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Gundaher wurde von Krämpfen geschüttelt. Blut trat aus seinen Augen. Emerelle spürte, wie auch über ihre Wangen warme Tränen rannen. Sie spürte, wie sich die Geschöpfe im Kopf des Baumeisters wanden, wie sie fraßen. Schmerz und Ekel drohten sie zu überwältigen. Sie wurde sich bewusst, wie lange der Mensch schon unter dieser Folter litt, und sie begriff, welchen Schaden sie angerichtet hatten. Wie sich ein freundlicher, weltoffener Mann in einen Eigenbrötler verwandelt hatte, dessen unerwartete Bosheiten alle fürchteten, die Umgang mit ihm pflegen mussten.

Emerelle konnte nicht heilen, was die Kreaturen angerichtet hatten. Aber sie konnte den Schmerz mit Gundaher teilen, und sie konnte die Geschöpfe töten, eines nach dem anderen. Das stumme Duell schien Stunden zu dauern. Sie war am Rande der Erschöpfung, als die schleimbedeckten Würmer aus der Nase des Baumeisters quollen. Feist, fast so groß wie die Finger eines neugeborenen Kindes.

Die Königin hob die Kreaturen auf, trat an eine Feuerschale, die das Zimmer wärmte, und schnippte die Würmer in die glühenden Kohlen. Mit einem kurzen Zischen vergingen die bleichen Leiber.

Emerelle wusste, wer das getan hatte. Müde stützte sie sich auf die Kante des Falrach-Tisches. Es war nicht weise gewesen, so zu handeln. Morgen, wenn die Schlacht begann, würde sie all ihre Kräfte brauchen.

Kadlin war sehr blass geworden. Sie sah sie mit großen Augen an. »Was war mit ihm? Wird er wieder gesund werden? Gibt es noch mehr von diesen Würmern? Und ...«

Emerelle beendete mit einer fahrigen Geste den Strom der Fragen. »Die Würmer sind tot, doch ob er geheilt ist, wird man erst nach einiger Zeit sagen können. Vor langer Zeit scheint er einem Wesen von großer Macht und schrecklicher Bosheit begegnet zu sein. Dem Devanthar. Es ist bemerkenswert, dass Gundaher so lange gelebt hat. Und ich vermag nicht zu ergründen, warum der Devanthar ihm das angetan hat.« Sie winkte Alvias. »Lass eine Trage bringen und sorge dafür, dass der Baumeister ein gutes Quartier erhält.«

»Danke«, sagte Kadlin aufgewühlt. »Ich schulde dir ...«

»Nichts!«, unterbrach Emerelle das Mädchen. Sie wollte allein sein. Die Begegnung mit der Bosheit des Devanthar hatte ihre letzten Kräfte verbraucht.

»Er ist der einzige Mensch, der mir in einer fremden Welt geblieben ist. Ganz gleich, was du sagst, ich stehe in deiner Schuld.«

Zwei junge Krieger mit einer Trage betraten das Zimmer. Sie hoben den bewusstlosen Baumeister auf. Kadlin legte das kleine Buch auf den Rand des Falrach-Tischs. Die ganze Zeit über hatte sie es in Händen gehalten. Scheu blickte sie zu Emerelle. »Dort wirst du Antwort darauf finden, wann er der Bosheit begegnete und woher die Geisterhunde kommen«, sagte sie. Dann folgte sie den Kriegern, die Gundaher fortbrachten.

Emerelle lauschte auf die Schritte, die in der Weite des leeren Palastes verhallten. Der Hofmeister stand noch immer an der Tür, unaufdringlich und bereit, ihr jeden Wunsch zu erfüllen.

»Ich werde heute niemanden mehr empfangen, Alvias. Lass dem Befehlshaber ausrichten, dass ich morgen in der Stunde vor Sonnenaufgang zur Shalyn Falah kommen werde. Mein Heer wird nicht ohne mich kämpfen.«

»So soll es sein«, antwortete Alvias, ohne dass sein Tonfall verraten hätte, was er von ihrer Entscheidung hielt.

Emerelle ließ sich auf den Lehnstuhl nieder. Nach kurzem Zögern nahm sie das Buch. Zumindest einen Blick wollte sie hineinwerfen. Auch wenn seine Bilder ohne große Kunstfertigkeit ausgeführt waren, hatte der Maler es verstanden, seine Gefühle in sie zu bannen. Sie atmeten den Frieden, der in der kleinen Gemeinschaft der blau gewandeten Menschenkinder geherrscht hatte.

Als Emerelle zum ersten Mal den Fremden auf den Bildern sah, verspürte sie eine Unruhe, die sie sich zunächst noch nicht zu erklären vermochte.

