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Endlich begriff der Fremde, dass er es war, der sich hier irrte, dachte Ulric erleichtert. Jules schien nett zu sein. Auch wenn er Schwierigkeiten hatte, die Wahrheit über die Götter zu erkennen. Vielleicht war dieser Tjured ja eifersüchtig auf die anderen Götter und erzählte Jules deshalb, dass er der einzige Gott sei. Was für ein jämmerlicher Wicht dieser Tjured sein musste!

»Bringst du mich zu diesem Gundar? Ich würde gern einmal mit ihm reden.« Ulric schluckte. Wieder wurde er von Schuldgefühlen gepackt. »Gundar ist tot.« Seine Stimme war nur noch ein Flüstern. »Er starb, als das Wolfspferd in unser Langhaus kam. Er hat uns alle gerettet.« Sie standen sich eine Weile schweigend gegenüber. Ulric hing seinen Gedanken nach. Er war froh, dass Jules jetzt nicht noch mehr Unsinn über seinen verrückten Gott erzählte.

»In meiner Heimat ehren wir die Toten, indem wir von ihnen sprechen. Magst du mir etwas über deinen Freund Gundar erzählen? Vielleicht, wie er gestorben ist?«

»Das Wolfspferd hat ihn getötet. Auch wenn die Elfe sagte, es hätte an seinem Herzen gelegen ...« Er zögerte. Bisher hatte er mit niemandem darüber gesprochen. »Eigentlich war ich schuld daran, dass er sterben musste.«

Jules sah ihn ernst an. »Das hört sich etwas verwirrend an. Wie hat die Geschichte denn begonnen?«

»Mit meinem Onkel.« Ulric erinnerte sich, wie sie Ole aus den Wäldern geholt hatten. Er war grausam verstümmelt gewesen. Seine Wunden hatten gestunken. Trotzdem hatte Mutter ihn zu sich ins Langhaus genommen. Die meiste Zeit hatte Onkel Ole dann in Fieberträumen gelegen. »Mein Onkel hat Hunde gezüchtet. Er hat sie geschlagen, damit sie böse wurden. Sie sollten Hofhunde werden und jeden Fremden anfallen. Ich glaube, das ist der Grund, warum das Wolfspferd kam. Es war sicher ein Wiedergänger von einem der Hunde, die Onkel Ole zu Tode geprügelt hat. Bestimmt hat er sich nicht die Mühe gemacht, die toten Hunde richtig zu begraben. Mit der Schnauze nach unten und einem Eschenpflock im Herzen ... Jedenfalls gab es dann die Toten. Das war im Herbst, bevor der erste Schnee kam, aber schon nach dem Apfelfest. Die Toten waren sehr seltsam. Niemand im Dorf hatte so etwas je gesehen. Sie waren verschrumpelt und ganz leicht. So wie tote Vögel, die man im Sommerwind getrocknet hat. Mein verletzter Onkel sprach immer von einem Wolfspferd. Schließlich hat Gundar entdeckt, dass Onkel Ole Luth bestohlen hatte. Auf dem Passweg in die Berge stehen die Eisenmänner. Sie schützen die Reisenden und halten die Trolle fern. Jedenfalls war das früher immer so. Jeder Reisende schlägt ein kleines Stück Eisen in die Wächter, wenn er an ihnen vorbeikommt. Das sind Geschenke für Luth, der dafür besser über unsere Lebensfaden wacht. Ole hatte bei den Eisenmännern Eisen gestohlen. Er hat die Stücke in eine Peitschenschnur eingeflochten. Danach wurde es mit dem Wolfspferd noch schlimmer. Niemand wagte sich mehr hinaus. Meine Freundin, Halgard, wurde fast getötet. Als Gundar entdeckte, was Ole getan hatte, ging er in die Berge hinauf. Und ich ... ich bin ihm heimlich nachgelaufen. Ich wollte ihm helfen, damit Halgard wieder gesund wird und das schreckliche Wolfspferd endlich vertrieben wird. Am Wehrberghof habe ich Gundar eingeholt. Das Wolfspferd war schon dort gewesen. Es hatte alle getötet. Sogar die Kinder. Als wir dort übernachteten, hat Luth Gundar einen Traum geschickt. Er hat ihm verraten, dass bei der Spinne unter dem Regenbogen ein Geschenk für uns liege. Am nächsten Tag haben wir die Spinne gefunden. Sie war in einen Felsen geritzt. Und auf dem Felsen war ein tanzender Lichtfleck, der wie ein Regenbogen aussah. Dort haben wir ein Loch gegraben und schließlich ein kostbares Kettenhemd gefunden. Da wusste, Gundar, dass der Schicksalsweber ihn auserwählt hatte, gegen das Wolfspferd zu kämpfen. Gundar hatte große Angst, denn er war kein Krieger. Auch machte es ihm Mühe, das Kettenhemd zu tragen. Er war schon ein alter Mann. Auf dem Rückweg geschah dann das Unglück. Ich ... Es war meine Schuld.«

