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Der Elf mit den himmelgrauen Wolfsaugen lächelte sie an.

»Wenn deine Blicke Pfeile wären, dann hätten wir die Schlacht schon gewonnen. Vorausgesetzt, du würdest sie auf die Trolle abschießen und nicht auf mich.«

»Wenn du dich hier vom Klippenrand noch näher an die Trolle bewegst, werde ich dir gerne folgen.« Sie deutete in den Abgrund. »Selbstverständlich lasse ich dir den Vortritt.«

Das Lächeln des Elfen wurde noch breiter. »Ich nehme dich beim Wort.« Er griff unter sein Schneehemd und holte eine weiße Seilrolle hervor. Auch andere Mauravan bereiteten nun Seile vor. Einige Bogenschützen schlugen schwere Haken in den Felsen und knoteten ihre Seile daran fest. Dann seilte sich der Erste mit dem Rücken zum Abgrund ab. Atemberaubend schnell glitt er das weiße Seil hinab, bis er plötzlich mit einem Ruck innehielt. Vor einem Überhang schwebend, nahm er den Bogen von der Schulter und zog einen Pfeil aus dem Köcher. Die Windböen ließen den Schützen leicht pendeln. Er zog die Sehne durch. Kadlin sah seinen Pfeil den Trollscharen entgegenfliegen. Ob er traf, konnte sie nicht ausmachen.

»Wer nicht in den Abgrund geht, gibt all seine Pfeile denen, die sich jetzt abseilen!«, befahl der Elf, den Kadlin als Fingayn kannte. »Am besten sucht ihr Halt an der Klippe! Frei schwingend über dem Abgrund zu schießen heißt, nur unnötig Pfeile zu verschwenden.«

Zwei Elfen mit Rucksäcken verteilten ein merkwürdiges ledernes Gurtzeug an die Bogenschützen.

Fingayn half Kadlin mit den Beinen in einen Gurt zu steigen, der ihr als sicherer Sitz dienen sollte. Ob sie sich freiwillig meldete, um abgeseilt zu werden, hatte er erst gar nicht gefragt. Kalf trat an ihre Seite. Ihr Vater versuchte, sie von der waghalsigen Klettertour abzubringen. Als das nichts nutzte, nahm er sich selbst einen Gurt.

Fingayn gab ihr letzte Anweisungen und bestand darauf, dass sie seine Handschuhe anzog. »Du hältst immer eine Hand am Seil, bis du einen sicheren Halt gefunden hast. Und stoß dich beim Abseilen mit den Füßen von der Wand ab.« Kadlin hatte den Bogen geschultert und das Seil mit der Linken umklammert. Sie stand mit dem Rücken zum Abgrund. Der eisige Wind zerrte an ihren Kleidern, und ihre Gedärme rebellierten vor Angst. Kalf stand neben ihr, bereit, ebenfalls in den Abgrund zu gleiten. »Pass auf dich auf, mein Mädchen!«, schrie er gegen den Wind an.

Kadlin wünschte, sie hätte die Klappe gehalten. Nun kam auch Fingayn herüber. »Du wolltest mir folgen. Dann zeig einmal, wie viel Mut du hast.« Er trat zurück und verschwand im Abgrund.

Kadlin presste die Lippen zusammen. So ein Mistkerl! Ihre Hände waren trotz der Handschuhe ganz taub vor Kälte. Sie machte den Schritt zurück in den Abgrund. Leise sirrend glitt sie am Seil entlang. Mit einer Handbewegung konnte sie die Geschwindigkeit abbremsen, mit der sie hinabglitt.

Eine Böe packte sie und drückte sie gegen die Steilwand. Sie schlug mit der Schulter gegen den Fels und begann sich im Kreis zu drehen. Fluchend versuchte sie mit ausgestreckten Beinen Halt zu finden. Endlich ließ das Pendeln wieder nach. Schräg über sich sah sie ihren Vater. Auch er hatte seine liebe Mühe mit dem Seil.

Bisher hatte Kadlin es vermieden, in den Abgrund zu blicken, über dem sie hing. Doch nun war es an der Zeit, ein Felssims zu finden, auf dem sie sich niederlassen konnte. Schneewechten markierten die Vorsprünge und Nischen in der Steilwand.

Endlich entdeckte sie einen zwei Fuß breiten Absatz im Fels. Kadlin blickte nach unten. Der Lärm der Schlacht war jetzt viel deutlicher zu hören. Sie war nur noch wenig mehr als zwanzig Schritt über dem Kampfplatz. Mit Schrecken sah sie, dass die Schlachtreihe der Langspeerträger inzwischen völlig zerbrochen war. Einer der Stangenbeiltrupps war so dicht von Trollen umzingelt, dass die Kämpfer nicht mehr richtig mit ihren langen, unhandlichen Waffen ausholen konnten.

