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Hercule Poirot trat durch das Friedhofstor, ging einen Pfad entlang, und blieb vor einer moosbewachsenen Mauer stehen. Er sah auf das Grab hinunter. Ein paar Minuten stand er still da, betrachtete das Grab und sah hinaus auf die Dünen und das Meer. Auf dem Grab lagen frische Blumen, ein kleiner Strauß Wiesenblumen, wie ein Kind sie gepflückt haben könnte, aber Poirot glaubte nicht, daß es ein Kind gewesen war. Er las die Inschrift auf dem Grabstein.

Zur Erinnerung an DOROTHEA JARROW gestorben 15. Sept. 1960 und an MARGARET RAVENSCROFT gestorben 3. Okt. 196o ihre Schwester und an ALISTAIR RAVENSCROFT gestorben 3. Okt. 196o deren Gatten Im Tode wurden sie nicht getrennt Vergib uns unsre Schuld Wie wir vergeben unsern Schuldigem Herr, erbarme dich unser Christus, erbarme dich unser Herr, erbarme dich unser Poirot blieb noch kurze Zeit dort stehen. Er nickte ein paarmal mit dem Kopf. Dann verließ er den Friedhof und schlug den Pfad ein, der hinaus zu den Klippen führte. Kurz darauf blieb er wieder stehen und sah aufs Meer hinaus. Er redete laut mit sich selbst.

»Ich bin überzeugt, daß ich jetzt weiß, was geschah und warum. Was für eine Tragik! Das Schweizer Mädchen muß es gewußt haben - aber wird sie's mir erzählen? Der Junge glaubt, daß sie es tun wird. Um ihretwillen - um Celias und Desmonds willen. Sie können kein gemeinsames Leben beginnen, ehe sie nicht die Wahrheit wissen.«

19

»Mademoiselle Rouselle?« sagte Hercule Poirot und verbeugte sich.

Mademoiselle Rouselle reichte ihm die Hand. Ungefähr fünfzig, dachte Poirot. Eine ziemlich energische Person. Dürfte ihren Kopf durchsetzen. Intelligent, intellektuell, zufrieden mit ihrem Leben; hat die Freuden genossen und die Sorgen getragen, die das Leben so mit sich bringt.

»Ich habe schon von Ihnen gehört«, sagte sie. »Sie haben viele Freunde, wissen Sie, hier in der Schweiz wie auch in Frankreich. Ich weiß nicht recht, was ich für Sie tun kann. Sie schrieben es mir zwar in Ihrem Brief, aber ... Es betrifft eine Geschichte, die weit zurückliegt? Bitte, setzen Sie sich doch! Da ist Konfekt, und die Karaffe steht auf dem Tisch.«

Sie strahlte Ruhe und Gastfreundlichkeit aus, ohne jede Aufdringlichkeit. Sie war nicht nervös, einfach nur liebenswürdig. »Sie waren früher Erzieherin bei einer bestimmten Familie«, begann Poirot. »Den Ravenscrofts. Vielleicht erinnern Sie sich nicht mehr?«

»O doch! Ich finde, man vergißt Dinge, die sich in der Jugendzeit ereignet haben, nicht so leicht. Sie hatten ein Mädchen und einen vier oder fünf Jahre jüngeren Jungen, reizende Kinder. Ihr Vater war General.«

»Es gab auch noch eine Schwester.«

»Ach ja, ich erinnere mich! Zuerst war sie nicht dort. Ich glaube, sie hatte eine zarte Gesundheit. Sie war irgendwo in einem Sanatorium.«

»Erinnern Sie sich an die Namen?«

»Die eine hieß Margaret, glaube ich. Den anderen weiß ich heute nicht mehr.«

»Dorothea.«

»Ach ja. Aber sie nannten sich Molly und Dolly. Es waren eineiige Zwillinge. Wie ähnlich sie sich sahen! Beides waren sehr hübsche junge Frauen.«

»Und sie hingen aneinander.«

»Ja, sehr. Dorothea heiratete einen Major - warten Sie - ach ja, einen Major Jarrow. Lhd Margaret ... «

»General Ravenscroft«, ergänzte Poirot.

»Ja, richtig. Komisch, wie schlecht man doch Namen behält. Margaret war hier in einem Pensionat. Als sie nach ihrer Heirat an Madame Benoit, die Pensionatsleiterin, schrieb, ob sie nicht eine geeignete Erzieherin für ihre beiden Kinder wüßte, wurde ich empfohlen. So kam ich in die Familie. Die Schwester war nur während eines Teils meiner Zeit bei den Kindern dort. Das eine Kind war ein Mädchen von etwa sechs oder sieben Jahren. Sie hatte einen Namen wie aus einem Stück von Shakespeare, erinnere ich mich. Rosalin oder Celia.«

»Celia.«

»Der Junge war erst drei oder vier Jahre alt. Er hieß Edward. Ein übermütiges, liebes Kind. Ich war glücklich bei ihnen.« »Und Sie liebten sie sehr, wie ich höre. Sie waren sehr liebevoll mit ihnen.«

