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Sebastien fühlte sich plötzlich leicht und unbeschwert. Vor ihm stand der große, geisterhafte Wolf. Er stutzte. Drei Schlangen aus Licht traten aus dem Körper des Wolfs. Der Abt begriff.

»Ihr seid frei«, erklärte die Bestie.

Sebastien sah, wie sich etwas in der Finsternis regte. »Zumindest für den Augenblick. Es gibt nichts, was meine Brüder verlockender finden, als ein Lebenslicht zu trinken. Du kennst ja unsere Schwächen, Sebastien. Sie alle werden spüren, dass du hier bist. Gefällt dir so viel Aufmerksamkeit?« Warum tust du das?

»Weil du eine zarte Seele bist, mein Freund. Es ist besser, dein Weg endet hier. Du würdest keinen Gefallen daran haben, Zeuge zu werden, wie das Licht einer ganzen Welt vergeht.«

Das Duell

»Du darfst nicht gehen, Emerelle!« Melvyn hatte sie am Tor der Festung, die über die Shalyn Falah wachte, abgepasst. Er trug die neuen Armschienen, die sie ihm geschickt hatte. Die stählernen Krallen waren ausgefahren. »Ich werde an deiner Stelle kämpfen. Es gibt keinen Troll, den ich nicht besiegen könnte.«

»Was hält Leylin davon?«

Er hielt ihrem Blick stand. »Sie würde es sicherlich ehrenhaft finden.«

»Also weiß sie nichts davon.« Emerelle musste lachen. »Du musst noch einiges über den Umgang mit Frauen lernen. Mach dir keine Sorgen um mich. Ich habe schon in den Drachenkriegen gekämpft. Bevor ich Königin wurde, war ich Kriegerin. Ich werde siegen.«

»Aber du könntest ...«

Sie hob gebieterisch die Hand. »Nein, Melvyn. Es ist ausgeschlossen, dass ich verliere. Ich danke dir für dein edelmütiges Angebot, aber ich werde es nicht annehmen.« Mit festem Schritt ging sie der Brücke entgegen. Sie hatte in der letzten Nacht die Zukunft erforscht und sich gesucht. Traute sie Melianders Worten, so hätte die Silberschale keine Schrecken vor ihr verheimlicht. Es war schwer, seine eigene Zukunft zu erkunden. Sie war besonders veränderlich, denn jedes Bild, das man sah, mochte Einfluss auf alle kommenden Taten haben. Emerelle hatte keine mögliche Zukunft entdecken können, in der sie auf der Shalyn Falah starb. Ganz gleich, wen die Trolle schicken würden, sie würde siegen.

Für das Duell hatte die Königin einen leichten Leinenpanzer angelegt. Auf jegliche weitere Rüstung hatte sie verzichtet. Sie kämpfte am besten, wenn sie beweglich war.

An der Brücke angekommen, blickte sie zurück. Hunderte Banner wehten auf den Mauern der weißen Festung, die den Zugang ins Herzland bewachte. Die Wälle waren dicht besetzt mit ihren Kriegern. Selbst Fingayn war dort, obwohl der Maurawan es eigentlich vorzog, nicht allzu viel Gesellschaft zu haben. War das ein Mensch an seiner Seite? Der Mann verschwand im Gedränge.

Emerelles Blick wanderte über die hohen, weißen Festungswälle. Hier hatte ihr Schwertmeister residiert und seine neuen Schüler ausgebildet. Sie griff sich an ihr Herz. Würde sie die Leere, die sie dort verspürte, jemals überwinden? Was gäbe sie dafür, wenn Ollowain auf diesen Wällen stehen würde, um ihr nun zuzusehen. Sie lächelte traurig. Dazu wäre es niemals gekommen. Er hätte sie nicht in diesen Zweikampf ziehen lassen.

Sie wandte sich ab. Eine einzelne Fanfare erklang, als sie die Brücke betrat.

Auf der anderen Seite des Abgrunds drängten sich tausende Trolle. Zwischen den hünenhaften Kriegern sahen die Kobolde wie Kinder aus. Sie konnte nicht begreifen, was sie dazu gebracht hatte, zu den Feinden überzulaufen.

Der Anblick der Kobolde erinnerte die Königin auch an die dreißig Kinder. Heute Morgen hatte sie sie mit ihren Familien in Richtung Yaldemee geschickt. Viel zu lange waren sie den Einflüsterungen der Schatten ausgesetzt gewesen. Dafür schämte sich Emerelle, ebenso wie für die Tatsache, überhaupt auf Alathaia gehört zu haben und in Versuchung geraten zu sein, sich einen Albenstein mit Kinderblut zu erkaufen.

Die Königin blinzelte. Sie würde während des Kampfes in die Sonne blicken müssen. Das war ärgerlich, aber letzten Endes würde sich deshalb nichts ändern.