Ulric schluckte. Die Erinnerung quälte ihn. »Ich habe nicht aufgepasst. Es hatte geschneit, und ich habe mir an einem Hang den Fuß vertreten. Ich konnte nicht mehr laufen. Und Gundar wollte mich nicht zurücklassen. Er hatte Sorge, dass ich im Schnee erfrieren würde. Außerdem hatte er auch Angst, dass mich das Wolfspferd holen könnte. Da hat er mich getragen. Den ganzen weiten Weg bis zum Langhaus meines Vaters. Und da war das Wolfspferd. Es war gekommen, um die Elfenkönigin Emerelle und alle anderen zu töten.«

»Die Elfenkönigin?« Jules hob die Brauen und sah ihn zweifelnd an. »Die Elfenkönigin war bei euch zu Gast?«

»Ja.« Ulric merkte genau, dass ihm der Fremde jetzt gar nichts mehr glaubte. »Ich darf darüber eigentlich nicht reden. Emerelle war schwer verwundet, und ihr Schwertmeister Ollowain hatte sie zu uns gebracht. Sie hat bei uns viele Tage und Nächte geschlafen. Aber das ist ein Geheimnis. Ich darf darüber eigentlich nicht reden.«

Jules führte den Zeigefinger an die Lippen. »Deine Geheimnisse sind bei mir gut aufgehoben. Nun erzähl weiter von dem Wolfspferd. Es hatte euch erwartet.«

Plötzlich hatte Ulric das Gefühl, dass der Fremde ihm doch glaubte. Eigenartig. Also, an seiner Stelle hätte er es bestimmt nicht geglaubt, wenn ihm ein kleiner Junge erzählt hätte, dass die Elfenkönigin im Haus seiner Eltern Zuflucht gefunden habe. Vielleicht war Jules ja auch nur höflich und tat so, als zweifle er nicht an seinen Worten?

»Das Wolfspferd?«

»Ja.« Ulric fuhr sich aufgeregt über die Lippen. »Als wir in das Langhaus kamen, war es schon da. Es war wirklich fast so groß wie ein Pferd. Und es hatte eine lange Schnauze mit großen Zähnen. Das Seltsamste aber war, dass es manchmal ganz fest war und dann wieder aussah wie dünner Rauch. Und es war ziemlich kalt. Kälte umgab das Wolfspferd, so wie Hitze um ein großes Feuer wabert. Ich habe mich dem Ungeheuer gestellt, mit meinem Elfendolch. Ich wollte Gundar beschützen. Er war so erschöpft. Aber das Wolfspferd ist einfach durch mich hindurchgegangen.« Ulric erschauderte bei der Erinnerung daran. »Das war so, als wehe ein eisiger Wind in mir. Es war schrecklich. Gundar hat ihm etwas zugerufen. Er hat es angelockt. Und dann war es auch schon über ihm. Es hat etwas aus seiner Brust reißen wollen. Ein goldenes Licht. Aber dann war es selbst umgeben von blauem Licht und wand sich in Qualen. Und plötzlich war es verschwunden. Ich glaube, es war Luths Geschenk, das es getötet hat. Es ist nie mehr wiedergekommen. Aber Gundar ist gestorben.« Der Junge spürte, wie ihm heiße Tränen über die Wangen liefen. Er presste die Lippen zusammen und versuchte, ein Schluchzen zu unterdrücken. Die Elfe Yilvina hatte später gesagt, der Priester sei an Erschöpfung gestorben und dass sein Herz sehr schwach gewesen sei, Es hätte jederzeit passieren können, hatte sie behauptet. Aber Ulric wusste es besser. Gundar war gestorben, weil es seine Kräfte überstiegen hatte, das schwere Kettenhemd und ihn zu tragen. Er hätte besser aufpassen müssen, als er den Hang hinabgestiegen war. Sein umgeknickter Fuß, der war der wirkliche Grund für Gundars Tod gewesen!

Jules legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte ihn an sich. Es tat gut, in den Arm genommen zu werden. Eigentlich war er schon zu groß für so etwas, aber diesmal war es Ulric nicht peinlich, wie ein Kind getröstet zu werden. Er spürte die Wärme des Fremden. Jules hatte ihm seinen Umhang um die Schultern gelegt. Und Ulric spürte noch etwas. Der Priester trug ein langes Messer, das durch den Umhang vor Blicken verborgen blieb. Es drückte Ulric leicht gegen die Rippen.

Jules strich ihm mit der Hand durchs Haar. »Es ist gut, dass du mit mir gesprochen hast. Traurigkeit ist wie ein Gift. Mit der Zeit macht es uns genauso krank wie ein Sonnenpilz oder verdorbener Fisch. Worte und Tränen spülen das Gift der Traurigkeit aus unserer Seele. Du wirst sehen, du wirst dich besser fühlen, nun, da du über Gundars Tod geredet hast.«

So standen sie eine ganze Weile, bis Ulric das Gefühl bekam, dass Jules unruhig wurde. Er machte sich los. Der Fremde lächelte entschuldigend. »Da ist eine Frage, die mich quält. Weißt du noch, was Gundar zu dem Wolfspferd gesagt hat?«