Выбрать главу

»Wie ist der Fürst gestorben?«, fragte Melvyn mit belegter Stimme. Obwohl er flüsterte und der dichte Schneefall seine Worte dämpfte, kam ihm seine Stimme inmitten der stummen Trauergäste unnatürlich laut vor.

Orimedes war während der Kämpfe bei Feylanviek schwer verwundet worden. Fast seine ganze Leibwache hatte ihr Leben bei dem Versuch gelassen, den Fürsten vom Schlachtfeld zu bringen und seinen Leib den Trollen zu entreißen. Mit demselben sturen Mut, mit dem Orimedes ein Leben lang die Trolle bekämpft hatte, hatte er sich gegen den Tod gestemmt. Er hatte weiter Söldner anwerben lassen, die seinen Sohn jagten, und das Kopfgeld, das auf Nestheus und Kirta ausgesetzt war, sogar noch einmal erhöht.

Senthor beugte sich zu Melvyn herab. Der Kentaur flüsterte; immer wieder brachten ihn die Tränen zum Stocken. »Er war ein guter Mann, ganz gleich, was man nun über ihn erzählt. Er war ein Krieger von Ehre. Die Keulenhiebe der Trolle haben ihm die Brust zerschmettert. Seine gebrochenen Rippen steckten in seiner Lunge. Eigentlich hätte er noch auf dem Schlachtfeld sterben müssen, darin waren sich alle Heilkundigen, die wir riefen, einig.« Der alte Recke lächelte traurig. »Ein paar Tage lang habe ich geglaubt, er werde sogar den Tod besiegen. Dann sind seine Wunden brandig geworden. Er hat sich geweigert, den Mohnsaft der Heiler zu trinken. Er wollte alles bei klarem Verstand erleben. Anderthalb Monde hat sein letzter Kampf gedauert. Wir waren ständig auf der Flucht vor den vorrückenden Trollen. Wenn er mehr Ruhe gehabt hätte ...«

Senthor versagte die Stimme. »Sein Tod war schrecklich. Im Fieberwahn hat er zuletzt nach seinem Jungen gerufen. Kurz bevor er starb, war sein Verstand noch einmal ganz klar. Er hat befohlen, Nestheus und sein Weib in Frieden zu lassen. Die Jagd ist beendet. Endlich.« Der Kentaur schluchzte. »Dieser verdammte Sturkopf! Wenn sein Sohn bei ihm gewesen wäre, dann hätte er den Tod besiegt. Ganz gewiss!«

Wieder schrieen bronzene Luren ihre Trauer in das Schneegestöber. Diesmal klangen sie viel näher. Die klaren Stimmen silberner Glöckchen drangen an Melvyns Ohr. Er blickte die Reihe der Wartenden entlang, die sich dunkel im weißen Wüten des Winters verlor. Ein Schatten erschien zwischen ihnen.

Der Wolfself erkannte Katander. Gemeinsam mit sieben anderen Stammesführern zog er einen großen Schlitten, auf dessen Pritsche Orimedes stand, den Blick auf sein Grab gerichtet.

Ein Schauer überlief Melvyn bei dieser unheimlichen Erscheinung. Der Schlitten des Fürsten war mit hunderten von Glöckchen geschmückt, deren silberne Stimmen ihm ein Totenlied sangen. Das Ehrengeleit zog Orimedes in langsamem Schritt, sodass jeder Gast ins Antlitz des Fürsten sehen konnte. Sein Bart war während der letzten Wochen weiß geworden. Der größte Teil des Haupthaars war ihm ausgefallen. Tiefe Furchen hatten sich in sein Gesicht gegraben. Seine Brust blieb hinter einem weißen Leinenpanzer verborgen. Von seinen Schultern wallte ein purpurner Umhang, dessen Säume mit Goldfäden durchwirkt waren. Man hatte den Fürsten auf zwei Tischböcke gehoben und seine Beine daran festgebunden. Sein Rücken war mit einem Speerschaft abgestützt. So vermochte er noch im Tod aufrecht im Schlitten zu stehen.

Verwundert beobachtete Melvyn, wie sich alle Gäste Schnitte beibrachten, kurz bevor der Schlitten an ihnen vorbeifuhr. Und sie besprenkelten das Gefährt mit ihrem Blut. In der Eiseskälte gefror es in wenigen Augenblicken und überzog den Schlitten mit einem roten Eispanzer. Manche schnitten sich sogar ein Ohrläppchen ab und warfen es auf die Pritsche. All das geschah schweigend. Man hörte nur das Stampfen der Hufe des Ehrengeleits, die knirschenden Schlittenkufen im Schnee und den hellen Klang der Glocken.

