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Melvyn hielt verblüfft den Atem an. Würde Katander noch einmal versuchen, seine Tochter zu vermählen?

»Ich unterwerfe mich dir als dem Kriegsherrn aller Kentauren. Verfüge über meine Panzerreiter, Fürst Nestheus vom Windland. Sie werden deinen Befehlen gehorchen. Ich werde dich als Kriegsherrn respektieren und dir die Treue halten. Doch erwarte nicht, dass ich dich lieben werde. Dafür hast du meine Tochter zu tief gekränkt.«

Einen Augenblick herrschte Schweigen. Dann trat Maktor vor Nestheus und leistete ihm den Treueid. Auch die übrigen Fürsten folgten seinem Beispiel. Nachdem auch der Letzte von ihnen seine Gefolgschaft gelobt hatte, wurde der Leichnam des Orimedes erneut angehoben, und in feierlichem Schweigen traten sie in den Grabhügel.

Melvyn fühlte sich beklommen in der uralten Gruft. Senthor hatte ihm am Abend zuvor einiges über die Fürstengräber der Pferdemänner erzählt. Vor vielen Jahrhunderten waren sie von den fuchsköpfigen Lutin erbaut worden. Zunächst hatte man die Grabgewölbe aus Stein errichtet, dann waren über ihnen die großen Erdhügel aufgeschüttet worden. Die steinernen Tore wurden mit einem mächtigen Bannspruch versiegelt, und nach jedem Begräbnis schüttete man den Weg ins Innere des Hügels wieder zu, sodass die Gräber am Ende aussahen wie all die anderen Hügel, die sich in der weiten Ebene des Windlands befanden.

Und noch eine weitere Bewandtnis hatte es mit den Grüften der Pferdemänner. Die Leichen, die man in sie trug, verrotteten dort nicht. Dies war der eigentliche Auftrag, den man den Baumeistern der Lutin einst erteilt hatte. Sie sollten Gräber erschaffen, in denen die Leiber der toten Fürsten und Stammesführer unbeschadet die Jahrhunderte überstanden, denn nach dem Glauben der Pferdemänner würden die Alben eines Tages zurückkehren, um in den Ebenen des Windlands eine letzte Schlacht gegen ihre wiedererstandenen Feinde zu schlagen. Wenn dies geschah, würden sich die toten Fürsten und Helden des Kentaurenvolkes noch einmal erheben, um an der Seite der Weltenschöpfer in den Kampf zu ziehen.

Gestern Abend hatte sich diese Geschichte wie eines der Märchen angehört, die man sich erzählte, um die langen Stunden der Winterabende zu verkürzen. Doch hier unten erschien Melvyn das alles in einem anderen Licht. Ein schwerer, fast betäubender Geruch nach Weihrauch und Fichtennadeln hing in der Luft. Und noch ein anderer Duft, der fast völlig überlagert wurde. Es roch nach Blut!

Gleich am Eingang der Gruft lehnten Speere mit bronzenen Stichblättern in einem Holzgestell. Senthor nahm eine der Waffen an sich.

Der Tunnel, der tiefer in die Gruft führte, war leicht abschüssig. Die gemauerten Wände bestanden aus hellem Sandstein, auf den einfache Strichzeichnungen aufgetragen worden waren. Sie zeigten das Leben der Pferdemänner. Ihre Wanderschaft mit den Herden, ihre Kriegszüge, und eines der Bilder stellte offenbar eine Totenfeier dar.

Fackeln erleuchteten den Tunnel in unregelmäßigen Abständen. Nischen waren in den Wänden ausgespart. Dort hockten tote Falken in schwarz angelaufenen Silberkäfigen. Und Hunde lagen wie schlafend, den Kopf auf die Pfoten gelegt, in ewiger Ruhe.

Der hohe Tunnel machte einen scharfen Knick und öffnete sich in eine rechteckige Kammer, in der grimmige Krieger auf hölzernen Böcken ruhten. Ihre Oberkörper wurden von Speerschäften gestützt, gegen die sich die Toten lehnten. Beunruhigt registrierte Melvyn, dass es noch zwei Dutzend Böcke gab, auf denen keine toten Krieger ruhten.

Die Fürsten und die auserwählten Totenwachen gingen schweigend weiter. Ihr Hufschlag auf dem steinernen Boden war das einzige Geräusch im Grab.

Melvyn sah eingetrocknetes Blut auf den Speerschäften und am Boden unterhalb der toten Wächter. Ein feuchter Schimmer erregte seine Aufmerksamkeit. Hinter einem der Krieger war Blut an der Wand.

Der Wolfself ließ sich an das Ende des Trauerzuges zurückfallen. Dann trat er zwischen den toten Wachen hindurch und tastete über die Wand. Frisches Blut benetzte seine Hand. Er witterte daran. Dann leckte er sich über die Hand. Jeder Zweifel war ausgeschlossen. Das war kein Kentaurenblut! Es stammte von einem Büffel! Misstrauisch sah er sich um. Irgendetwas stimmte hier nicht. Weitere frische Blutflecken konnte er jedoch nicht entdecken.

