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Das Pferd wurde schneller. Die Mauern einer schmalen, fensterlosen Gasse flogen an ihnen vorüber und verschmolzen zu grauen Schemen, und sie hätte fast ihren Halt verloren, als Torman das Tier in einer ganz und gar unmöglichen Bewegung herum- und in eine noch schmalere Gasse riss. An deren Ende schimmerte etwas Helles, das war alles, was sie erkennen konnte. Wenigstens war es nicht grün.

Sie rasten weiter, bogen noch einmal und noch jäher ab, und nach einem weiteren Dutzend Haken schlagender Schritte ließ Torman das Pferd langsamer laufen und hielt schließlich an. Pia schluckte den Rest bitter schmeckender Galle hinunter und versuchte noch einmal etwas zu sagen, doch Torman kam ihr zuvor, indem er sie wie eine junge Katze im Nacken packte und sie vor sich auf den Hals des Schlachtrosses setzte.

»Was bei Kronn habt Ihr Euch dabei gedacht?«, fuhr er sie an.

Pia blinzelte verwirrt. Ganz davon abgesehen, dass sie nicht die geringste Ahnung hatte, wovon er überhaupt sprach, hätte die Antwort sowieso gelautet: nichts.

»Ich hatte Euch befohlen, in die Schatten zu fliehen und dort auf mich zu warten!«

»Aber das habe ich doch …«, begann Pia, registrierte den Ausdruck in seinen Augen und brach mit einem verwirrten Stirnrunzeln ab.

»Ihr habt keine Ahnung, habe ich recht?«, fragte Torman.

Diesmal nickte sie. Sie hatte wirklich keine Ahnung. Nicht einmal, wovon er jetzt gerade sprach.

»Ja, so etwas kommt dabei heraus, wenn dumme Kinder mit den Mächten der Magie spielen«, grollte Torman. »Weißt du überhaupt, was du angerichtet hast?« Er beantwortete seine eigene Frage mit einem Kopfschütteln, und seine schwarzen Augen wurden noch schwärzer vor Zorn. »Nein, natürlich nicht! Und wie auch?«

»Warum erklärt Ihr es mir nicht, Schwert?«, fragte Pia scharf. Verdammt, seit sie hier angekommen waren, erklärte ihr wirklich jeder, was sie nicht tun sollte und was sie falsch gemacht hatte. Warum sagte ihr eigentlich niemand, was sie tun sollte?«

Für einen Moment brannte der Zorn in Tormans Augen noch heißer, aber dann erlosch er wie abgeschaltet.

»Verzeiht, Erhabene«, sagte er. »Wie solltet Ihr es auch wissen? Es war mein Fehler. Ich werde Euch alles sagen, was Ihr wissen müsst, sobald wir hier heraus sind.«

Alles, was Ihr wissen müsst. Das war eine Formulierung, über die nachzudenken sich sicherlich lohnte, und Pia setzte auch zu einer entsprechenden Frage an – doch dann sah sie eine Bewegung am Ende der Gasse, in die sie gerade geflohen waren. Torman, dem ihr Blick nicht verborgen geblieben war, wandte den Kopf und verzog die Lippen zu dem abfälligsten Lächeln, das Pia jemals ins Leben gesehen hatte.

»Aber ich schlage vor, das zu einem späteren Zeitpunkt zu tun«, sagte er.

Pia hatte nichts gegen diesen Vorschlag einzuwenden.

Torman hob sie hoch und drehte sie herum, sodass sie wenigstens nicht mehr rittlings auf dem Pferd saß, und er war sogar rücksichtsvoll genug, sie dabei mit beiden Händen an den Hüften zu ergreifen, statt sie wieder im Nacken zu packen. Sie ritten weiter, bogen zwei-, oder dreimal (sie war sicher: vollkommen wahllos) ab und machten jedes Mal wieder kehrt, wenn am Ende der entsprechenden Gasse eine Mauer aus Schwertern, Äxten, grünen Schuppen und Zähnen auftauchte. Torman sagte kein Wort, und sein Gesicht blieb so ausdruckslos und starr wie das in Stein gemeißelte Antlitz des Elfenkönigs über dem Tor im Turm des Hochkönigs, aber Pia spürte trotzdem, wie seine zur Schau gestellte Ruhe allmählich zu bröckeln begann.

»Die Burschen sind hartnäckig, wie?«, fragte sie, nachdem sie zum fünften oder sechsten Mal kehrtgemacht hatten oder hastig abgebogen waren. Natürlich antwortete Torman nicht, aber die Blicke, mit denen er sich immer unsteter umsah, hatten viel von ihrer bisherigen Sicherheit eingebüßt, fand sie. Hätte sie nicht gewusst, dass der Schattenelb die Bedeutung dieses Wortes nicht einmal kannte, sie wäre sicher gewesen, so etwas wie Angst in seinen Augen zu lesen.

