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»Talsin! Und wo sind die Trolle?«

»Vielleicht vier- oder fünfhundert Meilen nördlich. Aber ich würde vorschlagen, dass du erst einmal wieder zu Kräften kommst, bevor du dich aufs Neue in den Krieg stürzt. Wie es scheint, hast du ja deinen Meister gefunden. Dem solltest du besser nicht noch einmal begegnen. Ich weiß nicht, ob dir klar ist, wie viel Glück du hattest.« Artaxas war bei den letzten Worten deutlich lauter geworden. Sein Gesicht war jetzt fast kirschrot. »Wenn du glaubst, ich verbringe meine Tage damit, dich bei jeder Gelegenheit im Schnee aufzusammeln und mühsam wieder hochzupäppeln, dann hast du dich geirrt!«

»Ich weiß, wie wir sie aufhalten können ...«

»Du kannst dich nicht einmal auf den Beinen halten, aber du willst ein Heer von tausenden von Trollen aufhalten? Mir scheint, der Schlag vor deinen Kopf hat doch mehr Schaden angerichtet, als wir alle dachten. Leg dich jetzt hin, und ich decke dein Gesicht wieder ab.« Ein schmieriger Lappen schwebte auf Melvyn zu.

»Lass das! Hol Nestheus! Ich scherze nicht. Es sind die Gräber. Er soll eine Karte mitbringen!«

»Meine Mutter hat immer erzählt, Verrückten sollte man ihren Willen lassen, dann hätte man den wenigsten Ärger mit ihnen«, sagte Misht.

Der Lamassu stieß einen tiefen Seufzer aus. »Dann hol ihn her.« Er beugte sich über Melvyn. »Und bilde du dir nicht ein, du hättest deinen Dickschädel durchgesetzt, Hauptmann. Ich habe Nestheus versprochen, ihn zu benachrichtigen, sobald du erwachst.«

»War ich lange bewusstlos?«

»Fünf Tage. Du solltest es jetzt wirklich nicht übertreiben, mein Freund. Du warst dem Tode sehr nahe. Überanstrenge dich nicht.« Er presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. »Erwarte jetzt keine Gefühlsduseleien von mir. Ich kann dich ja schlecht in den Arm nehmen oder dir einen freundschaftlichen Knuff geben. Mistkerl! Du hast uns ganz schön Sorgen gemacht. Weißt du, wer draußen auf dem Dach sitzt und auf deinen Atem lauscht, seit du hier liegst? Dein Oberadler. Der hat das ganze Viertel in Angst und Schrecken versetzt, weil sich die Kobolde hier unter seinen Blicken fühlen wie Mäuse, denen gerade eine ausgehungerte Katze über den Weg läuft. Leider kann ich Wolkentaucher schlecht hereinbitten. Aber wenn du das Licht vertragen kannst, dann befehle ich Misht, die Plane aufzuknüpfen, wenn er zurück ist.«

Melvyn räusperte sich, um den Kloß loszuwerden, der ihm in den Hals gestiegen war. So aufgewühlt hatte er Artaxas noch nie erlebt. Manche Gefühle waren so stark und unmännlich, dass man sie schleunigst unter dummen Sprüchen begraben musste. Sie beide waren ziemlich gute Totengräber ihrer Gefühle.

»Was für ‚nen Dreckslappen hast du denn auf mein Gesicht gelegt? Der stinkt, als hätte man ‚nen Schweinestall damit ausgewischt.«

»Dein Dreckslappen hat mich sein Gewicht in Edelsteinen gekostet, du undankbarer kleiner Bastard. Der ist in Smaragdkrötenfett getränkt und mit noch ein paar anderen wirklich widerlichen Sachen eingerieben, die geholfen haben, die Erfrierungen auf deinem Gesicht zu heilen. Du warst in deinem eigenen Blut festgefroren, als wir dich gefunden haben. Du sahst verdammt übel aus ... Wer hat dich nur so zugerichtet?«

Melvyn zuckte mit der Schulter und bereute es augenblicklich, als der bohrende Schmerz sich wieder meldete. »Ich konnte den Kerl nicht gut sehen. Er trug eine weiße Maske, und es ging alles sehr schnell. Ich glaube, ich habe ihn auch getroffen. Aber sicher bin ich mir nicht. Er war verdammt gut. Es war ein Elf! Ein Elf, der zu den Trollen übergelaufen ist! Kannst du dir das vorstellen?«

Artaxas hob die Brauen. »Was haben die Trolle damit zu schaffen?«

»Das hat mit den Hügelgräbern zu tun. Ich glaube, ich weiß jetzt, wie die Trolle es schaffen, ohne Proviant so schnell die Steppe zu durchqueren. Es hat mit den Lutin zu tun.«

»So, mit den Fuchsköpfen?« Artaxas hatte einen Ton angeschlagen, als unterhalte er sich mit einem Kind, das ihm atemlos irgendwelche Märchen erzählte. »Haben etwa auch die Blütenfeen und Faune damit zu tun? Die habe ich immer schon für besonders durchtrieben gehalten.«

»Du wirst sehen ...«

Der Lamassu beugte sich vor und küsste ihn auf die Stirn.