Melvyn ballte die Faust und ließ die Krallen aus seinem rechten Armschutz schnellen. Mit einem raschen Schnitt zog er vier parallele Linien in seine linke Hand. Als der Schlitten an ihm vorüberglitt, drückte er die Hand gegen die blutbedeckten Aufbauten.

Dann schloss sich Melvyn dem Zug der Gäste an, die den toten Fürsten zu seinem Grabhügel geleiteten.

Der Schlitten hielt schließlich an einer Erdrampe am Fuß des Hügels. Vier Kentaurenkrieger mit nacktem Oberkörper, die sich Brust und Arme zum Zeichen der Trauer mit weißen Schlangenlinien bemalt hatten, hoben den Fürsten samt den Stützböcken aus dem Schlitten. Als sie in den Schacht traten, der zum Herzen des Grabhügels führte, erklang von der Ebene her ein Schrei voller Wut und Schmerz und laut wie ein Fanfarenstoß.

Aus dem Schneegestöber kam ein Trupp weißer Kentauren. Wie Geister, geboren aus Eis und Wind, erschienen sie Melvyn. An ihrer Spitze trabten Nestheus und Kirta.

Die Menge der Trauergäste teilte sich vor den Verfemten. Sie fielen in langsamen Schritt. Vor der Rampe blieben sie stehen. Nur Nestheus und Kirta stiegen zu dem toten Fürsten hinauf.

Mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete, befahl der Fürstensohn den Totenträgern, den Leichnam seines Vaters abzustellen. Und sie gehorchten.

Nestheus trat ihm zur Seite und küsste den Leichnam auf beide Wangen. »Ich vergebe dir!«, rief er so laut, dass es auch im Schneegestöber noch weithin zu hören war. Dann küsste auch Kirta die eingefallenen Wangen des Kentaurenfürsten und rief mit lauter Stimme: »Orimedes, ich vergebe dir.«

Melvyn hörte, wie Senthor neben ihm einen tiefen Seufzer ausstieß. »Hätte sein Vater nur diesen unseligen Fluch nicht ausgesprochen. Kann man einen besseren Sohn haben?«

»Katander von Uttika, ich rufe dich an meine Seite!«, rief Nestheus mit fester Stimme.

Der Fürst trat aus der Trauergesellschaft hervor und kam die Rampe herauf.

»Maktor von den Silberhufen, ich rufe dich an meine Seite!«

Nestheus rief noch vier weitere Fürsten hinauf auf die Rampe.

»Melvyn vom Albenhaupt, ich rufe dich an meine Seite.« Der Halbelf war überrascht.

»Geh hinauf«, drängte Senthor. »Es ist eine große Ehre, die Fürstengruft betreten zu dürfen.« Etwas unsicher nahm Melvyn den Weg zur Rampe. Nicht alle begegneten ihm mit freundlichen Blicken. Es schien sehr ungewöhnlich zu sein, dass jemand, der nicht dem Volk der Pferdemänner angehörte, zur Gruft gerufen wurde.

»Senthor, Held von Phylangan, ich rufe dich an meine Seite.«

Melvyn freute sich für den alten Kentauren, dass er an die Seite der Fürsten und Stammesführer berufen wurde, um Orimedes das letzte Geleit zu geben.

Plötzlich drängte sich Katander zwischen den Stammesführern und Totenträgern hindurch. Er rief einem seiner Krieger am Fuß der Rampe etwas zu, und ein großes Doppelschwert segelte durch die Luft. Geschickt fing er es auf und drehte sich zu Nestheus um. Melvyn ließ seine Stahlkrallen aus den Armschienen schnappen, doch er wusste, dass er zu spät kommen würde. Nestheus, der unbewaffnet gekommen war, griff nach dem Schwert seines toten Vaters.

Statt den Fürstensohn anzugreifen, rammte Katander das Doppelschwert in den gefrorenen Boden.

»Du bist dem Ruf deines Herzens gefolgt. Ich kann dir nicht vorwerfen, dass du ehrlich gehandelt hast. Hättest du meine Tochter zum Schein zum Weibe genommen und in Wahrheit eine andere geliebt, hättest du meinem Haus weit größere Schande bereitet als durch deine Flucht während des Leichenschmauses für Ollowain.« Er umfasste Nestheus‘ Handgelenk im Kriegergruß. »Du hast in den vergangenen Monden großen Mut und große Klugheit bewiesen. Das sind die Tugenden eines Mannes, der zum Anführer geboren ist. Du hast durch deine Taten selbst die Herzen meiner Männer betört. Ich weiß, dass du in Uttika für kurze Zeit Zuflucht gefunden hast. Besiegeln wir bei der Leiche deines Vaters den Bund, den er sich im Leben so sehr gewünscht hatte.«