Doch ihr fünfzehntes Lebensjahr bescherte ihr nicht nur die Entdeckung des Zungenkusses und der Liebe als Quelle vielen Leids, sondern noch etwas Drittes: die Selbstbefriedigung. Es geschah fast zufällig, als sie an einem Nachmittag, als sie allein zu Hause war, auf ihrem Bett lag und an ihrem Körper herumspielte. Sie hatte das schon als Kind sehr gemocht – bis ihr Vater sie eines Tages dabei überrascht und ihr kommentarlos eine Tracht Prügel verabreicht hatte. Sie hatte die Schläge nie vergessen und daraus gelernt, daß sie sich nie in Anwesenheit anderer berühren durfte; da sie zu Hause kein eigenes Zimmer hatte, unterließ sie es ganz und vergaß das angenehme Gefühl.
Bis zu jenem Nachmittag, fast sechs Monate nach dem bewußten Kuß. Die Mutter war beim Einkaufen, der Vater mit einem Freund unterwegs, und im Fernsehen lief kein interessantes Programm. Maria, die auf ihrem Bett lag, begann ihren Körper nach unerwünschten Härchen abzusuchen, die sie mit der Pinzette auszupfen wollte. Zu ihrer Überraschung bemerkte sie einen kleinen Knubbel oberhalb ihrer Vagina; sie begann mit ihm zu spielen und konnte nicht mehr aufhören; es wurde immer köstlicher, immer intensiver, und ihr ganzer Körper – vor allem der Teil, den sie berührte – wurde steif.
Allmählich gelangte sie in eine Art paradiesischen Zustand, das Gefühl wurde immer intensiver, sie hörte nichts mehr, alles verschwamm vor ihren Augen zu einem goldenen Dunst, bis sie vor Lust aufstöhnte und ihren ersten Orgasmus hatte.
Es war so, als wäre sie in den siebten Himmel aufgestiegen und würde nun wieder langsam mit einem Fallschirm zur Erde herunterschweben. Ihr Körper war schweißnaß, aber sie fühlte sich ganz erfüllt, voller Energie. Das also war Sex! Wie wunderbar! Nicht wie in den erotischen Fotoromanen, in denen alle von Lust redeten, dazu aber ein schmerzverzerrtes Gesicht machten. Sie brauchte keinen Mann, der ihre Seele mißachtete und nur ihren Körper liebte. Sie konnte alles selbst machen! Sie befriedigte sich erneut, und diesmal stellte sie sich vor, daß ein Fernsehstar sie berührte. Und wieder gelangte sie in den siebten Himmel und schwebte mit dem Fallschirm herunter, noch erfüllter, noch lebendiger. Sie wollte gerade ein drittes Mal beginnen, als ihre Mutter heimkam.
Maria sprach mit ihren Freundinnen über ihre Entdeckung, sagte aber nicht, daß sie diese erst vor ein paar Stunden gemacht hatte. Außer zweien wußten alle Bescheid, aber keine hatte bislang gewagt, die Sache anzusprechen. Erstmals konnte sich Maria als Vorkämpferin ihrer Clique fühlen; sie erfand ein >Bekenntnis-Spiel< und bat jede zu erzählen, wie sie sich am liebsten selbst befriedigte. So erfuhr sie von verschiedenen Techniken, wie der, es mitten im Sommer unter der Decke zu tun (weil Schwitzen angeblich half), eine Gänsefeder zu benutzen, um die bewußte Stelle zu berühren (wie die Stelle hieß, wußte sie nicht), einen Jungen das machen zu lassen (was Maria überflüssig vorkam) oder die Dusche des Bidets zu benutzen.
Jedenfalls gab Maria, nachdem sie die Selbstbefriedigung entdeckt und einige der von ihren Freundinnen empfohlenen Techniken angewandt hatte, endgültig den Plan auf, Nonne zu werden. Es verschaffte ihr viel Lust. Auch wenn es von der Kirche als große Sünde angeprangert wurde. Unter ihren Freundinnen kursierten die wildesten Geschichten: daß man vom Masturbieren überall am Körper Pickel bekam oder wahnsinnig oder sogar schwanger werden konnte. Maria nahm die Risiken gern in Kauf und befriedigte sich wöchentlich mindestens einmal, meistens mittwochs, wenn ihr Vater mit seinen Freunden zum Kartenspielen wegging.
