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Auf dem Achterdeck der Meerwanderer war ein schmales Bett aufgestellt. Wie tot lag Graf Fenryl dort hingestreckt, die Arme über der Brust gekreuzt.

Der Falke stieß einen langen, schrillen Schrei aus. Irgendwo in der Dunkelheit antwortete eine Möwe mit herausforderndem Gekreisch.

Elodrin spähte in den Nebel. Die Nachtzinne war ganz nah. Sie hatten die Bucht erreicht, an der die Kobolde ihren Trollherren die mächtige Feste erbaut hatten. Hätte er keinen Nebel herabgerufen, sie wären schon längst entdeckt worden. Dieser Teil seines Plans war aufgegangen. Doch waren die Menschen gekommen? Und hatten sie genügend Krieger aufgeboten? Sich auf sie verlassen zu müssen, hatte ihm von Anfang an Kopfschmerzen bereitet. Sie waren mindestens genauso unzuverlässig wie Kentauren. Yilvina hatte ihm zwar von dem unstillbaren Hass erzählt, den der König des Fjordlands gegenüber den Trollen empfand, doch war dieser Alfadas mutig genug, sein Heer noch einmal durch das goldene Netz zu führen? Und selbst wenn er den Mut besaß, konnte er seine Krieger auf diesen Schreckensweg führen?

Für einen guten Plan gab es zu viele Unwägbarkeiten. Im schlimmsten Fall würden die Maurawan allein gegen die Trolle vorgehen, aber sie waren viel zu wenige, um alle Krieger aus der Nachtzinne zu locken.

Fenryls Augenlider flatterten. Er tat einen tiefen Seufzer.

Elodrin trommelte nervös mit den Fingern auf der Reling. Er wusste, dass es seine Zeit dauerte, bis die Seele, die mit dem Falken geflogen war, wieder ganz im Körper des Elfen heimisch wurde. Der Seefürst war froh, dass der Vormarsch der Trolle Fenryl den Rückweg nach Carandamon versperrt hatte. Als sich abgezeichnet hatte, dass die Trolle mit allen Kräften nach Süden marschierten und keine unmittelbare Bedrohung für das Fürstentum im ewigen Eis bestand, hatte sich der Graf ihm angeschlossen. Natürlich hatte Elodrin ihn nicht in alle Pläne eingeweiht. Ebenso wenig wie Yilvina alles wusste. Die beiden hatten zu lange an der Seite von Ollowain gefochten, um akzeptieren zu können, dass man manchmal nur durch den Willen, notfalls selbst Freunde zu opfern, und durch Grausamkeit siegen konnte.

Shalawyn und fünfzig andere ausgesuchte Kriegerinnen und Krieger kauerten entlang der Reling und warteten auf seinen Angriffsbefehl. Abgesehen von ihren Waffengurten waren sie nackt. Elodrin lächelte zynisch, als er an Ollowains wohl bekannten Makel dachte. Er mochte der beste Schwertkämpfer Albenmarks gewesen sein, doch an diesem Angriff hätte er nicht teilhaben konnte. Jeder der Kämpfer musste in der Lage sein, sich in den wärmenden Mantel der Magie zu hüllen. Den einzigen Mantel, der sie bei dieser Mission nicht behindern würde.

Selbst Elodrin war nackt. Sein Körper war drahtig und makellos. Der eisige Wind spielte in seinem langen, weißen Haar. Ein breiter, roter Schwertgurt lief quer über seine Brust. Die Waffe trug er auf dem Rücken. Ein Lederbeutel mit einem Barinstein darin war neben der Waffe die einzige Last, die er sich aufgebürdet hatte.

Mit einem tiefen Seufzer setzte sich Fenryl ruckartig auf. Der Graf blinzelte. Verwirrt blickte er sich um. Seine Arme zuckten, als glaube er, noch immer Flügel zu tragen.

»Was hast du gesehen, mein Freund?« Fenryl sah ihn durchdringend an. Sein Blick hatte noch immer etwas von einem Raubvogel. Elodrin hielt nicht viel von den Zaubern, die es einem Elfen erlaubten, mit einem Tier eins zu werden. Das konnte auf Dauer nicht gut gehen. Gewiss, solch einen Zauber wirkte man nur auf sein Seelentier, ein Geschöpf, mit dem man sich ohnehin schon sehr verbunden fühlte. Der Seefürst aber war der Meinung, dass sich auf Dauer die Seelen von Tier und Elf vermengen würden. So wie es gerade bei Fenryl der Fall war, der noch immer glaubte, im Körper des Falken zu stecken.

