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Der Wind wehte Schnee von der Klippe hinab. Prickelnd traf er Ulric ins Gesicht. Er blickte zum Schlachtfeld. Nur eine Meile entfernt war das Lager ihres Heeres. Ob die Trolle es schon erreicht hatten?

Ein röchelnder Laut riss den Prinzen aus seinen Gedanken. Finsternis verschlang das Schlachtfeld. Der Sturm war heran. Feine Schneeflocken peitschten vom Himmel herab. Ulric tastete sich zwischen den Felstrümmern hindurch. Überall lagen Tote, zerschmettert auf den scharfkantigen Steinen. Elfen wie Menschen starrten mit leeren Augen in den schwarzen Himmel. Der Tod hatte sie alle gleichgemacht.

Endlich fand er den stämmigen alten Jäger, der mit Kadlin nach Firnstayn gekommen war. Kalf. Er lag in einer Schneewehe. Sein rechter Arm bewegte sich auf und ab wie ein Ast im Wind.

Ulric kniete sich neben den Jäger. Eine Hälfte von Kalfs Gesicht war blutig zerrissen. Durch die offene Wange konnte man seine Zähne sehen. Er stieß einen gurgelnden Laut aus.

»Ich weiß, wer sie ist«, sagte Ulric leise.

Die Augen des Jägers weiteten sich. Es war schwer, in seinem verwüsteten Gesicht ein Gefühl abzulesen. War er erschrocken oder erleichtert? Sein Mund öffnete sich.

Wieder sprudelten unverständliche Laute hervor. Jetzt sah Ulric die Zunge des Mannes oder besser das, was davon noch übrig war. Er musste sie sich abgebissen haben, als er beim Sturz gegen die Felsen geschlagen war.

»Warum ist meine Mutter mit dir gegangen? Warum hat sie mich und meinen Vater im Stich gelassen? Warum hast du sie mir gestohlen?«

Kalf stammelte etwas Unverständliches. Blut quoll von seinen Lippen.

»Wo ist sie jetzt? Wohin hast du Asla gebracht?«, rief Ulric zornig. Nachdem Halgard ihn darauf gestoßen hatte, wer die junge, rothaarige Jägerin wirklich sein musste, hatte Ulric eigentlich beschlossen, die Sache auf sich beruhen zu lassen, aber jetzt brachen all sein Zorn und seine Trauer aus ihm heraus. Vor ihm lag der Mann, der all seine Fragen hätte beantworten können. Und er war im Begriff zu sterben.

»Hat meine Mutter dich geliebt?« Kalf schloss kurz die Augen und öffnete sie wieder. Sollte das ja heißen? Oder war es Verlegenheit? Es war sinnlos, ihn nach etwas zu fragen! Schaumiges Blut quoll über Kalfs Lippen. Er versuchte sich aufzusetzen, aber seine Kräfte reichten dazu bei weitem nicht mehr aus. »Kah ...len ... Kah ...linn!«, stammelte er.

»Kadlin?«

Der Jäger verdrehte die Augen, als wolle er zu jemandem blicken, der hinter ihm stand. Doch da war nur die Steilklippe.

»Meinst du Kadlin? Was ist mit ihr?« Kalf antwortete nicht mehr.

»Mögen die Götter dir gnädig sein.« Ulric strich dem Toten mit der Hand übers Gesicht. Schnee fiel auf den Jäger herab.

Bald wird uns der Winter alle unter sein weißes Leichentuch gebettet haben, dachte der Prinz. Wer den Trollen entging, den würde Firns Atem töten. Fröstelnd rieb er sich die Arme und wusste doch, dass er die Kälte nicht würde vertreiben können.

Das Leichenfeld

... Zwei Stunden hatte ich mir Zeit gelassen, bis ich es wagte, gegen den Befehl zu verstoßen. Elodrin und auch sein Navigator Landal befürchteten, dass es auf der Nachtzinne Kriegsmaschinen geben könnte, um Schiffe an der Mole und in der Bucht anzugreifen. Orgrim war der einzige Troll, dem sie zutrauten, solche Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Wäre ich doch mutiger gewesen! Jeder Atemzug, den ich zögerte, kostete zehn Menschenleben. Elodrin wollte ein Lichtzeichen geben, sobald die Nachtzinne gestürmt war. Ein leuchtend roter Stern sollte in den Himmel steigen. Er glaubte, es werde im schlimmsten Fall zwei Stunden dauern, die Besatzung der Nachtzinne zu überrumpeln und alle wichtigen Verteidigungsstellungen zu besetzen. Zwei Stunden ließ ich darüber hinaus verstreichen. Ein Schneesturm war aufgezogen. In seinem Schutz brachten wir die Schiffe zur Mole und gingen an Land. Die Tore der Nachtzinne fanden wir fest verschlossen. So befahl ich, in jenes Tal vorzustoßen, in dem wir uns mit dem Heer der Menschen vereinen wollten.

