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Es war einfach nur Pech! Es war das Schicksal, das Luth ihnen bestimmt hatte. Es gab auch andere Paare, die keine Kinder zeugten. Sein Vater Alfadas und Silwyna hatten auch kein Kind mehr bekommen — soweit er wusste. Die Elfe war oft für Monde verschwunden. Vielleicht hatte sie in Albenmark noch weitere Kinder geboren. Ulric fragte sich oft, wie sein Halbbruder wohl aussah. Er wäre gern nach Albenmark gereist, aber er mochte Halgard nicht allein lassen. Sie hatte Angst, durch das goldene Tor im Steinkreis auf dem Hartungskliff zu schreiten. Silwyna hatte ihm angeboten, ihn mitzunehmen. Immer wieder. Sie hatte ihm gesagt, wie sehr sein Bruder sich freuen würde, ihn kennen zu lernen. Ulric hatte nie verstanden, warum Melvyn nicht einfach mit seiner Mutter ins Fjordland kam. Er schien wohl recht stolz zu sein. Oder besser gesagt, dickköpfig. Er war der Auffassung, seine Familie schulde es ihm, zu ihm zu kommen. So waren sie sich nie begegnet. Aber vielleicht ... Nein, dazu würde es wohl nicht mehr kommen. Blut, der große Jagdhund seines Vaters, war sehr alt und hinfällig. Er würde den Winter nicht mehr überstehen. Und das hieß, dass auch für ihn und Halgard die Zeit gekommen war. Sie würden den Hund nicht lange überleben. Das wussten sie, seit sie Kinder waren. Seit dem Winter, als er den Fremden im blauen Umhang getroffen hatte. Er hätte seine Geschenke nicht annehmen dürfen! Sie hatten ihr Leben vergiftet. Sie waren so hübsch gewesen, die Puppen, die ihn, Halgard und Blut darstellten. Wie hätte er als Kind diesen Geschenken widerstehen sollen?

Als sei es erst gestern gewesen, erinnerte sich Ulric an diesen Abend. Es war viel Schnee gefallen. Er hatte Halgard in Svenjas Hütte gefunden. Svenja war eine Tante seiner Mutter Asla; sie war ihre Kinderfrau geworden, als Asla nicht zurückgekehrt war. Wie sehr Halgard sich über die schön geschnitzten Holzfiguren gefreut hatte, die er ihr mitgebracht hatte! Den Krieger mit dem Schwert, das aus einem alten Nagel gefertigt war, die Prinzessin mit den Haaren aus rotem Nussholz und den rußgeschwärzten Hund. Wenn man am Schwertarm der Kriegerpuppe drehte, dann öffnete sich eine kleine Klappe in ihrem Rücken. Sie hatten einen sorgsam aufgewickelten roten Faden darin gefunden. Auch in den beiden anderen Figuren waren solche Fäden versteckt gewesen. Halgard hatte sofort gewusst, was die Fäden zu bedeuten hatten. Hätte er nur die verfluchte Hundepuppe nicht mitgenommen! Ihr Leben wäre anders verlaufen. Glücklicher.

Halgard hatte die Fäden abgewickelt und den Faden von sich und Ulric nebeneinander gelegt. Beide waren genau gleich lang! Das hieß, sie würden am selben Tag, ja vielleicht sogar in derselben Stunde sterben. Halgard war darüber nicht erschrocken gewesen. Für sie war das wie in einem Märchen. Selbst heute hatte sie ihre Einstellung nicht geändert. Sie schöpfte Frieden aus der Gewissheit, dass sie nie ein Leben ohne ihn führen würde.

Wie unschuldig sie damals gewesen waren! Sie hatten darüber gestritten, wie lange ihr Leben wohl währen würde. War ein Zoll des Fadens ein Jahr oder ein Jahrzehnt? Nach welchem Maß beschnitt Luth die Schicksalsfäden? Noch heute verfluchte sich Ulric für den Einfall, den er damals gehabt hatte. Sie hatten den Faden von Blut neben ihre beiden gelegt. Beide wussten sie, dass Hunde nicht so alt wurden. Dreizehn Jahre manchmal, mit Glück auch etwas mehr. So würden sie abschätzen können, wie viel Zeit ihnen bemessen war.

Zunächst sah es aus, als sei auch Bluts Lebensfaden so lang wie ihre beiden. Immer wieder legten sie die roten Zwirnfäden nebeneinander. Selbst heute taten sie es noch manchmal. Man musste sehr genau hinsehen und die Fäden vorsichtig straff ziehen, dann sah man, dass Bluts Faden um eine Winzigkeit kürzer war als ihre Lebensfäden.

Nie hatten sie mit jemandem darüber gesprochen, dass ihnen bestimmt war, ein Leben so kurz wie ein Hundeleben zu führen. Immer wieder hatte Ulric versucht, sich selbst und Halgard einzureden, dass all das nur ein böser Scherz des Fremden gewesen war. Schließlich wusste nur Luth allein um die Länge der Schicksalsfäden. Halgard hatte davon nichts hören wollen. Sie glaubte dem Fremden. Und tief in seinem Herzen wusste Ulric, dass sie Recht damit hatte. Der Mann war unheimlich gewesen. Niemand außer ihm hatte ihn zu Gesicht bekommen. Er war aus der Winternacht getreten, als sei er ein Bote des Schicksalswebers. Und er war wieder verschwunden, ohne die geringste Spur zu hinterlassen. Niemand kannte diesen Jules. Längst hatten sie aufgegeben, nach ihm zu suchen.