Melvyn beeilte sich, wieder zu den anderen aufzuschließen. Der Trauerzug hatte inzwischen eine runde Grabkammer mit leicht gewölbter Decke erreicht. In weitem Kreis waren hier tote Kentauren aufgestellt, die man an ihren Kleidern und Waffen auf den ersten Blick als Fürsten erkennen konnte. Manche von ihnen hatten die Augen geöffnet. Sie blickten den Störenfrieden zornig entgegen, wie es Melvyn erschien.

Der Weihrauchduft war hier noch bedrückender. Mit jedem Atemzug legte sich ein pelziger Geschmack in seinen Mund. Melvyn hatte vor Jahren einmal ein Mammut im Eis eingeschlossen gefunden. Das Tier war offensichtlich vor langer Zeit in einer Lawine umgekommen. In seiner Flanke hatte ein Speer mit Bronzeblatt gesteckt. Solche Waffen wurden seit vielen Jahrhunderten nicht mehr verwendet. Das Tier musste schon sehr lange tot gewesen sein. Dennoch war sein Fleisch gut genießbar gewesen, nachdem es aufgetaut war.

Die toten Fürsten in der Grabkammer erinnerten Melvyn an das Mammut. Obwohl es hier nicht kalt war, schienen die Jahrhunderte spurlos an ihnen vorübergegangen zu sein. Nur der Bronzepanzer eines Herrschers war von blaugrüner Edelpatina überzogen. Ansonsten deutete nichts darauf hin, wie lange sie hier schon auf die Rückkehr der Alben warteten.

Orimedes wurde in den Kreis der toten Fürsten gestellt. Die Krieger, die den Fürsten getragen hatten, zogen sich aus der Gruft zurück. Auch die anderen Kentauren folgten ihnen. Nur Nestheus blieb an der Seite seines Vaters. Flüsternd hielt der weiße Kentaur Zwiesprache mit dem Toten. Dabei hielt er den Kopf leicht geneigt, als lausche er auf etwas.

Ein Schauer lief Melvyn über den Rücken. Er zog sich in den Saal mit den toten Kriegern zurück. Dort halfen die Ehrenwachen Senthor auf zwei Holzböcke. Sie banden die Beine des alten Kriegers mit dünnen Lederriemen fest.

»Was tut ihr da?« Der Halbelf wollte dem Alten zu Hilfe eilen, doch dieser hob abwehrend die Hand.

»Sorge dich nicht um mich, mein Freund. Mir wird eine große Ehre zuteil. Orimedes hat mich auf dem Totenbett eingeladen, ihn auf seinem letzten Ritt als sein Waffenbruder zu begleiten.«

»Du willst doch nicht ...«

»Doch, ich werde in der letzten Schlacht der Alben kämpfen. Gemeinsam mit Orimedes.« Seine Augen strahlten. »Ich bin ein alter Mann. Wir hatten schwere Verluste. Ich bin jetzt der letzte Überlebende aus Phylangan. Unsere Zeit ist um. Bald würde ich meinem Stamm nur noch zur Last fallen. Es ist besser, diesen Weg zu gehen. Er ist ehrenhafter.« Senthor drehte den alten Speer mit dem Bronzeblatt, den er am Eingang zum Grab mitgenommen hatte.

Melvyn hörte Hufschlag an seiner Seite. »Halte ihn nicht auf«, sagte Katander. »Ihr Elfen könnt das nicht verstehen. Ihr werdet wiedergeboren. Wir aber nicht. Es gibt nur einen einzigen Weg, noch einmal für einen Tag zurückzukehren. Nur wer in den Gräbern gemeinsam mit unseren Fürsten auf das Ende aller Zeiten wartet, der wird noch einmal wiederkehren. Alle anderen erwartet nach dem Tod das Nichts.«

Senthor setzte das Ende des Speers in eine Vertiefung zwischen den Steinplatten am Boden. Jetzt erst begriff Melvyn, was er übersehen hatte, als er zum ersten Mal durch die Vorkammer des Fürstengrabes gegangen war. Das Blut auf dem Boden hätte ihn eigentlich stutzig machen müssen. Nicht das frische Büffelblut, sondern das eingetrocknete unter den toten Kriegern. Sie hatten noch gelebt, als sie hierher gekommen waren. Und die Speere, die sie abstützten, damit ihre Oberkörper nicht im Tode nach vorne kippten, hatten sie sich selbst in den Leib gestoßen.

Nestheus trat aus der Kammer, in die man seinen Vater gebracht hatte. Sein Blick war hart. Die Monde in den Eissteppen, gehetzt wie ein Wild, hatten ihn verändert. »Ich möchte euch bitten, das Grab zu verlassen, meine Gefährten.« Obwohl die Worte höflich gewählt waren, ließ sein Tonfall keinen Zweifel aufkommen, dass dies ein Befehl war.