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»Wir brauchen jemanden, der schwer tragen kann«, erklärte Nikodemus.

»Kommandant! Jawohl, Kommandant.« Nikodemus mochte es sehr, wenn man ihn mit Kommandant ansprach, deshalb tat er es so oft wie möglich. Das hatte Klaves schnell gelernt, genauso wie er schnell gelernt hatte, dass er schwerer tragen konnte als die Lutin. Mit etwas Mühe konnte er einen ganzen Dunghaufen auf einmal zum Trockengerüst bringen. Jeder Lutin im Lager musste dafür mehrmals laufen. Es war gut, wenigstens etwas zu können. Seine Kraft erfüllte Klaves mit Stolz.

»Los jetzt!« Nikodemus winkte ihm, und die ganze Gruppe der Lutin setzte sich in Bewegung. »Und wisch dir endlich die Scheiße von den Fingern!«

Widerwillig folgte Klaves dem Befehl. Er mochte das Gefühl, wenn der feuchte Dung auf seinen Händen trocknete. Und er beobachtete gerne, wie sich feine Risse in der zweiten, dunklen Haut bildeten und sie sich dann langsam wie Wundschorf ablöste.

Stumm folgte Klaves den Lutin. Nach einer Weile hörten sie ein Stöhnen. Grobe Stimmen erklangen hinter einem Hügel. Noch immer behinderte leichter Dunst die Sicht.

Ein Stück entfernt sah Klaves etwas Großes durch den Nebel gleiten. Es war noch größer als er. Besorgt schloss er dichter zu den Lutin auf.

Auf der Kuppe des Hügels fanden sie ein seltsames Tier. Ein sehr großes Pony. Doch statt eines Halses wuchs ihm ein Männerleib aus dem Rumpf. Es musste ein Verwandter der Lutin sein, denn obwohl ihm die hübsche spitze Schnauze fehlte, hatte er sehr viele Haare im Gesicht.

Die Lutin umringten den Toten. Sie schienen nach etwas zu suchen. Plötzlich kam eine riesige Gestalt den Hügel hinaufgelaufen. Sie kam direkt auf ihn zu und stieß ein markerschütterndes Brüllen aus. Die Kreatur hob eine Keule, aus der scharfe Steinsplitter wie Dornen ragten.

Klaves duckte sich unter einem Hieb hinweg. Er griff sich an den Gürtel, als müsse dort etwas sein, das ihm helfen könne.

»Nicht schlagen!«, rief er verzweifelt.

»Lass meinen Diener in Frieden!«, schrie Nikodemus.

Wieder sauste die Keule nieder. Klaves warf sich flach ins Gras. Der Hieb verfehlte ihn nur um Haaresbreite.

Klaves rollte sich seitlich ab. Halb unter dem toten Ponywesen begraben lag etwas Schimmerndes. Er zog den länglichen Gegenstand hervor. Ein sehr großes Messer!

Ein Schrei ließ Klaves erzittern. Die Kreatur mit der Keule war mindestens einen Schritt größer als er. Sie hatte sich vorgebeugt und brüllte ihn an. Nikodemus versuchte sich zwischen sie beide zu drängen.

»Lass meinen Diener in Frieden, du Trolltrottel!«

Klaves war beeindruckt vom Mut des Lutin. Gerade von Nikodemus, der so gern seltsame Späße mit ihm trieb und sich immer neue Namen für ihn ausdachte, um ihn zu verwirren, hätte er niemals erwartet, dass er ihn verteidigen würde.

»Hör auf meinen Freund, Trolltrottel!«, sagte Klaves drohend. Er war froh, dass er jetzt einen Namen für das Ungeheuer hatte. Das nahm der Kreatur einen Teil ihres Schreckens.

»Weg, du Made!« Der Trolltrottel trat nach Nikodemus, und der Lutin schaffte es nicht mehr ganz, ihm aus dem Weg zu kommen. Mit einem Aufschrei landete er im Gras und krümmte sich vor Schmerz.

»Nikodemus ist mein Freund, Trolltrottel. Du darfst ihn nicht treten!«, sagte Klaves entsetzt.

Die anderen Lutin machten nicht die geringsten Anstalten, sich dem Riesen in den Weg zu stellen. Einer eilte zu Nikodemus.

Ohne Vorwarnung stürmte der Trolltrottel auf Klaves los. Er holte mit der Rechten weit aus. Die Keule schwang dem Diener entgegen. Es war leicht, die Bewegung vorherzusehen.

Klaves wartete bis zum allerletzten Augenblick, dann machte er einen Schritt zur Seite und wich dem Angriff aus. Sein langes Messer zuckte vor. Ein langer, tiefer Schnitt klaffte im Bauch des Trolltrottels.

Die Bestie presste eine Hand darauf. Bläuliche, blutige Schlangen schienen aus seinem Bauch kriechen zu wollen.

Klaves war jetzt hinter dem Trolltrottel. Er änderte den Griff und stach mit dem langen Messer nach hinten. Er brauchte nicht einmal hinzusehen, um zu wissen, dass er in die Kniekehle treffen würde. Ein wütendes Heulen begleitete den Druck und das Knirschen, als seine Klinge durch Fleisch und Knochen schnitt.

