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Melvyn war bereits leicht beschwipst, als er sah, wie der Kentaur Senthor kam und auf Nestheus einredete. An Nestheus‘ Seite war eine junge Stute. Ein hübsches Mädchen. Der Wolfself hatte gar nicht bemerkt, wie sie gekommen war. Sie hatte langes, weißblondes Haar. Auch ihr Schweif war von dieser Farbe, und wie Nestheus war sie ein Schimmel. Die beiden passten gut zueinander.

Der schrille Klang von Luren hallte über die Wiese. Melvyn blickte auf. Auf dem Hügel bei Orimedes hatte sich Katander von Uttika eingefunden. Der verwundete Fürst musste von zweien seiner Krieger gestützt werden, um stehen zu können. Lurenbläser standen um den Fuß des Hügels und streckten ihre schlangengleichen Instrumente dem Himmel entgegen. Als ihr eindringlicher Ruf ein zweites Mal erscholl, verstummten die Lieder der Zecher und die gelallten Prahlereien über Liebes-

und Kriegsabenteuer.

»Du wirst zu ihm kommen. Sofort!« Senthor verstummte, als er bemerkte, wie alle ihn anblickten. Das Kentaurenmädchen an seiner Seite wirkte erschrocken.

»Nicht heute Abend!«, entgegnete Nestheus entschieden.

»Meine Brüder!« Die Stimme des Fürsten Orimedes klang ein wenig heiser, und man hörte ihr an, dass er schon hart daran gearbeitet hatte, seinen Schwur gegenüber Ollowain zu erfüllen. »Seite an Seite haben wir mit den Uttikern gekämpft. Und nun trinken wir mit ihnen und gedenken gemeinsam unseres größten Helden. Uttiker haben Steppenreitern das Leben gerettet, und auch wir haben die Haut von manchem Goldkrebs gerettet. Die Feuer des Krieges schmieden Freundschaften, die nie mehr zerbrechen. Aus Verachtung wurde Respekt. Und so soll es von nun an für immerdar bleiben. Katander und ich haben miteinander getrunken, und wir haben beschlossen, das Band zwischen unseren Völkern noch fester zu knüpfen. Deshalb werden wir noch in diesem Winter eine Hochzeit feiern. Mein Nestheus, der Held der Schlacht am Mordstein, der einzige Erbe meines Blutes, wird Elena heiraten, die einzige Tochter Katanders. So wie die beiden sich vereinigen werden, werden auch unsere Völker künftig vereint sein. Und wenn das nächste Frühjahr kommt, dann wird mein Sohn es sein, der unsere vereinten Heerscharen anführt.«

Melvyn war schlagartig wieder nüchtern. Er sah zu Nestheus. Der junge Kentaur war leichenblass geworden. Er hielt die Fäuste geballt, und sein Schweif peitschte vor Wut. Kirta hatte den Kopf gesenkt. Sie wirkte gefasster.

»Tu jetzt nichts Unbedachtes!«, flüsterte Melvyn, doch sein Freund schob ihn einfach zur Seite. Er drängte sich durch die Menge.

Melvyn folgte ihm, doch zwischen den wogenden Pferdeleibern verlor er ihn aus den Augen, bis Nestheus den flachen Hügel hinaufpreschte, auf dem sein Vater und Katander standen.

»Keine Stunde ist vergangen, da hast du die Freiheit der Steppe als unser höchstes Gut gelobt, Vater. Und ich soll unser Heer anführen, um für diese Freiheit zu kämpfen. Aber wie kannst du glauben, dass unsere Krieger sich von einem Unfreien, einem Sklaven, anführen lassen werden?«

»Du redest wirr, Sohn. Du bist betrunken.« Orimedes winkte zwei stämmigen Leibwächtern. »Bringt ihn fort!« Er zwang sich zu einem falschen Lachen. »Der Junge verträgt nicht viel.«

»Mach es dir nicht so leicht, Vater! Du weißt, wovon ich spreche. Ich habe eine Braut dort draußen auf der Steppe gefunden. Und ich habe ihr mein Herz geschenkt.«

Er wandte sich an Katander, der aschfahl geworden war. »Ich kenne deine Tochter nicht, Fürst von Uttika. Gewiss ist sie ein wunderbares Mädchen. Und weil sie das ist, verdient sie einen Mann, der sie liebt. Sei nicht wie mein Vater und verschachere dein Fleisch und Blut. Man kann Völker nicht verheiraten, indem man einen Mann und ein Weib dazu zwingt, ihr Leben miteinander zu teilen. Wenn ich deine Tochter besteige, ohne sie zu lieben, ist es dann nicht fast dasselbe, als nähme ich sie mit Gewalt? Willst du das wirklich, Katander? Willst du ...«

