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Ihre Verfolger waren wieder da. Und es waren mehr geworden. Pia schätzte die Anzahl der Orks auf mindestens zehn, und dazu kamen wahrscheinlich noch einmal doppelt so viele Barbarenkrieger. Und hinter ihnen drängten immer noch mehr und mehr bewaffnete Gestalten in die Gasse. Sie hatten es nicht besonders eilig, näher zu kommen, und wozu auch? Sie saßen in der Falle. Es gab kein Entkommen.

»Und was jetzt, Torman?«, fragte sie nervös. »Ich meine, können wir nicht in die Schatten …?«

»Nein«, unterbrach sie Torman. Pia stellte keine weitere Frage mehr.

Die waffenstarrende Front ihrer Verfolger rückte noch ein Stück näher und kam dann zitternd und klirrend zum Stehen, und eine weitere Gestalt erschien am Ende der schmalen Gasse. Sie saß auf einem Lizard, dessen hasserfüllte Blicke Pia selbst über die große Entfernung hinweg zu spüren glaubte.

Die Phalanx der Krieger teilte sich, um Hernandez passieren zu lassen. Er kam näher, hielt aber in respektvollem Abstand an, und ein halbes Dutzend Orks schloss sich wie eine lebende Mauer um ihn. Tormans Pferd schnaubte und begann unruhig mit den Vorderhufen zu scharren, und Hernandez’ Reitechse stieß ein boshaftes Zischen aus. Der Hass zwischen diesen beiden Tieren musste mindestens ebenso groß sein wie der zwischen ihren Reitern.

»Schwert Torman«, sagte Hernandez. »Ihr habt tapfer gekämpft. Ich verbeuge mich vor Eurem Mut und Eurer Stärke.«

Torman sagte nichts dazu, sondern stieg mit einer langsamen Bewegung aus dem Sattel und ergriff sein Schwert mit beiden Händen.

»Aber nun ist es vorbei«, fuhr Hernandez fort. »Ihr habt viele meiner Krieger erschlagen, und ich weiß, dass Ihr noch mehr von ihnen töten könntet, bis dieser Kampf vorüber ist. Aber ich weiß auch, dass Ihr ihn nicht gewinnen könnt. Und Ihr wisst es auch. Das Blutvergießen muss nicht weitergehen.«

»Du wärst der Erste, den meine Klinge trifft«, sagte Torman ruhig.

»Ja, das ist gut möglich«, antwortete Hernandez. »Aber am Ende würdet Ihr auch sterben, Schwert. So weit muss es nicht kommen. Wir haben keinen Streit mit Euch und Euren Brüdern.« Er deutete auf Pia. »Wir wollen nur sie. Liefert sie uns aus und wir lassen Euch gehen. Vielleicht findet sich ja später eine Gelegenheit für uns, unseren persönlichen Zwist zu Ende zu bringen.«

Wie zur Antwort spreizte Torman leicht die Beine und ergriff sein Schwert fester. Hernandez seufzte tief und schüttelte traurig den Kopf. Er hatte keine andere Reaktion erwartet, begriff Pia.

»Schade«, sagte er. »Ich hatte es ehrlich gemeint, wisst Ihr?« Er hob die Hand, und ein gutes Dutzend Orks vor und neben ihm begann die Waffen zu heben und vorzurücken.

Torman spannte sich und hob die Waffe nun in Brusthöhe, während er zugleich den Kopf drehte und Pia ansah. Ein Ausdruck unbestimmter Trauer, aber auch großer Entschlossenheit erschien auf seinem Gesicht. »Es tut mir leid, Erhabene«, sagte er.

Sie begriff einen Sekundenbruchteil zu spät, was der Schattenelb damit meinte. Sein Bedauern galt nicht dem Umstand, dass es ihm am Ende doch nicht gelungen war, seinen Auftrag zu erfüllen und sie zu beschützen.

Tormans Klinge verwandelte sich in einen huschenden Schatten, der mit tödlicher Präzision und schnell wie ein Gedanke nach ihrer Kehle stieß, aber so schnell es auch ging, so schrecklich unentrinnbar die Bewegung auch war und so kurz der zeitlose Moment, den sie brauchte, um diesen Gedanken zu denken, begriff sie doch noch mit vollkommener Gewissheit, dass sie jetzt sterben würde; dass dies das Ende ihrer Reise war. Instinktiv bewegte sie sich zurück, aber die Bewegung war geradezu grotesk langsam im Vergleich zu dem tödlichen schwarzen Blitz, der nach ihrer Kehle züngelte, und die Schwertklinge …

… verfehlte sie.