Er befreite das lange Messer mit einem Ruck. Der Trolltrottel war in die Knie gegangen. Schnaufend drehte er sich um. Seine Linke hielt er noch immer auf den Bauch gepresst. Wieder hob er die Keule, noch langsamer und vorhersehbarer als beim letzten Angriff.

Klaves sprang geduckt vor und unterlief den Schlag. In einem geraden Stoß drang das lange Messer durch die Kehle des Trolltrottels in dessen Mund. Die Augen der Kreatur weiteten sich vor Entsetzen. Blut schoss ihm aus Kehle und Mund.

Klaves setzte dem Ungeheuer einen Fuß auf den Bauch, woraufhin noch weitere der blutigen Schlangen aus der Schnittwunde quollen. Mit einem Ruck befreite er seine Klinge.

Der Trolltrottel sackte seitlich ins Gras.

Klaves ging zu Nikodemus. Merkwürdigerweise versuchte der Lutin, vor ihm fortzukriechen. »Alles ist gut, mein Freund. Der Trolltrottel wird dich nicht mehr treten. Hast du Schmerzen?«

»Mir ... Mir geht es gut«, stieß Nikodemus erschrocken hervor.

»Du musst keine Angst mehr haben.« Klaves war sehr zufrieden mit sich. Er konnte noch etwas, außer schwere Leinenbeutel mit Hornschildechsendung zu tragen. Offensichtlich war er gut darin, Trolltrottel zu töten. Er streckte Nikodemus die Hand entgegen und half dem Lutin auf die Beine.

»Wir sollten hier verschwinden«, sagte der Lutin zu seinen Kameraden. »Es war keine gute Idee, ihn mitzunehmen.«

Klaves verstand das nicht ganz. Immerhin hatte er Nikodemus davor bewahrt, noch einmal getreten zu werden. Enttäuscht kniete er neben dem großen Ponymann nieder. Zu dem langen Messer gehörte eine Hülle aus rotem Leder. Er schob die Waffe hinein und steckte sie in seinen Gürtel. Sie fühlte sich gut an seiner Seite an. Das war es, was gefehlt hatte, als er vorhin an seinen Gürtel gegriffen hatte.

»Hat ihn jemand gesehen?«, fragte Nikodemus die anderen.

Die Lutin schüttelten die Köpfe. Sie blickten den Hügel hinunter. Der Dunst hatte sich etwas gelichtet.

Klaves war erschrocken über das Bild, das sich ihm bot. Überall lagen tote Ponymänner. Auch tote und verwundete Trolltrottel waren dort. Und kleinere, zartere Körper. Gestalten, die aussahen wie er. Gerne wäre er hinuntergegangen, um sie sich näher anzusehen.

»Komm, Klaves!«, befahl Nikodemus. »Wir gehen zurück zur Herde.« Klaves zögerte kurz. Er musste dem Kommandanten folgen. Er war sein Diener. Was er selbst gern tun würde, zählte nicht.

Der Wolkenspiegel

Eine eisige Windböe empfing sie auf dem Pass. Mag hatte Ulric von diesem Ort und seinen Besonderheiten erzählt. Der Prinz von Firnstayn blickte blinzelnd zu der strahlend weißen Gletscherzunge, die sich in den weiten See vor ihnen schob. Irgendwo dort oben im Eis war Mag, um über sie zu wachen. Unerklärlicherweise schien der Veteran aus Phylangan völlig unempfindlich gegen Kälte zu sein.

Halgard lenkte ihre Stute an seine Seite. Sie legte den Kopf zurück und blickte in den weiten, wolkenlosen Himmel. Wie ein riesiger Spiegel lag der See vor ihnen. Himmel, Berge und Gletscher betrachteten in ihm ihre Ebenbilder.

»Was für ein wunderbarer Ort«, flüsterte Halgard, als fürchte sie, mit ihrer Stimme die stille Majestät der Berge zu stören.

»Wie heißt der See?«

»Er hat keinen Namen«, sagte Ulric leichthin. »Vor uns sind erst wenige Menschen hier gewesen. Ich schenke ihn dir.«

Sie lachte. »Du bist verrückt!«

»Ich bin der Sohn des Königs. Alles Land, das niemand bebaut, gehört dem König. Und mein Vater wird es mir nachsehen, wenn ich einen See verschenke, den bislang kaum jemand kennt.«

Halgard schluckte. Einen Augenblick schien es, als wolle sie in Tränen ausbrechen. Dann hatte sie sich wieder in der Gewalt. Der Morgen war schlimm gewesen. Sie hatte entdeckt, dass der große schwarze Hund seines Vaters Blut pisste. Daraufhin hatte sie wieder die drei verfluchten Lebensfäden aus den Holzpuppen geholt und sie nebeneinander gelegt. Manchmal verbrachte sie halbe Tage damit, die Fäden anzustarren und auszurechnen, wann sie sterben würden.