»Genug!« Orimedes war hochrot angelaufen. »Es ist das Schicksal von Fürstenkindern, dass sie in Ketten geboren werden. Sie dienen ihrem Volk! Und ganz gleich, was du dir in deinem Liebeswahn zusammenfabulierst, es ist ein alter und bewährter Brauch, dass man das Bündnis zwischen zwei Völkern durch eine Hochzeit bekräftigt. Du wirst dich fügen, denn wenn du es nicht tust, dann bist du nichts als ein selbstsüchtiger Verräter. Ich kenne die Hure, die dir den Kopf verdreht hat. Was bringt sie dir? Ihre Sippe ist bettelarm. Ihre Büffel sind räudige Gerippe auf vier Beinen. Und dem Mädchen hat man befohlen, dich zu umgarnen. Du wirst sie reich machen. Nur deshalb umschmeichelt sie dich mit ihren schönen Augen.«

Mit Schrecken sah Melvyn, dass es auch Kirta geschafft hatte, auf den Hügel zu kommen. Immer dichter drängten sich die Kentauren, um den Streit zu verfolgen. Der Halbelf kämpfte sich zwischen den schwitzenden Pferdeleibern hindurch. Außer dem Stampfen der Hufe und den Stimmen der Streitenden war nichts zu hören.

Kirta sah im silbernen Mondlicht wie ein Geist aus. Ihr Fell schimmerte, als leuchte es von innen heraus. Sie wirkte sehr zart und zerbrechlich, als sie an Nestheus‘ Seite trat. Und ja, sie war mager. Das Licht ließ deutlich ihre Rippen unter dem Fell erkennen.

»Zwei meiner Brüder haben am Mordstein ihr Leben für dich gegeben, Fürst, und du schmähst meine Sippe! Du nennst mich eine Hure. Wie kannst du es wagen, Orimedes! Es war dein Sohn, der zu mir kam, der mich mit schönen Worten umwarb und der mir meine Unschuld nahm. Er ist edel und selbstlos. Ziehe seine Taten nicht in den Schmutz! Wenn du glaubst, dass ich den Frieden unserer Völker störe, dann nimm dein Schwert und stoße es mir in die Brust. Lass mein Herz aufhören zu schlagen, denn solange es sich noch regt, werde ich Nestheus gehören. Ich habe ihm meine Liebe geschworen, und du wirst mich nicht zur Eidbrecherin machen, mein Fürst.«

»Du hast meinem Jungen den Verstand geraubt, Hexe, und ich warne dich, fordere mich nicht heraus!« Der Fürst legte die Hand auf den Schwertknauf.

Melvyn verdoppelte seine Anstrengungen, sich durch die Menge zu kämpfen. Er musste auf den Hügel gelangen und diese Hitzköpfe auseinander bringen.

Nestheus stellte sich vor Kirta. »Mein Leib ist ihr Schild.«

Auch er legte die Hand auf sein Schwert. »Zwinge mich nicht, mein Weib gegen dich zu verteidigen, Vater. Mein Leben lang habe ich dir gehorcht. Ich war dir ein guter Sohn. Du hast mich Stolz gelehrt und Edelmut. Du hast mich den Ehrenkodex gelehrt, dem ein Krieger folgen soll. Und nun bist du es, der mit der Hand auf dem Schwertknauf vor einem unbewaffneten Weib steht. Hüte dich vor mir, Vater, denn das Kind, das du zum Manne erzogen hast, ist bereit, nach deinen Worten zu leben.«

Orimedes standen Tränen in den Augen. »Sie hat ihn verhext«, schrie er mit schriller Stimme. »Du bist nicht mehr mein Sohn. Mein Sohn wäre niemals zum Verräter an seinem Volke geworden.«

Melvyn erreichte die Hügelkuppe. Er wollte sich zwischen die beiden Kentauren werfen, als Flügelrauschen über ihm erklang. Ein gewaltiger Schatten erschien am Nachthimmel. »Kommt zu mir, Kinder«, rief Artaxas mit Donnerstimme.

Kirta stieß einen überraschten Schrei aus. Ihre Hufe zuckten in der Luft. Sie wurde emporgehoben. Ein Schwert blitzte. Metall kreischte auf Metall. Orimedes hatte sein Schwert gezogen. Nestheus versuchte seinen Hieb zu parieren. Ein flacher Schnitt lief quer über seine Brust. Dann wurde auch er emporgehoben.

Melvyn blickte in den Himmel. Artaxas! Das Antlitz des Lamassu war vor Anstrengung verzerrt. Die beiden durch seine Magie dem Himmel entgegenzuheben, brachte ihn ganz offensichtlich bis an den Rand seiner Kräfte. Kirta und Nestheus schwebten jetzt an seiner Seite.

Orimedes schwang in hilfloser Wut sein blutiges Schwert.

»Ich verstoße dich, Nestheus. Du hast dich gegen dein Volk gewandt. Es wäre dir bestimmt gewesen, alle Stämme zu führen. Doch jetzt bist du ein Verfemter! Und wer immer dir Unterschlupf gewährt, den wird mein Zorn treffen. Glaube nicht, dass du mir entkommen wirst. Sobald ich meinen Eid gegen Ollowain erfüllt habe, werde ich mich auf die Suche nach dir machen. Und wenn ich dich finde, dann werden du und deine Hure die Strafe für Verrat erleiden. Mit gebrochenen Läufen werde ich dich in der Steppe aussetzen, damit die Wölfe dich holen. Verflucht seiest du! Ich reiße dich aus meinem Herzen!«