Und ihr fiel noch etwas auf, was sie vielleicht viel mehr beunruhigte: Torman war nicht mehr ganz so unversehrt wie am Anfang. Sein schmales Gesicht war übersät mit Schrammen und Rinnsalen aus Blut, das so hell war, dass es auf seiner nahezu weißen Haut beinahe rosafarben wirkte. Seine Rüstung war zerschrammt, und in seinem Helm klaffte ein tiefer Riss, der vorhin noch nicht da gewesen war. Auch auf dem Fell seines riesigen Schlachtrosses glänzten Schweiß und Blut, das nicht ausschließlich von dessen Feinden stammte, und der Atem des Tieres ging rasselnd und unregelmäßig. Ganz so unverwundbar, wie sie bisher instinktiv geglaubt hatte, schienen der Schattenelb und sein unheimliches Reittier doch nicht zu sein.

Für einen winzigen Moment machte sich ein Gefühl widersinniger Schadenfreude in ihr breit, das allerdings nicht besonders lange anhielt. Vielleicht sollte sie damit warten, bis sie hier heraus waren.

Falls es ihnen überhaupt gelang.

Nicht nur eine der schmalen Gassen, durch die Torman das Pferd jagte, kam ihr auf unangenehme Weise bekannt vor, und der Schattenelb riss sein Tier immer öfter herum, um eine andere Abzweigung oder einen anderen Weg zu suchen. Schließlich gelang es ihr nicht mehr, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen: Sie ritten im Kreis. Ihre Verfolger begannen sie in die Enge zu treiben.

Torman hielt an, brachte sein heftig tänzelndes Pferd mit einem harten Schenkeldruck zur Räson und sah sich gehetzt um.

»Läuft nicht besonders gut, wie?«, fragte sie.

»Schweigt!«, sagte Torman scharf. »Ich muss nachdenken.«Seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen, dachte Pia, war es nicht unbedingt etwas Angenehmes, worüber er nachdachte.

Die Meute aus Schuppengesichtern und Barbaren kam wieder näher. Torman riss das Pferd herum und sprengte um die nächste Abzweigung, eine kurze, von fensterlosen Mauern gebildete Gasse entlang und um eine weitere Biegung, und vielleicht war es in diesem Fall sogar Pia, die als Erste begriff, dass er einen Fehler gemacht hatte, denn das Pferd jagte noch ein gutes Dutzend Schritte weiter, bevor Torman es mit einem harten Ruck zum Stehen brachte. Seine Hand spielte nervös mit dem Griff des Breitschwerts, das er quer vor sich über den Sattel gelegt hatte. Am Ende der Straße, in die sie gerade eingebogen waren, war ein Trupp aus Barbarenkriegern und Orks aufgetaucht, der zwar näher kam, ihnen aber noch nicht gefährlich werden konnte; wenigstens für die nächsten zwei oder drei Sekunden.

Die Gasse endete zwanzig oder dreißig Schritt entfernt an der Stadtmauer. Es gab keine weitere Abzweigung, keine Lücke. Sie saßen endgültig in der Falle.

Pia sparte sich die Mühe, sich herumzudrehen und nach ihren Verfolgern Ausschau zu halten, aber sie konnte spüren, wie Torman es hinter ihr tat, und sie war sicher, sich sein erschrockenes Zusammenzucken nicht nur einzubilden. Dennoch ließ der Schattenelb das Pferd nach einer Sekunde weiterlaufen und hielt erst an, als sie die Mauer schon beinahe erreicht hatten und Pia sich allen Ernstes zu fragen begann, ob er etwa vorhatte, sie einfach zu rammen, wie er es vorhin mit dem Haus getan hatte.

Das Pferd wendete auf der Stelle, und Torman nutzte den Ruck, mit dem seine Vorderhufe den Boden wieder berührten, um Pia mit sanfter Gewalt vom Rücken des Tieres zu schubsen.

»Steigt ab, Erhabene«, sagte er, nachdem ihre Füße den Boden berührt hatten und sie mit einem hastigen Schritt zur Seite ihr Gleichgewicht wiederfand.

Pia schenkte ihm einen bösen Blick und machte hastig einen weiteren Schritt zur Seite, um nicht von dem nervös hin und her tänzelnden Pferd ganz versehentlich in den Boden gestampft zu werden. »Was Humor angeht, müsst Ihr noch eine Menge lernen, Schwert«, sagte sie.

Torman antwortete nicht darauf, und als Pia zum Ende der Gasse sah, konnte sie ihn auch verstehen.