Welch ein Grauen erwartete uns! Trotz des Sturms hatte ein Teil der Trolle schon mit, dem Leichenschmaus begonnen. Einige kämpften noch; verzweifelt verteidigten die Menschen ihr Lager. Die Tolle waren so überrascht von unserer Ankunft, dass wir viele niederstreckten, bevor sie überhaupt zu den Waffen greifen konnten. Die Übrigen flohen in die Berge. Wir setzten ihnen nicht nach. Ich weiß, es gehört zu den Gesetzen des Krieges, dass der Sieger den Druck gegen den fliehenden Feind aufrechterhalten soll. Doch ich wollte auf keine Hand verzichten, die mithelfen konnte, jene wenigen Menschen zu bergen, die noch zu retten waren. Viele Verwundete, die auf dem Schlachtfeld zurückgeblieben waren, hatte die Kälte getötet.

Der Tod hatte eigentümliche Muster auf jenem Feld gewoben, das wir ihm zu so reicher Ernte bestimmt hatten. Dort, wo die Krieger bis zuletzt gekämpft hatten, lagen sie in Haufen, umgeben von erschlagenen Trollen. Halb vom Schnee begraben waren es große, abstrakte Blumen. Der Kreis der toten Trolle waren die Blütenblätter, die erschlagenen Menschen aber waren das Herz der Blüte. Die Flüchtenden waren allein gestorben. Zusammengekrümmt lagen sie jeder für sich, wo der Feind und der Tod sie gleichermaßen eingeholt hatten. Und noch einmal anders war die Spur des Reiterangriffs. Wie eine Lawine war er durch die Spitzen des Trollangriffs gebrochen und hatte alles mit sich gerissen, bis er an Kraft verlor und zuletzt aufgehalten wurde.

Es waren wenig mehr als fünfhundert Menschen, die wir dem Leichenfeld entreißen konnten, und kaum einer war dem Schrecken der Schlacht ohne Wunden entkommen. Jene von uns, die von Anfang an dabei waren, werden wohl für immer ein anderes Bild von den Männern und Frauen des Fjordlands haben. Sie haben nicht unser Geschick und unsere Kunstfertigkeit im Umgang mit Waffen. Wenn vier von ihnen sich einem Troll stellen, dann werden drei davon mit dem Leben bezahlen, bevor das Ungeheuer vielleicht bezwungen ist. All jene, die gern abfällig über Menschen sprechen, fordere ich auf, daran zu denken, wie viel Mut es erfordert, sich solchen Gegnern zu stellen und nicht zu weichen. Wir, die wir als ausgebildete Elfenkrieger darauf hoffen dürfen, sogar allein in einem Kampf mit einem Troll bestehen zu können, werden diesen verzweifelten Mut niemals ermessen können.

Nie werde ich vergessen, wie mir der stolze Fingayn aus dem Sturm entgegenwankte. Selbst am Ende seiner Kräfte, trug er ein rothaariges Menschenmädchen in den Armen, dem vom Frost fast die Seele entrissen worden war. Der sonst so Schweigsame, der sich gern den Blicken entzieht, stammelte von ihrem Mut und ihrem Geschick, unfähig, einen Satz mit einem Anfang und einem Ende hervorzubringen. Yilvina, die viele für die Meisterschülerin Ollowains hielten, stand breitbeinig vor einem Mann ohne Nase, der seinen Sohn betrauerte und das Kämpfen aufgegeben hatte. Verletzt war sie umringt von toten Trollen und bot, als wir sie fanden, noch immer dreien von ihnen die Stirn, statt den hässlichen Kerl und den Toten ihrem Schicksal zu überlassen.

Wir brachten die Menschen zu unseren Schiffen, da öffneten sich die Tore der Nachtzinne. Und heraus trat Elodrin und war wie eine Missgeburt des Krieges anzusehen. Nackt, wie er einst aus dem Schoß seiner Mutter gekommen war, stand er im Tor, mit Blut beschmiert, in jeder Hand ein Schwert. Sein weißes Haar klebte ihm in roten Strähnen am Kopf, und in seinen Augen funkelte der Wahn, der manche befällt, die das Töten zu sehr lieben.

Er und seine Kriegerschar hatten Stunden gebraucht, um sich einen Weg durch die mit Steinen verfüllten Tunnel zu bahnen, von denen er sich einen so einfachen Weg ins Herz der Festung versprochen hatte. So fanden wir also zuletzt doch Zuflucht in der Nachtzinne.

Elodrin hatte hunderte Gefangene gemacht, denn wie sich zeigte, hatte Orgrim alle Weiber und Welpen — wie die Trolle ihre Kinder nennen — in die stärkste Festung der Trolle befohlen. Hätte ich geahnt, welch schändlichen Verrat Elodrin an ihnen und auch an den Menschen plante, ich hätte den Fürsten getötet, als ich ihn durch das Tor schreiten sah. Jetzt, so viele Jahre später, fällt es mir schwer zu begreifen, warum ich das deutliche Bild nicht verstand, als er mir unter dem Tor entgegentrat, nackt und blutbedeckt.