»Mci, j'aime les enfants«, sagte Mademoiselle Rouselle. »Sie nannten Sie >Maddy<.«

Sie lachte. »Ach, das Wort höre ich gern. Es bringt vergangene Zeiten zurück.« »Kannten Sie auch einen Jungen mit Namen Desmond Burton-Cox?«

»O ja. Er wohnte irgendwo in der Nachbarschaft. Wir hatten mehrere Nachbarn, die Kinder kamen oft zum Spielen zu uns. Er hieß Desmond. Ja, ich erinnere mich.«

»Waren Sie lange dort, Mademoiselle?«

»Nein. Höchstens drei oder vier Jahre. Dann wurde ich zurückgeholt. Meine Mutter war sehr krank. Ich mußte zurückkommen und sie pflegen. Sie starb etwa eineinhalb Jahre später. Danach eröffnete ich hier ein kleines Pensionat, nur für größere Mädchen, die Sprachen lernen wollten. Seitdem habe ich England nicht mehr besucht, aber ein paar Jahre lang riß der Kontakt zu dem Lande nicht ab. Und die Kinder schickten mir immer Weihnachtsgrüße.« »Fanden Sie, daß General Ravenscroft und seine Frau glücklich zusammen waren?«

»Sehr glücklich. Und sie liebten ihre Kinder.«

»Sie paßten gut zusammen?«

»Ja, sie schienen alle Voraussetzungen für eine gute Ehe zu haben.«

»Sie sagten, Mrs. Ravenscroft mochte ihre Zwillingsschwester sehr, war das umgekehrt auch der Fall?«

»Nun, ich hatte wenig Gelegenheit, das zu beurteilen. Offengestanden, ich fand, daß die Schwester - Dolly, wie sie sie nannten - ein ausgesprochener Fall für den Psychiater war. Einoder zweimal benahm sie sich sehr merkwürdig. Sie war sehr eifersüchtig, und soviel ich weiß, stand sie mal kurz vor ihrer Verlobung mit Major Ravenscroft. Er hatte sich zuerst in sie verliebt, später aber doch die Schwester umworben, was ich für sehr gut hielt, denn Molly war eine ausgeglichene entzückende Frau. Was Dolly betrifft - manchmal dachte ich, sie bete ihre Schwester an, manchmal, daß sie sie haßte. Sie war wirklich eine sehr eifersüchtige Frau und fand, daß die Kinder zu sehr verwöhnt würden. Aber da gibt es jemanden, der darüber viel besser Bescheid weiß als ich. Mademoiselle Meauhourat. Sie wohnt jetzt in Lausanne. Sie kam ein oder zwei Jahre nach mir zu den Ravenscrofts. Und blieb einige Jahre bei ihnen. Später kehrte sie als Gesellschafterin für Mrs. Ravenscroft zurück, als Celia ins Pensionat kam.«

»Ich werde sie besuchen. Ich habe ihre Adresse«, warf Poirot ein.

»Sie weiß viel mehr als ich und ist eine reizende und zuverlässige Person. Eine tragische Geschichte, die sich dann ereignete. Wenn irgend jemand, kennt sie den Grund. Sie ist sehr diskret. Mir hat sie nie etwas erzählt. Ich weiß nicht, ob sie es Ihnen sagen wird. Vielleicht, vielleicht auch nicht.«

Einen Augenblick stand Poirot da und sah Mademoiselle Meauhourat nur an. Er war schon von Mademoiselle Rouselle beeindruckt gewesen, und auch die Frau, die nun vor ihm stand, gefiel ihm sehr. Sie mußte mindestens zehn Jahre jünger sein, wirkte lebhaft, war attraktiv, hatte wache Augen und schien sich sehr gut ihr eigenes Urteil über andere Leute bilden zu können, ohne Sentimentalität. Sie ist, dachte Hercule Poirot, eine ausgesprochene Persönlichkeit.

»Ich bin Hercule Poirot, Mademoiselle.«

»Ich weiß. Ich habe Sie schon erwartet.«

»Haben Sie meinen Brief erhalten?«

»Nein. Er ist sicher noch bei der Post. Unser Briefträger ist ein bißchen unzuverlässig. Nein. Ich bekam von jemand anders einen Brief.«

»Von Celia Ravenscroft?«

»Nein. Aber der Schreiber steht Celia sehr nahe - ein junger Mann namens Desmond BurtonCox. Er bereitete mich auf Ihre Ankunft vor.«

»Ah. Jetzt verstehe ich. Ein intelligenter Bursche. Er verschwendet keine Zeit! Er hat mich sehr gedrängt, Sie zu besuchen.«

»Das schrieb er mir. Offenbar gibt es Schwierigkeiten. Probleme, die er bereinigen möchte, und Celia auch. Glauben Sie, daß Sie ihnen helfen können?«

»Ja, und die beiden glauben, daß Sie mir helfen können.« »Sie lieben sich und wollen heiraten?«