Kadlin verdoppelte ihre Anstrengungen, um den Felsabsatz zu erreichen. Er lag ein wenig zurück, sodass sie ihr Seil in sanfte Pendelbewegungen versetzten musste. Die Linke am Seidenseil, die Rechte weit vorgestreckt, um an einem Riss im Felsen Halt zu finden, schwang sie vor und zurück. Zweimal stieß sie sich das Knie an. Sie fluchte über ihr Ungeschick, während von der Ebene gellende Todesschreie erklangen.

Endlich fand sie an einer vorspringenden Felsnase einen sicheren Griff. Sie zog sich auf das Sims und drehte sich um. Die Füße stemmte sie fest gegen den Boden. Mit dem Rücken lehnte sie sich an die Steilwand. Jetzt erst bemerkte sie, wie heftig ihr Herz schlug. Ihre linke Hand brannte trotz des Handschuhs von der Reibung des Seils. Das Hemd unter ihrer Fellweste war durchgeschwitzt, und der Wind schnitt ihr ins Fleisch, als stünde sie nackt auf dem Sims.

Ihr Vater schwebte noch immer ein Stück über ihr in der Steilwand. Sein Gesicht war aufgeschürft. Dennoch lächelte er ihr zu, als er ihren Blick bemerkte.

Kadlin nahm den Bogen von der Schulter. Du bist hier, um Trolle zu töten, ermahnte sie sich in Gedanken und versuchte den riesigen Kerl zu vergessen, der Björn und sie vor dem Schneelöwen gerettet hatte. Hoffentlich war Brud jetzt nicht dort unten.

Sie zog die Sehne durch und schoss. Ihr Pfeil grub sich tief in den Halsansatz eines Kriegers, der den grauen Wanst mit blutigen Schlangenlinien bemalt hatte. Der Troll packte schreiend nach dem Pfeilschaft. Ruckartig riss er den Kopf herum, um zu erkennen, wer auf ihn geschossen hatte. Kadlin sah sich kurz um. Inzwischen hingen mehr als dreißig Bogenschützen rings um sie in der Steilwand. Immer mehr Pfeile prasselten auf die riesigen Feinde ein. Der Wind fegte in plötzlichen Böen über das tief verschneite Land, doch da sie nun so viel näher an ihre Feinde herangekommen waren, trafen ihre Pfeile besser.

Kadlin gab sich keinen Illusionen hin. Den Ausgang der Schlacht würde ihre kleine Schar wohl kaum beeinflussen. Aber wenn sie es nur schaffte den Angriff der Trolle ins Stocken zu bringen, dann war den Kriegern unten im Tal wenigstens etwas geholfen.

Unter ihr ertönte ein lang gezogenes Hornsignal. Wie eine lebende Woge stürmte die Reiterschar aus der Bodensenke. Der tiefe Schnee verlangsamte ihren Angriff. Dennoch waren die Trolle überrascht, als sie sich einer neuen Einheit von Feinden gegenübersahen. Einige von ihnen begannen zurückzuweichen.

Kadlin suchte ihr nächstes Ziel zwischen den Kämpfern, die versuchten, den Reitern aus dem Weg zu gehen. Ein paar Tote mehr oder weniger konnten durchaus den Unterschied zwischen geordnetem Rückzug und panischer Flucht ausmachen.

Sie suchte sich einen Krieger aus, der keinen Schild trug. Langsam zog sie die Sehne durch. Eine Böe wirbelte ihr Eiskristalle ins Gesicht. Sie blinzelte kurz, fixierte ihr Ziel erneut und schoss. Der Pfeil ging fehl. Leise fluchend griff sie in den Köcher.

Etwas krachte nicht weit entfernt. Einer der Maurawan schrie auf und stürzte. Blut tränkte sein Schneehemd. Sein Kopf war nur noch eine blutige Masse.

Wieder krachte es. Kadlin entdeckte einen Trupp Trolle mit umgehängten Ledertaschen. Sie warfen faustgroße Steine nach den Bogenschützen.

Unwillkürlich duckte sich die Jägerin. Doch in der Steilwand gab es keine Deckung.

Einer der Steinwerfer ging zu Boden. Seine Gefährten aber blieben davon unbeeindruckt, und mit einem Mal entspann sich ein verbissenes Duell zwischen den Bogenschützen und den Trollen. Ihre Feinde hatten Mühe, so hoch zu werfen und dabei noch genau zu zielen. Dafür waren sie deutlich in der Überzahl, und es kamen ständig noch neue hinzu. Die Trollkrieger wirkten weniger stämmig als jene, die inzwischen den Kampf mit den Reitern aufgenommen hatten. Wahrscheinlich waren es Jünglinge, die zum ersten Mal in der Schlacht kämpften.