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Ganda war überrascht. Elija gab sein Wort niemals leichtfertig. Man konnte sich darauf verlassen, dass er sich an das hielt, was er versprach. Sein plötzlicher Sinneswandel machte sie skeptisch. Liebte er sie so sehr?

Lange sahen sie einander schweigend an. Ganda versuchte, in den Augen des Kommandanten zu lesen, doch er verstand es meisterlich, seine Gefühle zu verbergen.

»Ich bin einverstanden«, sagte sie schließlich. »Du kannst mir vertrauen. Ich bin noch immer eine treue Kämpferin für unsere Sache.«

Wieder bleckte Elija die Zähne. »Gut.« Ohne ein weiteres Wort verließ er das Zelt.

Ganda wartete eine Weile, bis auch sie hinaustrat. Weites, sanft gewelltes Grasland erstreckte sich bis zum Horizont. Die Herde zog gemächlich ihres Weges. Lachende Kinder liefen hinter den Hornschildechsen her und sammelten ihren harten, trockenen Dung für die abendlichen Feuer. Sie hatte die Herde vermisst. Hätte sie all das für Ollowain aufgegeben? Sie strich über ihre glatte Silberhand. War das alles, was ihr das Abenteuer mit dem Elfen eingebracht hatte? Vor ein paar Tagen noch hatte sie ihn leidenschaftlich gehasst. Und jetzt riskierte sie ihr Leben in der Herde für ihn. War sie wirklich verliebt? Bei dem Gedanken stieg ihr ein Kloß in den Hals. Das durfte sie nicht zulassen! Es wäre aussichtslos. Vielleicht würde Ollowain nicht einmal diese Nacht überleben? Seine Wunden waren nicht brandig geworden, aber er war so sehr geschwächt, dass allein das Atmen schon fast seine Kräfte überstieg. Und seine Kopfwunde ... Sie hatte die eingedrückten Schädelknochen so gut gerichtet, wie sie es konnte. Aber es war unmöglich zu sagen, ob er nicht als stammelnder Idiot erwachen würde.

Ganda spürte das warme Sonnenlicht auf ihrem Pelz. Sie atmete tief durch. Die Luft roch nach trockenem Gras, Staub und Steppenblumen. Nach den Ausdünstungen der großen Echsen und dem Fleisch, das die Herde trug. Genug, um die ganze Sippe viele Monde lang zu ernähren. Sie schauderte bei dem Gedanken, was für Fleisch das war. Vielleicht wäre auch Ollowain in einem der Körbe, wenn sie ihn nicht gefunden hätte. Ausgeweidet und von wuchtigen Steinäxten zerteilt.

Tausende Fliegen umschwirrten die großen Echsen. Ganda war froh, wenn sie diese grausige Fracht endlich abliefern konnten. Die Zeit drängte. Einen weiteren Tag in der Sommerhitze würde das Fleisch nicht vertragen. Schon jetzt wimmelte es vor Maden. Sie hatten das Fleisch eingesalzen und es mit Zaubern umwoben, die Hitze und Fliegen fern halten sollten. Aber letzten Endes war dies ein Kampf, den man nicht gewinnen konnte. Es war höchste Zeit, dass sie ihr Ziel erreichten!

Sie schirmte die Augen mit ihrer Silberhand ab. Bald müssten sie am Grabhügel eintreffen, in dem das Kentaurenvolk der Schwarzschilde seine toten Anführer bestattete. Warum das Fleisch dorthin sollte, hatte ihr niemand sagen wollen. Vielleicht wusste es auch nur Elija. Offenbar ging es schon seit Jahren so, dass sie Fleisch in Gräber brachten. Ob der Kommandant verrückt geworden war? Und welchen Plan hatte er mit Ollowain?

Leichenschmaus

»Und was erwartet einen bei so einem Leichenschmaus?«, fragte Melvyn, obwohl er die Antwort schon ahnte. Er versuchte fröhlich zu klingen, dabei hatte er sich zwingen müssen, heute Abend an die große Wiese am Fluss zu kommen. Morgen schon würde er flüchten. Elodrin konnte er nicht gehorchen. Er hatte versucht, dem Elfenfürsten zu erklären, warum er nicht bleiben konnte, doch Elodrin wollte nichts von einer Suche nach Leylin wissen. Im Gegenteil. Er hatte ihm erklärt, wie groß Arkadien war und wie viele Orte es gab, an die Shandral geflohen sein mochte. Er hatte an seine Ehre appelliert, ihm sogar geschmeichelt und ihn daran erinnert, dass er und seine Späher die Augen des Heeres seien und sie ihn nun, da die Kentauren ziehen würden, mehr denn je brauchten. Doch nichts hätte Melvyn überzeugen können. Er blickte zum südlichen Himmel, den die Abenddämmerung mit einem tiefen, samtenen Blau überzogen hatte, aus dem scharf die Sichel des Mondes hervorstach. Irgendwo dort in der Ferne war Leylin. Und sie blickte zum selben Mond. Und vielleicht hoffte sie noch auf ihn. Er hatte ihr Leben zerstört. Diese Schuld würde er niemals abtragen können. Das Einzige, was er für sie tun konnte, war, sie von Shandral fortzuholen. Sie würden wieder mit den Adlern schwerelos im Himmel tanzen. Er wollte sie vergessen lassen, dass sie ihre Beine verloren hatte. Wollte ihr das scheue Lächeln auf die Lippen zaubern, in das er sich verliebt hatte. Wollte sein Gesicht in ihrem langen Haar vergraben und zwischen ihren Schenkeln versinken. Er würde sie finden! Oder er würde auf der Suche nach ihr sterben.