Gleichzeitig wurde sie in ihrer Beziehung zu Männern immer unsicherer – und der Wunsch, wegzugehen, wurde immer größer. Sie verliebte sich ein drittes und ein viertes Mal, konnte inzwischen küssen, berührte sich oder ließ sich berühren, wenn sie mit ihren Liebsten allein war – aber immer lief etwas falsch, und die Beziehung endete immer genau dann, wenn Maria das sichere Gefühl hatte, den Richtigen gefunden zu haben, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte. Männer bedeuten nur Schmerz, Frustration und Kummer, dachte sie.
An einem Nachmittag, als sie im Park war und eine Mutter mit ihrem zweijährigen Sohn spielen sah, merkte sie, daß sie auf den Traum von Ehemann, Kindern und einem Haus mit Meerblick doch nicht ganz verzichten wollte; nur verlieben wollte sie sich nicht mehr, denn die Leidenschaft machte alles kaputt!
So vergingen Marias Jugendjahre. Sie wurde immer hübscher, und wegen ihrer geheimnisvollen, traurigen Aura hatte sie viele Verehrer. Sie verabredete sich auch mit dem einen oder anderen, träumte und litt – obwohl sie sich doch geschworen hatte, sich nie wieder zu verlieben. Bei einer dieser Verabredungen verlor sie ihre Jungfräulichkeit auf der Rückbank eines Wagens; sie und ihr Freund berührten sich heftiger als sonst, der Junge fing Feuer, und da sie es satt hatte, die letzte Jungfrau in ihrer Clique zu sein, ließ sie zu, daß er in sie eindrang. Doch statt sie wie das Masturbieren in den siebten Himmel zu heben, tat ihr dieses erste Mal nur weh und hinterließ einen Blutfleck auf ihrem Kleid, der nur schwer wieder herausging. Sie fühlte sich auch nicht verzaubert wie beim ersten Kuß – keine fliegenden Reiher, kein Sonnenuntergang, keine Musik… aber daran wollte sie nicht mehr denken.
Sie hatte mit dem Jungen noch ein paarmal Sex und setzte ihn unter Druck mit der Drohung, ihrem Vater zu erzählen, daß er sie vergewaltigt habe, und der wäre imstande, ihn umzubringen. Sie machte ihn zu einem Werkzeug, um Erfahrungen zu sammeln, wobei sie auf alle möglichen Arten und Weisen zu ergründen suchte, worin die Lust beim Sex mit einem Partner liegen könnte.
Sie kam nicht dahinter; Masturbieren war viel weniger anstrengend, und sie hatte mehr davon – auch wenn das Fernsehen, die Illustrierten, Ratgeber und Freundinnen im Chor verkündeten, daß ein Mann wichtig sei. Maria begann zu glauben, daß sie ein sexuelles Problem hätte, das sie mit niemandem besprechen konnte. Daher stürzte sie sich aufs Lernen und vergaß lange Zeit diese wunderbare, mörderische Sache, die Liebe hieß.
Aus dem Tagebuch der inzwischen siebzehnjährigen Maria:
Ich möchte herausfinden, was das ist: die Liebe. Ich weiß, daß ich lebendig gewesen bin, als ich geliebt habe, und ich weiß auch, daß nichts an meinem heutigen Leben, so interessant es auf den ersten Blick aussehen mag, mich wirklich begeistert.
Aber die Liebe ist etwas Schreckliches: Ich sehe meine Freundinnen leiden, und das soll mir nicht auch passieren. Dieselben, die mich früher wegen meiner Naivität ausgelacht haben, fragen mich jetzt, wie ich es fertigbringe, die Männer im Griff zu haben. Ich lächle und schweige, weil ich weiß, daß die Arznei schlimmer ist als der Schmerz: Ich verliebe mich einfach nicht. Mit jedem Tag, der vergeht, sehe ich deutlicher, wie schwach, wankelmütig, unsicher die Männer sind und für einige Überraschungen gut… Einige der Väter meiner Freundinnen haben mir schon Angebote gemacht, ich habe abgelehnt. Früher war ich schockiert, jetzt glaube ich, daß die Männer eben so sind.
Ich will begreifen, was Liebe ist, aber bislang leide ich nur. Diejenigen, die meine Seele berühren, können meinen Körper nicht erwecken. Und die, denen ich mich hingebe, können meine Seele nicht berühren.
Mit neunzehn schloß Maria die Sekundarschule ab und nahm eine Stelle in einem Stoffladen an. Der Chef verliebte sich in sie – aber Maria wußte nun, wie man einen Mann benutzte, ohne von ihm benutzt zu werden. Er durfte sie nie auch nur anfassen, obwohl sie ihn, ihrer Anziehungskraft voll bewußt, immer wieder provozierte.