»Fenryl?«

Der Blick des Elfen klärte sich. »Sie sind dort, die Menschen. Es sind viele. Sehr viele. Die Trolle ziehen ihnen entgegen. Ich war ihnen so nahe, dass ich sie belauschen konnte. Ein Rudelführer Namens Gornbor befehligt sie. Es sind fast tausend. Die Menschen allein werden sie nicht besiegen können. Es sind viel mehr Trolle hier, als wir erwartet hatten. Man könnte meinen, dass Orgrim einen Angriff befürchtet hat.«

Elodrin winkte ärgerlich ab. »Unsinn! Woher sollte er das wissen?« Er selbst war bis zuletzt unschlüssig gewesen, ob er sich gegen Emerelle stellen sollte. »Was glaubst du, wie viele Trolle noch in der Nachtzinne zurückgeblieben sind?«

»An Kriegern? Das kann nicht mehr als eine kleine Wachtruppe sein. Die anderen sind jetzt schon zu weit entfernt, um es zu merken, wenn wir den Turm angreifen. Sie werden sehr bald auf die Menschen treffen. Aber vielleicht kommt es gar nicht zur Schlacht. Von Osten zieht ein Sturm herauf. Wenn die Menschen keinen Schutz finden, dann werden sie zu hunderten verrecken.«

Elodrin ließ sich seinen Ärger nicht anmerken. Dieser Alfadas und seine Krieger entpuppten sich langsam eher als eine Belastung. Immerhin hatten sie die Trolle aus ihrem Bau gelockt. Alles Übrige war nebensächlich. Wenn der Handstreich gelang, dann würden die Menschen Zuflucht in der Trollfestung finden. »Wir greifen an, Graf. Ich übertrage dir hiermit das Kommando über die Flotte.« Elodrin wandte sich zu den Kämpfern, die im Schutz der Reling kauerten. »Vor fünfzehn Jahren hat Herzog Orgrim die Eroberung von Phylangan eingeleitet, indem er eine Schar auserlesener Krieger auf geheimen Pfaden ins Innere der Festung führte. Heute wird er auf dieselbe Weise seine Burg verlieren. Üben wir Rache für die Toten von Phylangan!«

Es gab keine Jubelrufe und auch nicht das selbstsichere Grinsen, mit dem Elodrin die Kentaurenkrieger in die Schlacht hatte ziehen sehen. In den Augen der fünfzig, die Elodrin für den ersten Angriff ausgewählt hatte, spiegelte sich kalte Wut. Sie alle hatten Freunde und Verwandte während der Kämpfe um die Snaiwamark verloren. Bei jedem von ihnen war er sich sicher, dass sie jeglichen Sinn für romantische Ritterlichkeit verloren hatten.

»Folgt mir!«, befahl er, schwang sich über die Reling und tauchte in das eisige Wasser ein. Die Kälte schnitt in seine Haut, doch schon nach einem Herzschlag hatte der Wärmezauber, mit dem er sich schützte, sich an die veränderte Temperatur angeglichen. Tausende silberne Luftperlchen bildeten sich um seinen Leib und schufen eine isolierende Schicht zum Wasser des Fjords.

Rings um ihn herum tauchten Kriegerinnen und Krieger mit elegantem Kopfsprung in die Fluten. Wie Seehunde auf der Jagd glitten sie den Fjord hinauf. Nacht und Nebel verbargen sie vor den Blicken der Trolle.

Shalawyn übernahm die Führung. Sie trug breite Arm- und Fußbänder, in die perlmuttfarben leuchtende Barinsteine eingelassen waren. So konnten ihr alle in dem dunklen Gewässer gut folgen.

Fingayn hatte den Weg, den sie nahmen, schon vor zwei Jahren ausgekundschaftet. Der legendäre Held Farodin hatte ihm erzählt, wie er in die Nachtzinne gelangt war, als er Orgrim in seiner vorherigen Inkarnation getötet hatte. Diesen geheimen Pfaden würden sie nun ins Herz der Trollburg folgen.

Der Nebel zog sich über ihnen vom Wasser zurück. Elodrin konnte dunkle Schiffsrümpfe über sich auf den Wellen schaukeln sehen. Neugierig tauchte er auf und blickte zur Nachtzinne, die sich himmelhoch über die steinerne Mole erhob, die weit in die Bucht hinausgriff. Orgrims Festung war ein riesiger Turm, der wie ein steinerner Baumstumpf aus einer schroffen Felszinne emporwuchs. Ein bleigrauer Himmel schluckte alle Farben. Die Welt schien nur noch aus Grau- und Schwarztönen zu bestehen. Bleiches Licht schimmerte durch Fensternischen, die mit dünn geschabten Tierhäuten verhangen waren, um den Winterwind auszusperren. Orgrims Turm sah anders aus als alle übrigen Trollfestungen, die er zu sehen bekommen hatte. Er wirkte wie eine gröbere, dunkle Spielart von Emerelles Burg im Herzland. Flankiert von Pfeilern und Stützbögen, ragte der Turm bis fast zu dem grauen Wolkenband empor, das über den Himmel zog. An einigen Stellen wuchsen Pfeiler wie riesige Dornen aus dem Mauerwerk. Ohne erkennbares System durchbrachen hunderte Fenster das Bauwerk. Wer immer diese Festung erschaffen hatte, war ein bedeutender Baumeister gewesen, doch er hatte all sein Können darauf verwendet, sein Werk düster und bedrohlich erscheinen zu lassen.