Er war nicht viel älter als zehn Jahre gewesen, da hatte Ulric beschlossen, sein Verhängnis zu seinem Vorteil zu deuten. So lange der Hund lebte, konnte ihm nichts passieren! Damals war er selbstmörderisch tollkühn gewesen. Er war weiter in den Fjord hinausgeschwommen als jeder andere Junge, hatte seinem Fechtmeister graue Haare wachsen lassen und keinen dummen Streich ausgelassen. Bis er vom Dach der Königshalle gestürzt war und sich übel das Bein gebrochen hatte. Sein Vater hatte Heiler von überallher kommen lassen, doch keiner hatte ihm zu helfen vermocht. Die Wunde war brandig geworden, und er hätte sein Bein wohl verloren, wenn Silwyna nicht gewesen wäre. Sie hatte eine Elfe vom Hof der Königin Emerelle gebracht, die ihn gerettet hatte. In den vielen Wochen, die er damals an sein Bett gefesselt gewesen war, hatte er sein Leben schätzen gelernt. Keinen Tag wolle er vergeuden, hatte er sich damals geschworen. Jetzt ging die Frist zu Ende. Er hatte drei Knoten, groß wie Haselnüsse, in Bluts Leiste ertastet. Wenn man genau hinsah, bemerkte man, dass der große Hund zu hinken begann. Er war immer noch erschreckend. Aber sein Faden war fast zu Ende gesponnen. Und damit neigte sich auch ihre Spanne dem Ende entgegen. Wahrscheinlich würden sie nicht einmal mehr den Winter erleben.

Hundegebell schreckte ihn aus seinen Gedanken. Sie hatten ein gutes Stück Weg zurückgelegt und waren in ein enges Tal gelangt. Einige wenige windschiefe Kiefern klammerten sich an den steinigen Boden. Die Hunde standen bei einem flachen Felsen. Große Rostflecken sprenkelten seine Oberfläche; an den Seiten liefen einige rostige Adern hinab.

Ulric gesellte sich zu den Jägern. Niemand sagte etwas. Man musste kein Fährtenleser sein, um zu wissen, was diese Flecken bedeuteten. Hier hatte der Troll seine Beute zerlegt.

»Wir sollten umkehren«, sagte Eirik leise. »Ich schätze, ihr Lager ist ganz in der Nähe. Wir wissen nicht, wie viele es sind. Hier haben sie ihr Fleisch für das Feuer bereitet.«

»Wir werden nicht ohne Björn und Kadlin heimkehren«, sagte Ulric entschieden.

Der Anführer der Jäger rollte mit den Augen und schnitt eine Grimasse, als habe er es mit einem Idioten zu tun. »Bei allem Respekt, Ulric Alfadasson.«

So redete er ihn immer an, wenn er am liebsten gesagt hätte: Pfusch mir nicht ins Handwerk, eingebildeter Trottel!, dachte Ulric.

»Unsere Jagdgruppe ist nicht stark genug, um es mit einem Rudel Trolle aufzunehmen. Wenn ich glaubte, dass es einen Sinn hätte, dann würde ich mich auf diese Gefahr einlassen. Ich denke, niemand hier würde mich einen Feigling nennen.«

Eirik blickte kurz auf, um sich zu vergewissern, dass keiner es wagte, ihm zu widersprechen. »Die beiden sind seit drei Tagen überfällig. Ich war unten am Fjord, nachdem dein Vater die Trolle vertrieben hatte. Ich habe ihr Lager gesehen. Und das, was sie mit ihren Gefangenen gemacht haben. Niemand will das sehen! Es verfolgt mich noch heute in meinen Träumen. Sie werden Kadlin und Björn geschlachtet haben. Behalten wir die beiden in Erinnerung, wie wir sie kannten! Ihnen wäre das auch lieber.«

Ulric standen die Schreckensbilder seiner Kindheit wieder vor Augen. Er hatte nur seinem Vater erzählt, wie die Trolle ihn und Halgard und all die anderen Überlebenden aus dem brennenden Honnigsvald getrieben hatten. Am Ufer des Fjords waren sie wie Vieh zusammengepfercht worden. Er hatte nicht nur ein verlassenes Lager gesehen ... Er war mitten drin gewesen, als die Schlächter gekommen waren. Sie hatten auch Halgard holen wollen. Er hatte den Troll, der sie ausgewählt hatte, mit dem Dolch angegriffen, den ihm einst der Schwertmeister geschenkt hatte. Es war aussichtslos gewesen. Das Einzige, was er erreicht hatte, war, dass der Troll mit den Brandnarben auf der Brust ihn statt Halgard mitgenommen hatte. Warum er nicht geschlachtet worden war, hatte Ulric nie ganz begriffen. Es war Glück gewesen. Genauso wie es Glück gewesen war, dass die Elfe Yilvina gekommen war, um sie mitten aus dem Lager der Trolle zu befreien.