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»Ein so wunderschöner Ort sollte einen Namen haben«, sagte sie. Ein scheues Lächeln spielte um ihre Lippen. Manchmal waren ihre Launen schon sonderbar. Von einem Herzschlag zum nächsten konnte ihre Stimmung von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt wechseln.

»Du wirst ja wohl nicht erwarten, dass ich dir die Mühe abnehme, für deinen See einen Namen zu finden. Mir würde nur so ein Unsinn wie Halgards Spiegel einfallen.« In Wahrheit hatte er sich den halben Weg hier hinauf Gedanken darüber gemacht, mit welchem Namen er ihr eine Freude bereiten könnte.

»Nein, das wäre kein guter Name. Es wäre fürchterlich anmaßend, so etwas Schönes nach mir zu benennen.«

»Aber du bist schön!«, begehrte er auf.

»Ich liebe es, von dir geliebt zu werden.« Ihr Lächeln ließ ihn alle Traurigkeit vergessen. Vielleicht würde sein Plan doch noch gelingen. Er wollte, dass sie einen wunderbaren, unvergesslichen Tag erlebten. Auf viele Tage durften sie nicht mehr hoffen. Und jede Stunde konnte das Wetter umschlagen und das Blau des Himmels für Wochen verschwinden lassen. Bis ans Ende ihrer Tage ...

»‘Wolkenspiegel’ wäre doch ein schöner Name«, sagte sie gut gelaunt.

»Hast du gehört, welchen Namen dir die schönste Maid des Fjordlands ausgesucht hat?«, rief er lauthals auf den See hinaus.

»Von heute an bist du der Wolkenspiegel!«

»Danke«, sagte Halgard unvermittelt.

Ulric lächelte ein wenig verlegen. »Warte ab, was ich mir noch überlegt habe, bevor du mir dankst. Ich hatte vor, mit dir schwimmen zu gehen.«

Sie sah ihn mit großen Augen an. »Hier? Das Wasser muss doch eisig sein!«

»Ich sagte doch, dass es zu früh ist, um mir zu danken.« Er trieb seinen Braunen voran. »Komm, ich zeig dir etwas.«

Dicht am Ufer gab es einen großen Felsen, in den eine Nische gebrochen war, die den Ort vor dem Wind und vor Blicken schützte. Dort war eine Feuerstelle vorbereitet, und ein stattlicher Stapel Brennholz lag unter einem Überhang aufgeschichtet.

Halgard runzelte die Stirn. »Da hat sich jemand reichlich Mühe gemacht. Die Baumgrenze liegt doch mehr als eine Wegstunde hinter uns.«

»Es hat ein paar Vorteile, der Sohn des Königs zu sein«, sagte Ulric gut gelaunt und schwang sich aus dem Sattel. Er sah sich nach dem Holzstecken um, den Mag hier irgendwo in den Boden gerammt haben musste. Als er ihn fand, schlang er die Zügel darum. Der Schatten des Steckens war auf wenige Finger Breite geschrumpft. Prüfend blickte Ulric zum Himmel. Die Mittagsstunde war nicht mehr weit! Kurz danach würde es geschehen. Sie sollten sich beeilen.

Er sattelte den Braunen ab, dann versorgte er die Stute.

Halgard kauerte sich in die Felsnische und sah ihm zu. Erst als er fertig war, sprach sie. »Den Scherz mit dem Schwimmen habe ich nicht verstanden, fürchte ich.«

Ulric öffnete die Schließe seines Umhangs. »Ich fürchte, das war kein Scherz.«

Sie stöhnte. »Bitte nicht. Es ist so ein schöner Tag ...«

Als Kinder waren sie unter eine geschlossene Eisdecke geraten und fast ertrunken. Nur den heilenden Kräften der Elfenkönigin hatten sie es zu verdanken, dass sie noch lebten. Im Sommer darauf hatte Mag ihnen Unterricht im Schwimmen gegeben. Anfangs war es ihnen beiden schwer gefallen, sich dem Wasser anzuvertrauen. Aber gegen Ende des Sommers waren sie immer tollkühner geworden, und inzwischen liebten sie es zu schwimmen. Doch Halgard war zu verfroren, um auch im Winter wirklich Freude daran zu haben.

Ulric hatte sich ganz ausgezogen.

»Sind wir wirklich allein?«, fragte Halgard.

»Natürlich«, log der Prinz.

»Und wenn ein Troll kommt?«

»Die hassen schöne Orte wie diesen. Du musst dir keine Sorgen machen.« Zögernd streifte Halgard ihre Kleider ab. Ihr dabei zuzusehen, erregte Ulric. So viele Jahre waren sie nun schon ein verheiratetes Paar, aber es gab nur selten Gelegenheit, sie bei gutem Licht nackt zu sehen. Ihre schweren Brüste. Die milchweiße Haut.