»Bist du verrückt?«, rief Melvyn.

»Ich wollte fühlen, ob du vielleicht Fieber hast. Du redest wirres Zeug! Fieber hast du keines. Offensichtlich hat der Schlag auf den Kopf doch mehr Schaden angerichtet, als ich zuerst angenommen hatte.«

»Du kannst mir ruhig ...«

»Weißt du, dass wir hier nicht allein sind?«, unterbrach ihn Artaxas. »Glaubst du, ich kann dich aufrichten?« Der Lamassu wartete die Antwort erst gar nicht ab. Wie von Geisterhand wurde Melvyn emporgehoben. Die Felle, mit denen er zugedeckt gewesen war, rutschten herab. Es war kalt in der Kammer.

Seinem Lager gegenüber stand ein Kinderbett. Undeutlich konnte er eine kleine, bärtige Gestalt darin liegen sehen.

»Nossew?«

»Eine Patrouille von Caileens Reitern hat ihn siebzig Meilen südlich von Talsin gefunden«, erklärte Artaxas. »Er lag halb unter einem umgestürzten Schlitten begraben. Der Frost hatte ihm übel mitgespielt. Ich habe ihm drei Zehen und zwei Finger amputieren müssen. Die waren schon ganz schwarz geworden. Er wollte zu dir. Sobald wir ihn ein bisschen warm bekommen hatten, rief er immer wieder deinen Namen.«

Artaxas hatte Melvyn kraft seines Zaubers nun dicht neben das Lager des Kobolds gehoben. »Geht es dir gut?«, fragte er Nossew.

Der Kobold blinzelte, dann hob er matt eine Hand, ballte sie zur Faust und streckte den Daumen hoch.

Melvyn musste lächeln. Der Armbrustschütze war noch nie sonderlich gesprächig gewesen. »Du hast sie gefunden, nicht wahr?«

Nossew nickte.

»Wir werden sie holen gehen, sobald wir hier herauskommen.« Der Kobold stieß einen bestätigenden Grunzer aus. »Bin ich hier im Irrenhaus?«, empörte sich Artaxas. »Ihr beiden könnt nicht einmal aus eigener Kraft stehen und plant schon die nächste Schlacht. Habt ihr erst genug, wenn man euch Arme und Beine abgehackt hat?«

»Warst du jemals verliebt, Artaxas?«

Nossew schnitt eine Grimasse.

»Der größte Teil von mir ist ein wilder Stier«, entgegnete der Lamassu, als sei damit alles beantwortet.

»Ich werde Leylin holen, und wenn es das Letzte ist, was ich tue. Sie muss fort von diesem Irren. Er darf sie nicht noch länger quälen. »Hast du Leylin gesehen, Nossew? Geht es ihr gut?«

Der Kobold breitete die Hände aus. Es schmerzte Melvyn, die Fingerstümpfe seines Gefährten zu sehen. Er wusste, dass Nossew eher ein Handwerker als ein Krieger war. Misht hatte ihm einmal erzählt, dass sie beide davon träumten, genug Gold zusammenzubekommen, um noch einmal eine Werkstatt aufmachen zu können.

»Wir werden diesen irren Fürsten bestrafen. Jedes Leid, das er zu verantworten hat, soll auf ihn zurückfallen. Jede Bosheit wird ihm heimgezahlt werden. Jedes ...«

»Deine Zunge scheint ja schon wieder ganz genesen zu sein«, klang es von der Tür. Ein Schattenriss füllte den Rahmen. Nestheus trat ein. Der Kentaur trug eine geflickte Weste, das Haar hing ihm in wirren Strähnen ins Gesicht, und er wirkte mehr wie ein übermüdeter Viehtreiber denn wie ein Fürst. Hinter ihm folgte Caileen in ihrer grünen, mit Gold beschlagenen Rüstung. Die Elfe schien ein Strahlen zu umgeben. Ihr Haar war gerichtet, der Harnisch glänzte selbst im trüben Winterlicht. Zwei ihrer Krieger trugen eine Holztafel, Rollen mit Karten und eine kleine Truhe.

»Es ist Zeit, wieder ins Bett zu gehen«, verkündete Artaxas schmunzelnd und ließ Melvyn zu dessen Lager schweben. Misht, der mit den anderen gekommen war, zog ihm die Felldecken über die Beine.

Melvyn schämte sich ein wenig für seine Schwäche, genoss es aber, wieder im Warmen zu liegen. In der Luft zu hängen, den Launen seines Freundes ausgeliefert, hatte ihm zutiefst widerstrebt.