Er dachte an Ollowain. Nur ein paar Tage hatte er ihn erlebt. Er war so voller Kraft gewesen. So voller Zuversicht. Jeder Zoll ein Ritter. Alles schien möglich, wenn man Ollowain auf seiner Seite hatte. Schon als kleiner Junge hatte er Geschichten über ihn gehört. Sein Vater Alfadas war angeblich einmal sein liebster Schüler gewesen. Aber ein Ritter wie Ollowain war Alfadas nicht geworden, dachte Melvyn. Ollowain hätte ihn nicht allein gelassen. Er war genau so gewesen, wie er ihn sich als kleiner Junge vorgestellt hatte.

Melvyn lächelte bitter, als er an seine erste Begegnung mit dem Ritter dachte und daran, wie Ollowain ihn in Eisen hatte legen lassen. Er hatte wohl Recht damit gehabt. Aber trotz allem hatte der Ritter ihm vertraut. Das war ein gutes Gefühl gewesen.

Melvyn blickte zu Artaxas auf, der neben ihm her schritt. Der Lamassu hatte sich ihm und Nestheus auf dem Weg zur Festwiese angeschlossen. Er hatte ein Funkeln in den dunklen Augen, und ein verschmitztes Lächeln spielte um seine Lippen. Melvyn kannte diesen Gesichtsausdruck nur zu gut. Seinem Freund saß an diesem Abend wieder einmal der Schalk im Nacken. Er war auf der Suche nach einem Besäufnis und einer netten Schlägerei. Aus Artaxas wurde man nicht schlau, er konnte gestelzt daherreden wie ein Philosoph und im nächsten Augenblick fluchen, dass selbst abgebrühte Söldner blass wurden. Seine Launen waren so wechselhaft und unvorhersehbar wie das Frühlingswetter an der Küste Alvemers. Er war ein Rätsel auf vier stämmigen Stierbeinen. Und ein treuer Freund.

»He, Pferdearsch. Redest du nicht mit uns? Wie feiern deine Leute einen Toten? Das würde ich auch gern wissen, bevor ich einen Abend an einem Ort vergeude, an dem man nur auf feuchte Wangen, nicht aber auf feuchte Kehlen hoffen darf.«

Melvyn zuckte innerlich zusammen. Jetzt ging es also los mit Artaxas. Doch Nestheus tat so, als habe er die Beleidigungen überhört. Er wirkte nervös an diesem Abend. Der weiße Kentaur schien ihnen kaum zuzuhören. Sein Schweif peitschte unruhig, und er blickte sich ständig um. »Was erwartet ihr bei einem Fest meines Volkes? Wir werden uns besaufen, bis wir umfallen, und vorher wird man ein paar ergreifende Reden über den Toten halten.«

»Willst du wirklich mitkommen, Artaxas?«, fragte Melvyn in der vagen Hoffnung, den Lamassu doch noch umstimmen zu können.

Sein Freund grinste breit. »Warum nicht? Heute steht mir der Sinn danach, meinen Horizont zu erweitern. Nimm es mir nicht übel, aber es ist nicht wirklich eine Herausforderung an meinen Intellekt, meine Abende plaudernd mit einem Hauptmann zu verbringen, der seine Kindheit in einer Wolfshöhle verbrachte. Ich brauche Abwechslung von dir.«

»Und was erwartest du auf einem Kentaurenfest? Neue Einblicke in das Paarungsverhalten volltrunkener Hengste?«

Artaxas schnalzte mit der Zunge. »Du bringst mich noch auf Ideen ... Eigentlich hoffte ich darauf, Elodrin zu begegnen und ihn dazu zu überreden, die wilde Sauforgie zu verlassen und sich stattdessen mit mir im Falrach-Spiel zu messen. Angeblich soll er ja recht gut sein. Aber falls er nicht kommt, werde ich herausfinden, wie viel Wolfsmilch ein Lamassu braucht, um von den Hufen zu kippen, und bis das geschieht, beschäftige ich mich mit den Studien, die du anregst, Melvyn.«