie erinnern sich, daß unter den Sachen vier Perücken waren.«
»Ja«, antwortete Mrs. Oliver, »und Sie meinten, daß vier Perücken zuviel wären.«
»Es schien mir ein bißchen übertrieben. Außerdem gab man mir ein paar vielleicht recht nützliche Adressen. Unter anderem die eines Arztes, der uns weiterhelfen könnte.« »Meinen Sie den Hausarzt?«
»Nein, den nicht. Es ist ein Arzt, der bei einer Untersuchung über ein tödlich verunglücktes Kind aussagte. Es war von einem älteren Kind oder von jemand andern gestoßen worden.« »Etwa von der Mutter?«
»Möglicherweise. Oder von jemandem, der damals im Haus war. Ich kenne den Teil Englands, wo es passierte, und Chefsuperintendent Garroway fand den Mann, mit Hilfe eigener Informationen und durch ein paar Journalistenfreunde von mir, die an diesem Fall besonders interessiert sind.«
»Und Sie werden ihn aufsuchen? Er muß jetzt ein sehr alter Herr sein.«
»Ich werde nicht ihn besuchen, sondern seinen Sohn. Sein Sohn ist auch Spezialist für Geisteskrankheiten. Ich habe eine Empfehlung an ihn. Er könnte in der Lage sein, mir etwas Interessantes zu erzählen. Außerdem wurden auch Nachforschungen in finanzieller Hinsicht angestellt.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Nun, es gibt noch einiges, das wir klären müssen. Bei vielen Verbrechen spielt Geld eine Rolle. Wer hatte Geld zu verlieren, wer zu gewinnen? Das müssen wir herausfinden.«
»Im Falle Ravenscroft dürfte die Polizei es doch festgestellt haben.«
»Anscheinend war alles ganz normal. Sie hatten beide ein Testament gemacht und das Geld dem Ehepartner vermacht. Keiner profitierte davon, weil ja beide starben. So daß die einzigen Nutznießer die Tochter Celia waren und ein jüngerer Sohn, Edward, der, soviel ich weiß, jetzt im Ausland eine Universität besucht.«
»Das hilft uns nichts. Keins der Kinder war zu Hause oder könnte irgend etwas mit der Sache zu tun gehabt haben.«
»Das ist wahr. Man muß tiefer bohren, weiter zurückgehen, das Problem von allen Seiten beleuchten, wenn man herausbringen will, ob ein handfestes finanzielles Motiv existierte.« »Also, verlangen Sie bloß so was nicht von mir!« rief Mrs. Oliver. »Dafür hab' ich wirklich keine Begabung. Das beweisen auch meine Gespräche, die ich mit den Elefanten geführt habe.«
»Ja. Das beste wäre, wenn Sie wegen der Perücken etwas unternähmen.«
»Der Perücken?«
»In dem sehr sorgfältig ausgearbeiteten Polizeiprotokoll stand eine Notiz über den Perückenlieferanten. Eine teure Firma in der Bond Street. Später zog der Laden um. Zwei der früheren Partner führten ihn weiter, und wie ich höre, wurde das Geschäft aufgegeben. Aber ich habe die Adresse einer der ersten Friseusen von damals, und ich dachte, es wäre einfacher, wenn eine Frau sie ausfragte.«
»Aha«, sagte Mrs. Oliver, »und das soll ich sein?«
»Ja.«
»Gut. Was habe ich zu tun?«
»Gehen Sie zu der Adresse in Cheltenham, die ich Ihnen gebe. Dort wohnt eine gewisse Madame Rosentelle, eine nicht mehr junge Frau, aber eine sehr tüchtige Friseuse und Perückenmacherin. Sie war mit einem Kollegen verheiratet, der sich erfolgreich mit dem Problem der männlichen Kahlköpfigkeit befaßte. Toupets und so was.«
»Du meine Güte«, sagte Mrs. Oliver, »was Sie mir für Aufträge geben! Glauben Sie, daß sie sich noch an etwas erinnert?« »Elefanten vergessen nie«, antwortete Hercule Poirot.