Eine Gasse bildete sich zwischen den Trollen. Eine schlanke, weiße Gestalt erschien auf dem Kamm der Klippe. Das Licht blendete. Einen Moment schien es, als habe der Krieger keinen Kopf.

Emerelle erinnerte sich an eines der Bilder in Melianders Buch. Es zeigte eine kopflose Gestalt, die auf eine Brücke trat.

Ihr Gegner stieg nun den in Serpentinen gewundenen Pfad hinab, der von dort drüben auf die Shalyn Falah führte. Es war ein Elf! Wie hatten die Trolle einen Elfen für ihre Sache gewinnen können?

Die Bewegungen des Kriegers erschienen ihr seltsam vertraut. Der Kämpfer war ganz in Weiß gekleidet. Nervös trommelten ihre Finger auf den Schwertknauf. Wer war das? Er trug eine weiße Maske und dazu eine eng anliegende Mütze mit Pferdeohren. Wie geschmacklos! Wollte der Kerl sie verhöhnen?

So wie sie trug auch er einen Leinenpanzer. Auf Arm- oder Beinschienen und einen Schild hatte er verzichtet. In der Rechten hielt er ein blankes Schwert. Sein Wuchs, die katzenhafte Art, mit der er sich bewegte, in all dem glich er Ollowain! Wer war dieser Krieger?

Emerelle kniete nieder und streifte ihre Sandalen ab. Die Shalyn Falah, die weiße Brücke, war ein tückischer Ort für einen Zweikampf. Es gab kein Geländer, und der Brückenweg war leicht gewölbt. Von den Wänden der Klippen stürzte Wasser in die Tiefe. Ganz gleich wie der Wind drehte, fast immer wurde Sprühwasser zur Brücke getragen und ließ den polierten weißen Stein glatt und rutschig werden. Es war klüger, hier barfuß zu kämpfen.

Dumpfer Trommelschlag erklang auf der Seite der Trolle, als ihr Krieger die Shalyn Falah betrat. Auch er war barfuß! Ohne zu zögern, kam er auf sie zu. Mit der Linken nestelte er an seiner Maske. Als er die Mitte der Brücke erreichte, nahm er sie ab und warf sie mit lässiger Geste in den Abgrund.

Ollowain!

Emerelle traute ihren Augen nicht! Wieder griff sie sich an ihr Herz. Wie konnte es sein, dass er vor ihr stand und sie ihn nicht fühlte?

Er hob das Schwert zum Fechtergruß.

»Ollowain?« Er reagierte nicht auf seinen Namen! Was hatte Skanga ihm angetan?

»Los! Kämpfen.« Seine Stimme war verändert.

»Wer bist du?«

»Klaves. Diener in Elijas Herde. Ich trage den Dung der Echsen. Und Trolltrottel totmachen kann ich auch ...« Er wirkte plötzlich erschrocken. »Das darf ich eigentlich nicht sagen, Weißmädchen.«

Emerelle starrte ihn einfach nur an. Wie redete er? Was war mit ihm geschehen? »Komm, Weißmädchen!« Er deutete mit dem Schwert auf ihre Brust.

»Du willst mich töten? Warum? Du warst mein Schwertmeister. Erinnerst du dich denn nicht?«

Klaves runzelte die Stirn. »Ich bin Elijas Diener. Und wenn ich dich totmache, werde ich vom Diener zum Krieger. Krieger müssen keinen Echsendung mehr schleppen.« Er hatte sogar noch sein altes Schwert, bemerkte Emerelle. Sie legte ihre Hand auf den Schwertgriff. Sie konnte es nicht ...

»Du würdest mich töten, Klaves?«

»Elija hat gesagt, ich soll mit dir kämpfen. Ich bin ein guter Diener. Ich tue immer, was Elija mir sagt.«

»Und wenn ich nicht mit dir kämpfen möchte?« Er sah sie erschrocken an. »Das geht nicht. Elija hat gesagt, ich muss kämpfen. Nimm jetzt dein Schwert in die Hand. Das brauchst du zum Kämpfen!« Der Wind wehte ihr Gischt ins Gesicht und verbarg so ihre Tränen. Was hatten sie mit ihm gemacht? Er war nicht mehr Ollowain. Aber er hatte immer noch das Gesicht des Mannes, den sie liebte. Ihre Finger tasteten nach dem Albenstein unter ihrer Leinenrüstung. »Darf ich dich mit einem Stein an deiner Stirn berühren?«

Er trat einen Schritt zurück. »Nein! Wir kämpfen jetzt, Weißmädchen!« Emerelle kniete nieder. Sie hatte in ihrem Leben manches getan, das ihr schlaflose Nächte bereitet hatte. Sie hatte Unrecht geduldet, zum Wohle Albenmarks. All dies war vergebens gewesen, wenn sie nun kampflos aufgab. All die Toten der letzten Monde waren für nichts gestorben. Doch sie konnte nicht.