Als sie das Buch schließlich zuschlug, hatte das Grauen, das der unbekannte Künstler durchlebt hatte, auch ihre Seele berührt. Erschüttert blickte sie auf den Falrach-Tisch. Sie wollte ihre Gedanken von den Bildern lösen, doch es mochte ihr nicht gelingen. Die Shi-Handan hatte also der Devanthar geschickt? Warum? Das Erscheinen der Geisterhunde hatte den Trollen geschadet. Und ging es dem Devanthar nicht vor allem darum, das Volk der Elfen zu bestrafen? Warum hatte er sie unterstützt?

Das Heer auf der weißen Seite des Tisches war in den letzten Wochen angewachsen. Die Trolle waren ihnen immer noch überlegen, doch die Verbündeten waren stark genug geworden, um darauf hoffen zu dürfen, die Heerscharen der Trolle zumindest aufzuhalten. Ganz gleich, wer morgen siegte, Albenmark würde sich von dieser Schlacht in Jahrhunderten nicht erholen. Sie stutzte. Lange blickte sie auf die schön geschnittenen Figuren, die Symbole für zehntausende Krieger waren. Sie sträubte sich gegen die Wahrheit! Doch je länger sie über den Spielstand nachdachte, desto klarer ordneten sich alle Ereignisse der letzten Monde. Sie war es nicht, die in dieser Partie spielte! Sie war nur eine Figur auf dem Feld, die von unsichtbarer Hand geführt worden war. Das Gleiche galt für Skanga. Dies war kein Spiel im üblichen Sinne, denn es gab nur einen Spieler. Es war belanglos, wer siegte, denn ohne Gegenspieler wäre der Unsichtbare, der beide Seiten lenkte, in jedem Fall der Gewinner.

Und ihm ging es einzig darum, in diesem Falrach-Spiel auf beiden Seiten so viele Steine zu schlagen wie nur möglich. Er wollte Albenmark eine Niederlage bereiten, von der es sich nicht mehr erholen würde.

Emerelle blickte auf das kleine, abgegriffene Buch in ihrem schoss. Es hatte das Antlitz des Unsichtbaren offenbart. Ein Priester, der seine Bosheiten mit der Kraft der Liebe und Verehrung nährte, die man ihm entgegenbrachte.

Als die Königin auf den Falrach-Tisch blickte, sah sie all die Gesichter, für die die Spielsteine standen. Ein Meer von Gesichtern ... Beide Seiten hatten einander in den letzten Monden zu viel angetan. Ein Kampf war unvermeidlich. Aber vielleicht ließ sich ein Massaker verhindern.

Der Kriegsrat

Als Obilee, die Botin der Elfenkönigin, mit ihrem Vortrag endete, war Ganda sprachlos. Sie blickte in die weite Runde der Befehlshaber, die der junge Trollkönig zum Kriegsrat einberufen hatte. Sie alle sahen überrumpelt aus. Emerelles Vorschlag war verlockend.

»Du solltest unserer Beratung nicht beiwohnen, Obilee«, sagte Skanga sachlich. »Kehre zu deiner Königin zurück, wir werden ihr mitteilen, wie König Gilmarak sich entschieden hat.«

Die Elfenkriegerin verneigte sich formvollendet und ging davon.

»Sie fürchtet unsere Stärke«, sagte Slarag, ein junger Rudelführer der Trolle, der nach der Schlacht am Mordstein zu Ehren gekommen war.

Skanga strich sich nachdenklich über das Kinn. Ganda hatte schon öfter bemerkt, dass immer alle zuerst zu der Schamanin blickten und nicht zum König. Sie war es, die hier die Entscheidungen traf.

»Es gibt wenig, das Emerelle fürchtet. Und gerade, wenn sie schwach erscheint, sollte man sich besonders vor ihr hüten. Orgrim, wie stehen unsere Aussichten, sie in offener Feldschlacht zu besiegen?«

Der Trollherzog wirkte geistesabwesend. Sein Gesicht war von Falten durchzogen. Die Kämpfe bei der Nachtzinne hatten ihn bis ins Innerste erschüttert. Jeder im Heer wusste um die Morde, die der Elfenfürst Elodrin begangen hatte, und tausende Krieger brannten darauf, Rache zu nehmen.

»Das Heer der Elfen und ihrer Verbündeten hat an Kraft gewonnen. Sollten wir einen Übergang über die Shalyn Falah erzwingen wollen, dann besteht die Gefahr, besiegt zu werden. Gehen wir aber über die Flanken und suchen abseits der Brücke einen Weg ins Herzland, können wir unsere Übermacht zum Tragen bringen. Dann werden wir siegen.«