Und war dann einfach verschwunden, zusammen mit Torman, dem Pfad, der Gasse, Hernandez und seinen Orks und dem Rest der Welt. Pia taumelte mit hilflos wedelnden Armen durch einen Vorhang unsichtbarer kribbelnder Spinnweben, kippte nach hinten und sah ein Chaos aufblitzender Lichter und tanzender Schatten überall um sich herum, bevor sie mit solcher Gewalt auf den Rücken fiel und mit dem Hinterkopf aufschlug, dass ein Gewitter vollkommen anderer, aus purem Schmerz bestehender Blitze vor ihren Augen aufflammte und sie beinahe das Bewusstsein verloren hätte. Etwas kreischte. Ein Orkan der unterschiedlichsten und allesamt falschen Geräusche schlug über ihr zusammen, und ein beißender Geruch stieg ihr in die Nase, genauso falsch wie die Geräusche, aber trotzdem auf sonderbare Weise vertraut. Das Schmerzgewitter flackerte für einen Moment noch heller und erlosch dann, und irgendwie gelang es ihr, die aufkommende Dunkelheit zurückzudrängen und nicht nur bei Bewusstsein zu bleiben, sondern auch die Augen zu öffnen.

Etwas Schwarzes und sehr Massives ragte keine zehn Zentimeter vor ihrem Gesicht in die Höhe. Sie hörte das Knacken von heißem Metall und das Kreischen von Reifen, und erst dann identifizierte sie den stechenden Geruch endgültig als den Gestank von heißem Gummi.

Eine Tür schlug, dann erschienen hektisch rennende Füße und nur einen Sekundenbruchteil später ein schreckensbleiches Gesicht mit weit aufgerissenen Augen in ihrem eingeschränkten Blickfeld.

»Por Deus!«, keuchte eine atemlose Stimme. »Ist Ihnen etwas passiert? Ich … ich habe Sie gar nicht gesehen! Ich schwöre, ich habe aufgepasst und …«

Die Worte verloren ihre Bedeutung, obwohl sie weiter nur so aus dem Mann heraussprudelten. Pia rutschte behutsam ein kleines Stück von dem Reifen weg, der sie um ein Haar zerquetscht hätte, richtete sich sehr vorsichtig auf, um sich nicht an der dazugehörigen Stoßstange den Kopf zu stoßen, und stemmte sich dann ganz in die Höhe. Kurz wurde ihr schwindelig, sodass sie sich an der Motorhaube des Wagens abstützen musste, um nicht sofort wieder zu fallen, und für einen noch kürzeren Moment begannen sich Lichter und Schatten und Geräusche noch einmal um sie zu drehen wie ein außer Kontrolle geratenes Kettenkarussell. Unsichtbare Spinnweben schienen ihr Gesicht zu berühren, und etwas … wollte zurückweichen.

Pia verscheuchte das Gefühl mit einer so gewaltigen Willensanstrengung, dass ein leises Stöhnen über ihre Lippen kam. Ihre Knie gaben nach, und beinahe wäre sie gestürzt, hätte nicht diesmal eine Hand nach ihrem Arm gegriffen und sie festgehalten. Aber das Spinnwebengefühl war fort.

Als sie die Augen öffnete, blickte sie ins Gesicht eines schreckensbleichen kleinen Mannes, auf das sie trotzdem nicht hinabsehen musste. Er hatte schütteres Haar, trug einen schlichten grauen Straßenanzug, der ganz eindeutig schon bessere Tage gesehen hatte, und zitterte vor Aufregung und Angst am ganzen Leib.

»Ist … ist Ihnen auch wirklich nichts passiert?«, stammelte er. Dann wurden seine Augen noch größer. »Sie bluten!«

Pia hob ganz automatisch die Hand an den Hinterkopf und sog schmerzhaft die Luft zwischen den Zähnen ein, als sie warmes Blut ertastete. Trotzdem hörte sie die Worte kaum, und auch der neuerliche Schmerz kratzte nur irgendwo am Rande ihres Bewusstseins. Aus weit aufgerissenen Augen sah sie sich um.

Sie stand mitten auf einer belebten Straße. Hinter dem Wagen, der sie um ein Haar überfahren hätte, begann sich bereits ein Stau zu bilden. Etliche Fahrer hatten die Warnblinker eingeschaltet, aber die meisten betätigten nur mit großer Begeisterung ihre Hupen, und auch auf der Gegenfahrbahn begann sich allmählich ein Stau aufzubauen, weil natürlich jedermann langsamer fuhr, um neugierig in ihre Richtung zu gaffen. Es war Nacht, aber nicht dunkel. Überall rings um sie herum brannten Lichter: Schaufenster, Leuchtreklamen, erhellte Fenster und Türen, und es war warm. Und als wäre das noch nötig gewesen, um ihr endgültig zu beweisen, was passiert war, donnerte in diesem Moment ein Passagierjet keine hundert Meter über ihren Köpfen dahin und steuerte den Flughafen im Norden der Stadt an. All diese Lichter, die Autos und Menschen, das Flugzeug und der harte Asphalt, auf den sie gestürzt war, gehörten zu Rio de Janeiro.