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»Du überraschst uns«, spottete Caileen freundlich. »Du kannst dich kaum von deinem Lager erheben und rufst schon einen Kriegsrat an dein Krankenbett, als seiest du hier der Oberbefehlshaber.«

Melvyn versuchte seine Gedanken zu ordnen, doch das Bild Leylins wollte nicht vor seinen Augen verschwinden. Er musste sie wieder finden. Das war wichtiger als alles andere. Unangenehme Stille machte sich breit. Alle sahen ihn an.

»Weißt du, wer dich angegriffen hat?«, fragte Nestheus schließlich.

»Ein Elf ...« Er versuchte, seine Erinnerung an diese Winternacht wachzurufen, und doch waren es die Bilder einer ganz anderen, freundlicheren Nacht, die sich ihm aufdrängten. Die Erinnerung an den Adlerflug mit Leylin.

»Bist du erschöpft?«, fragte Artaxas besorgt.

Melvyn schüttelte den Kopf. »Die Gräber ... Gibt es eine Karte, auf der ihr mir den Vormarsch der Trolle zeigen könnt?« Er musste sich zusammenreißen. Er würde sich noch zum Gespött aller machen! Und er brauchte ihre Hilfe, wenn er Leylin retten wollte.

Caileen winkte den beiden Kriegern. Sie stellten die Tafel ab und legten eine große Karte des Windlands auf. Mit roter Kreide war eine Schlangenlinie auf das Pergament gemalt. Die Hauptrichtung des Vorstoßes führte von Nord nach Süd. »Ist einem von euch der Sinn der Haken klar, die unsere Feinde immer wieder schlagen? Gibt es etwas, wovor sie ausweichen?«

Melvyn konnte in den Gesichtern lesen, dass sich die anderen diese Fragen auch schon ungezählte Male gestellt hatten, ohne befriedigende Antworten zu finden.

»Sie folgen dem Weg der Gräber«, erklärte er schließlich.

»Nestheus, kennst du auch die Grabhügel der anderen Kentaurenvölker?«

»Selbstverständlich. Schon als Kind habe ich meinen Vater auf die Totenfeste begleitet.«

»Kannst du mir auf der Karte zeigen, wo entlang des Marschwegs der Trolle Hügelgräber liegen?«

Nestheus betrachte das Pergament. Plötzlich schnaubte er.

»Das ist verrückt. Jeder Haken, den sie schlagen, führt zu einem Hügelgrab, als wollten sie unseren toten Fürsten und Kriegsherren huldigen.«

»Wovon man bei Trollen nicht ausgehen sollte«, mischte sich Caileen ein. »Was hat das zu bedeuten?«

»Habt ihr es geschafft, ihnen ihren Nachschub abzuschneiden, wie Ollowain es geplant hatte? Hungern die Trolle, und stirbt ihr Heer auf einem Todesmarsch durch die endlose Steppe?«

»Du weißt, dass es nicht so ist«, stieß Caileen gereizt hervor.

»All unsere Pläne sind fehlgeschlagen. Würdest du uns jetzt freundlicherweise an deiner Weisheit teilhaben lassen und dieses kindische Ratespiel beenden!« »Sie haben Vorratslager angelegt. Du hast mir gesagt, dass die Lutin die Baumeister eurer Grabhügel sind. Ich selbst habe gesehen, wie ihre Zauber die toten Fürsten deiner Sippe schützten. Ihr Fleisch ist so gut erhalten wie an dem Tag, an dem sie starben. Sie sind bereit, sich einst zur letzten Schlacht zu erheben. In der Gruft, in der dein Vater ruht, habe ich Büffelblut gefunden, Nestheus, aber Büffel gelangen dort niemals hinab. Wie kam das Blut dorthin?« Der Kentaurenfürst zuckte mit den Schultern. »Das kann ich nicht erklären.«

»Was haben die Lutin mit den Totenfeierlichkeiten deines Volkes zu tun?«

»Sie öffnen die Grabhügel und bereiten sie darauf vor, einem weiteren Toten zur Heimat zu werden. Nur sie können die magischen Siegel der Grabkammern öffnen, ohne dass der Zauber, der die Toten erhält, Schaden nimmt. Sie richten auch den Leichenschmaus aus.«

»In der Schlacht am Mordstein hat man eine Schar von Lutin nahe dem Lager der Trolle gesehen. Ich glaube, die Fuchsköpfe haben sich mit unseren Erzfeinden verbündet.«

»Warum sollten sie das tun?«, mischte sich Caileen ein. »Sie treiben schon immer mit jedem Handel, der ihre Dienste und Waren nachfragt. Natürlich kann man sie dann auch im Heerlager der Trolle antreffen. Aber ihre Geschäfte können sie nur deshalb machen, weil sie sich nie auf eine Seite schlagen. Das ist nicht ihre Art.«

Melvyn ließ sich von dem Einwand nicht beirren. »Ich weiß, dass die Lutin in den letzten Jahren viele Stämme der Steppe reich gemacht haben. Sie haben große Büffelherden gekauft und mit ihrem Gold die Preise so sehr verdorben, dass kaum jemand anders noch Vieh kaufen mochte. Weißt du, wohin sie das Vieh gebracht haben?«

»Was schert es mich, wohin das Fleisch ging. Sie haben gut gezahlt. Selbst wenn sie es an die Trolle weiterverkauft hätten, wäre das doch egal. Die Trolle halten keine Viehherden. Sie schlachten sie und fressen.« Nestheus verstand ganz offensichtlich nicht, worauf er hinauswollte.