»Ach. Und wen fragen Sie aus? Diesen Doktor, den Sie vorhin erwähnten?«
»Den zuerst, ja.«
»Und woran, glauben Sie, wird er sich erinnern?«
»Sicher nicht an sehr viel«, erwiderte Poirot. »Aber er dürfte von diesem bestimmten Unfall gehört haben. Schließlich war es ein interessanter Fall, nicht wahr? Es muß Berichte darüber gegeben haben.«
»Sie meinen die Zwillingsschwester?«
»Ja. Soviel ich erfahren konnte, gab es im Zusammenhang mit ihr zwei Unfälle. Einen, als sie eine junge Mutter war und auf dem Land, in Hatters Green, lebte. Und einen späteren in Indien. Und jedesmal starb ein Kind.«
»Sie meinen, daß, da sie Zwillinge waren, meine Molly auch irgendeinen geistigen Defekt gehabt haben könnte? Das glaube ich nicht einen Augenblick. Das paßt nicht zu ihr. Sie war zärtlich, liebevoll, sah sehr gut aus, war gefühlsvoll ... einfach eine schrecklich nette Person.« »Ja, anscheinend. Und alles in allem auch eine glückliche Person?«
»Absolut. Eine sehr glückliche Person. Natürlich sah ich später im Leben nicht mehr viel von ihr, sie lebte ja im Ausland. Aber ich hatte immer den Eindruck, bei den sehr seltenen Gelegenheiten, wenn ich einen Brief von ihr bekam oder sie besuchte, daß sie ein glücklicher Mensch war.«
»Und die Zwillingsschwester haben Sie nicht näher gekannt?«
»Nein. Nun ... offengestanden, ich glaube, sie lebte in einer Anstalt, jedenfalls bei den wenigen Malen, die ich Molly wiedersah. Sie war auch nicht auf Mollys Hochzeit, nicht einmal als Brautjungfer.«
»Das allein ist schon merkwürdig.«
»Ich begreife immer noch nicht, was Sie dadurch herausbekommen wollen.«
»Einfach Informationen.«
14
Hercule Poirot stieg aus dem Taxi, zahlte und gab dem Fahrer ein Trinkgeld. Er überzeugte sich, daß die Adresse mit der in seinem kleinen Notizbuch übereinstimmte, holte vorsichtig den an Dr. Willoughby adressierten Brief aus seiner Jackentasche, stieg die Stufen zur Haustür hinauf und läutete. Ein Diener öffnete. Poirot nannte seinen Namen. Dr. Willoughby erwartete ihn bereits.
Der Diener führte Poirot in ein kleines, gemütliches Zimmer, mit Bücherregalen an einer Wand und zwei Armsesseln vor dem Kamin. Auf einem Tischchen standen ein Tablett mit Gläsern und zwei Karaffen. Dr. Willoughby erhob sich, um Poirot zu begrüßen. Er war zwischen fünfzig und sechzig Jahre alt, groß und schlank, und hatte eine hohe Stirn, dunkle Haare und durchdringende, graue Augen. Er schüttelte Poirot die Hand und bat ihn, Platz zu nehmen. Poirot reichte Dr. Willoughby den Brief.
Der Arzt öffnete ihn, las ihn, legte ihn auf das Tischchen und sah Poirot interessiert an.
»Ich habe schon Näheres gehört«, sagte er, »von Chefsuperintendent Garroway und von einem Freund im Innenministerium, der mich ebenfalls bat, Ihnen in der Sache behilflich zu sein.«
»Ich weiß, daß ich sehr viel von Ihnen verlange«, sagte Poirot »aber es gibt gewichtige Gründe dafür.«
»Noch nach so vielen Jahren?«
»Ja. Natürlich kann ich sehr gut verstehen, wenn Sie sich an diese bestimmte Geschichte nicht mehr genau erinnern.«
»Ich glaube, doch. Ich bin, wie Sie vielleicht gehört haben, an ganz bestimmten Aspekten meines Berufs interessiert, und zwar schon seit vielen Jahren.«
»Ihr Vater war eine Kapazität auf dem Gebiet.«
»Ja, sein Beruf war seine Leidenschaft. Er hatte eine Menge Theorien, einige bestätigten sich glänzend, andere enttäuschten. Sie sind also nur an einem bestimmten Fall von Geisteskrankheit interessiert?«
»Ja, an Dorothea Preston-Grey.«
»Ich war damals noch ein junger Mann, aber schon sehr mit den Arbeiten meines Vaters vertraut. Allerdings, meine und seine Theorien deckten sich nicht immer. Ich verstehe nicht, was Ihnen an dem Fall Dorothea Preston-Grey oder Mrs. Jarrow, wie sie nach ihrer Verehelichung hieß, so besonders wichtig ist.«
»Sie ist ein Zwilling.«
»Allerdings. Das war damals gerade das spezielle Studiengebiet meines Vaters. Er hatte den Plan, das Leben von eineiigen Zwillingen zu beobachten, die entweder in gleicher Umgebung aufwuchsen oder dank besonderer Umstände in völlig verschiedener. Er wollte prüfen, inwieweit sie sich ähnlich blieben und ob sich ihr Lebenslauf glich. Zwei Brüder, die fast ihr ganzes Leben getrennt voneinander verbracht hatten, und doch schienen zur selben Zeit dieselben Dinge zu passieren ... außerordentlich aufschlußreich. Aber dieser Aspekt interessiert Sie nicht, soviel ich weiß.«