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Ulric stand auf und ging auf die halbfertige Hütte zu. Jetzt konnte auch er etwas tun. Solange die Krieger mit den schweren Stämmen hantiert hatten, wäre er nur im Weg gewesen. Nun galt es, die breiten Spalten zwischen den unbehauenen Stämmen mit Lehm und Moos abzudichten. Eine Arbeit für die Kinder.

Schon kam eine johlende Schar angelaufen. Ulric kannte einige der Kinder: Ottar und die dunkelhaarige Asdis; beide hatten ihre Eltern während der Kämpfe um Sunnenberg verloren. Den dicken Guthorm, den die Hungerwochen so dürr wie alle anderen Kinder gemacht hatten, und den schlaksigen Eirik.

Der hagere Junge war mehr als ein Jahr älter und zwei Köpfe größer als Ulric. In Firnstayn hatte er sich oft einen Spaß daraus gemacht, die blinde Halgard zu ärgern. Er hatte sie zum Straucheln gebracht, sie gehänselt oder ihr allen möglichen Unsinn darüber erzählt, was angeblich um sie herum geschah. Dutzende Male hatten sich Ulric und Eirik geprügelt. Und meistens hatte Eirik gewonnen. Jetzt war er der Anführer der Kinderschar, die zur Hütte gelaufen kam.

Aus den Augenwinkeln sah Ulric, wie Ottar vor ihm zurückwich, als er sich ebenfalls der Hütte näherte. Auch Guthorm betrachtete ihn misstrauisch. Das Lachen war verstummt.

Eirik stellte sich ihm breitbeinig in den Weg. Lautstark sog er Luft durch die Nase. »Es stinkt, findet ihr nicht auch? Riecht wie toter Fisch hier.«

Ottar begann so sehr zu zittern, dass ihm das Moos aus den Händen fiel. Seine Schwester Asdis stellte sich schützend vor ihn.

»Dann mach deinen Hosenstall zu, Eirik. Der Gestank ist wirklich nicht auszuhalten.«

Ulric versuchte ein Lachen, doch es klang hohl.

Der schlaksige Junge hob drohend die Fäuste. »Geh zurück in den Fjord, Wiedergänger! Hau ab, oder ich schleif dich an den Haaren zum Wasser hinab!«

»Ich bin hier, um zu arbeiten — wie alle anderen auch.«

»Du bist aber nicht wie alle anderen«, zischte Asdis. »Luth hat deinen Faden zerschnitten. Du gehörst nicht; mehr zu den Lebenden. Geh zu deiner toten Freundin und lass uns in Ruhe!«

Ulric schluckte, er rang mit den Tränen. »Ich bin nicht ...« Er sah zu Guthorm, doch der abgemagerte Junge wich seinem Blick aus. Ulric hatte schon seit einer Weile bemerkt, dass ihm niemand direkt in die Augen sehen wollte. Er hatte nicht verstanden, warum das so war. Bisher hatte er sich eingeredet, dass die anderen eifersüchtig auf ihn waren. Seit er in der Höhle am Fjord den Troll getötet hatte, galt er als Krieger, auch wenn er noch ein Junge war. Ulric kannte alle Heldengeschichten über die toten Könige und ihre besten Krieger. Noch nie hatte ein Junge mit sieben Jahren einen Troll getötet. Er hatte jetzt das Recht, mit den Kriegern an der Festtafel zu sitzen, und er durfte Met trinken, wenn er wollte. Dabei wurde ihm ganz schwindelig und übel davon.

Doch auch die Krieger mieden ihn. Seine Anwesenheit beschämte sie. Es gab nur wenige Männer, die gegen einen Troll gekämpft hatten und noch lebten.

Ulric presste trotzig die Lippen zusammen. Dann ging er an Eirik vorbei. »Ich werde jetzt meine Arbeit tun.« Er bückte sich nach dem Lehmhaufen und griff mit beiden Händen in den eisigen Schlamm.

Eirik packte ihn bei den Haaren und riss ihn nach hinten. »Ich habe dich gewarnt«, schrie er. »Jetzt bring ich dich hinab zum Fjord, wo du hingehörst. Und ich steck dich in einen Sack mit Steinen. Diesmal wirst du nicht wiederkommen!«

Ulric fiel rücklings in den Schnee. Er lag kaum am Boden, da trat Eirik ihn auch schon in die Seite. Die anderen Kinder sahen einfach zu. Niemand versuchte ihm zu helfen, nicht einmal Guthorm, der früher einmal sein Freund gewesen war. Einen flüchtigen Augenblick lang dachte Ulric daran, was sein Vater und Ollowain ihm über Ritterlichkeit im Kampf erzählt hatten. Wer sich an diesen Ehrenkodex hielt, ging unter!

Eirik verpasste ihm einen weiteren Tritt. Ulric nahm dem Treffer etwas von seiner Wucht, indem er sich zur Seite rollte. Stöhnend kam er auf alle viere. Seine Hände krallten sich tief in den Schnee.