»Im Schatten des Felsens hat sich ein wenig Schnee von der Nacht gehalten.«

»Muss das sein?«, brummte sie. »Es ist doch so schon kalt genug.«

Ulric hörte nicht auf ihr Maulen. Er wusste, dass sie kommen würde. Der raue Schotter, den der längst abgeschmolzene Gletscher zum Seeufer getragen hatten, stach nach seinen Fußsohlen. Er war zu weich geworden. Als Kind war er den halben Sommer barfuß unterwegs gewesen. Damals hatte es ihm nichts ausgemacht, über scharfkantige Steine zu gehen. Seine Füße hatte eine Hornhaut geschützt, dick wie eine Ledersohle. Halgard ging auch heute noch oft barfuß. Grinsend folgte sie ihm. Sie wusste genau, welche Qualen er litt.

Endlich erreichte er den Schneeflecken. Er war ein wenig mehr als doppelt so groß wie ihr Bett. Die Sonne stand jetzt im Zenit. Es gab keinen schützenden Schatten mehr. Ein dünnes Rinnsal sickerte vom Schneefeld zum See hinab.

Ulric kniete sich nieder. Er wollte zwei Hände voll Schnee zusammenklauben, als ihn ein Stoß mit dem Gesicht voran in dieses eisige Bett stürzen ließ. Lachend sprang Halgard ihm auf den Rücken und massierte ihm eine Portion Schnee in die nackten Schultern.

Sein ganzer Leib prickelte vor Kälte. Ulric atmete nur stoßweise. Im ersten Moment war er völlig überrumpelt und wehrlos. Dann bekam er ein Bein von Halgard zu packen und zog sie von sich herunter. Lachend balgten sie sich im Schnee, bis ihre Lippen blau vor Kälte waren.

»Komm jetzt!« Ulric half ihr auf, und Hand in Hand liefen sie hinab zum Ufer.

Vorsichtig tasteten sie sich ins Wasser. Nach der Rauferei im Schnee schien es ihnen fast warm. Runde, glatte Kiesel liebkosten ihre Füße. Dann endlich waren sie weit genug, um frei schwimmen zu können. Ulric ließ sich nach vorne fallen, und der Wolkenspiegel umschloss ihn mit eisiger Umklammerung. Einen Augenblick lang keimte in ihm wieder die Erinnerung daran auf, wie er mit den Fäusten verzweifelt gegen den Eispanzer über sich getrommelt und die Kälte ihn langsam gelähmt hatte.

Halgard war ganz still geworden. Er sah ihr an, dass auch sie die Erinnerung eingeholt hatte.

Ulric blickte zum Himmel. Die Mittagsstunde war gerade vorüber. Das war die Zeit! Er suchte am gegenüberliegenden Ufer nach einem Berg, der an einen riesigen Turm erinnerte. Und als er den roten Felskoloss entdeckte, schwamm er in seine Richtung. »Komm!«, rief er Halgard zu. »Blut lebt, was soll uns also passieren!«

»Wir könnten uns zum Beispiel ein Bein brechen«, rief sie.

»Bist du nicht ein bisschen zu alt für solche törichten Mutproben? Hast du mich deshalb hierher gebracht? Ich glaube, mir ist gerade der Spaß am Schwimmen vergangen.«

»Bitte bleib! Entschuldige. Es war dumm von mir. Ich ...«

»Mir wird kalt«, entgegnete Halgard ungehalten.

Verzweifelt blickte Ulric über die spiegelglatte Wasserfläche. Mag hatte ihm gesagt, dass es immer kurz nach der Mittagsstunde geschehen würde. Das war jetzt! Wo blieb das verdammte Wunder?

»Es ist noch weit zum Ufer. Komm! Lass uns Luth nicht herausfordern.« Ein Stück entfernt begann mit einem Mal die Wasseroberfläche zu brodeln. Tausende silberner Perlen stiegen aus der Tiefe auf, um zu zerplatzen, sobald sie das schützende Wasser verließen. Blasser Dunst breitete sich über dem Wasser aus.

»Was ist das?«

»Mein Geschenk für dich.« Er schwamm zu ihr und küsste sie.

»Komm schon.«

Halgard wirkte ängstlich, aber sie folgte ihm. Die Silberperlen kitzelten ihre nackten Leiber. Das Wasser war plötzlich angenehm warm. Der Dunst wurde dichter.

Mit den Füßen strampelnd, drehte sich Ulric im Kreise und prägte sich das Panorama der Bergriesen rings herum ein. Dann schätzte er den Abstand zum großen Felsblock nahe dem Ufer. Etwa zweihundert Schritt. Ein weiter Weg, wenn das Wasser wieder kälter wurde und ihre Kräfte erschöpft waren.

Ein leichter Duft wie von fauligen Eiern hing in der Luft. Gerade eben wahrnehmbar. Unaufdringlich.