»Machen sich die Lutin manchmal an den Grabhügeln zu schaffen, wenn kein Begräbnis bevorsteht?«

»Sie pflegen die Gräber. Manchmal kommen sie, um nach dem Rechten zu sehen. So ist es zwischen unseren Völkern festgeschrieben, seit sie die Gräber für uns errichtet haben.«

Caileen sah Melvyn mit großen Augen an. »Du meinst, sie haben die Büffel geschlachtet und das Fleisch in die Gräber gebracht, damit es ebenso wenig vergeht wie die toten Fürsten.«

Der Wolfself deutete auf die Karte. »Kannst du mir einen anderen Grund nennen, warum sich das Heer der Trolle von Grabhügel zu Grabhügel bewegt? Warum können sie die Steppe durchqueren, ohne von Vorratskarawanen versorgt zu werden? In ihrem Heer gibt es kaum Lasttiere, die sie aufhalten. Sie sind schneller, als jeder erwartet hätte.«

Nestheus schüttelte ungläubig das Haupt. »Das kann nicht sein! Der Pakt zwischen meinem Volk und den Lutin währt seit Jahrhunderten.«

»Hätten sie euren Zorn zu fürchten, wenn die Trolle die neuen Herren Albenmarks würden?«, fragte Melvyn gereizt. »Sieh der Wahrheit ins Gesicht! Eure Totenwächter haben euch auf das Schändlichste hintergangen.«

»Das ist alles Unsinn!«

»Dann geh und lass einen der Grabhügel öffnen, Nestheus. Dort wirst du nicht einmal mehr die Leichen eurer Ahnen finden! Die Trolle sind nicht wählerisch, wenn sie hungrig sind.«

»Das kann ich nicht ... Es ist unmöglich. Wenn wir die Rundsteine wegrollen, mit denen die Gräber verschlossen sind, dann zerstören wir die Zauber, die unsere Ahnen erhalten. Sie würden zu Staub zerfallen. Nur die Lutin können die Gräber öffnen.«

»Dann konnten sie sich ja ganz sicher sein, dass ihr Betrug an euch niemals auffallen würde«, bemerkte Artaxas.

Der Kentaurenfürst deutete auf die Karte. »Hier liegt der Grabhügel meiner Ahnen«, sagte er mit mühsam beherrschter Stimme. »Die Trolle sind zwanzig Meilen davon entfernt vorbeigezogen. Warum haben sie das getan, wenn diese Hügel ihre Vorratslager waren? Deine Geschichte ist nicht mehr als ein kranker Fiebertraum, Melvyn.«

»Sie waren nicht dort, weil dein Vater zur falschen Zeit gestorben ist. Die Lutin mussten ihr Fleischlager räumen, weil das Begräbnis abgehalten wurde. Sie mussten alle Spuren verwischen. Und wir alle haben ihnen geholfen! Erinnerst du dich, wie großzügig sie die Gäste bewirtet haben? Wie viel Fleisch es gab?«

»Sie haben schon immer den Leichenschmaus ausgerichtet«, wandte der Kentaurenfürst ein. Doch sein Widerspruch war diesmal nicht mehr so entschieden.

»Und ist es Tradition, dass sie alle Gäste schon lange vor den Feierlichkeiten bewirten? Jeder, der sie gefragt hat, bekam Rippenstücke und Büffelkeulen geschenkt. Deine Gäste hielten dich für einen besonders freigiebigen Trauernden, Nestheus. Aber war es wirklich deine Idee?«

Der Kentaur senkte den Blick. »Das kann doch nicht sein ...«

»Als ich versuchte, mich in das Lager der Lutin zu schleichen, um nachzusehen, woher all das Fleisch kommt, hat mich ein Meuchler angegriffen. Warum wollten sie verhindern, dass ich mich umsehe, wenn sie nichts zu verbergen hatten? Und wie lange sind sie bei dem Grabhügel geblieben? Sind sie vielleicht noch in derselben Nacht aufgebrochen? Und haben sie ein großzügiges Geschenk an Fleischvorräten zurückgelassen?«

In dem schäbigen Zimmer herrschte bedrückte Stille.