»Geh zurück auf den Grund des Fjords, Wiedergänger. Wir wollen dich hier nicht!« Ulric schnellte vor und rammte Eirik den Kopf in den Bauch. Ineinander verknäult stürzten beide zu Boden. Ulric stieß seinem Peiniger ein Knie zwischen die Beine und drosch mit beiden Fäusten auf dessen Gesicht ein. Der Junge versuchte verzweifelt, ihn wieder loszuwerden. Dunkles Blut quoll aus seiner Nase.

Ein leise schleifendes Geräusch ließ Ulric innehalten. Eirik hatte ihm den Elfendolch aus dem Gürtel gezogen. Die Klinge glänzte matt im grauen Winterlicht. Eirik richtete die Spitze der Waffe auf Ulrics Kehle. »Mich wirst du nie wieder schlagen, Wiedergänger.«

Ulric schluckte. »Stimmt. Ich prügele mich eigentlich nicht mit Schwächeren.«

»Du hast nur gewonnen, weil du gar nichts mehr fühlst!«, keifte Eirik aufgebracht. »Dich könnte ein Pferd treten, und du würdest es nicht fühlen. Tote fühlen gar nichts mehr! Deshalb hast du gewonnen. Nach den Tritten hättest du erledigt sein müssen.«

»Meine kleine Schwester Kadlin konnte kräftiger zutreten als du, Memme.«

Ulric beugte sich zurück, um etwas mehr Abstand zwischen den Dolch und seine Kehle zu bekommen.

»Dann schick ich dich jetzt auf den Weg zu ihr, du ...« Eine kräftige Hand griff nach Eiriks Arm und verdrehte ihn, bis der Junge mit einem Schmerzensschrei den Dolch fallen ließ.

»Das genügt, Jüngelchen. Nimm deine Kameraden und mach, dass du mir aus den Augen kommst, nichtsnutziger Mistkerl!«

Eirik rappelte sich auf und warf Ulric einen mörderischen Blick zu. Steifbeinig und betont langsam ging er davon. Die anderen Kinder scharten sich um ihn. Asdis hatte Ottar einen Arm um die bebenden Schultern gelegt. Der kleine Junge schluchzte.

Es hatte wieder angefangen zu schneien. Große weiße Flocken tanzten vom Himmel hinab. Binnen Augenblicken waren die Kinder außer Sicht.

»Deine Waffe.« Sein Retter hielt Ulric den Dolch mit dem Griff voran hin. Es war ein großer, blonder Krieger. Einer der Männer, die mit seinem Vater in Albenmark gekämpft hatten. Auf seiner rechten Wange prangte ein halbmondförmiges Mal. Ein Brandzeichen. Diebe wurden so markiert.

»Du bist Mag, nicht wahr?«

Der Krieger nickte knapp. »Du solltest vielleicht nicht mit dem Dolch am Gürtel im Lager herumlaufen. Du könntest jetzt...« Er stockte. »Das hätte böse ausgehen können.«

Er also auch, dachte Ulric. Auch Mag zählte ihn zu den 64 Toten! »Ich bin ein Krieger! Ich habe das Recht, eine Waffe zu tragen«, entgegnete er trotzig.

Sein Retter schmunzelte. Feine Lachfältchen erschienen um seine Augen. »Verzeih mir, Ulric Alfadasson, Prinz des Fjordlands. Einen Augenblick lang hatte ich vergessen, wer vor mir steht. Irgendwie siehst du aus wie ein ganz gewöhnlicher Lausbub mit einer blutigen Nase.«

Ulric tastete nach seiner Nase. Er hatte gar nicht bemerkt, dass sie etwas abbekommen hatte. Misstrauisch musterte er Mag. War er tatsächlich freundlich, oder verspottete er ihn gerade? Manchmal war das verdammt schwer zu unterscheiden, wenn die Großen mit ihm sprachen. Sie sagten etwas und meinten in Wirklichkeit etwas ganz anderes.

»Reib dir die Nase mit Schnee ein, dann wird sie nicht mehr bluten«, sagte der Krieger freundlich.

Ulric klaubte eine Hand voll Schnee auf. Jetzt, wo er sich um die Nase kümmerte, schmerzte sie so sehr, dass er die Zähne zusammenbeißen musste. Aber er war ein Krieger! Er würde jetzt nicht anfangen zu flennen.

»Kommst du mit mir in die Festhalle? Die Männer haben mit der Arbeit aufgehört, weil der Schnee zu dicht fällt. Ein Sturm kommt. Dieser verfluchte Winter scheint niemals mehr zu Ende gehen zu wollen.« Er grinste verschwörerisch. »Ich bin sicher, es gibt dort warmen Met für uns.«

Bei dem Gedanken an den Met wurde Ulric ganz übel. Anfangs war er ganz begeistert davon gewesen, dass er mit den Kriegern zusammen trinken konnte. Aber irgendetwas stimmte mit ihm nicht. Dass man irgendwann auf dem binsenbestreuten Boden lag oder sinnlos herumlallte, war normal. So war es bei jedem Trinkgelage, das richtige Männer abhielten. Aber ihm wurde schon nach einem halben Horn Met ganz schwindelig. Und die Krieger um ihn herum bekamen Zwillinge. Manchmal sogar Drillinge! Keiner der anderen Männer schien dieses Problem zu haben. Außerdem musste er sich viel zu schnell übergeben, um Spaß am Trinken zu haben.