Ein Lächeln umspielte die schmalen Lippen der Königin. Sie strich sich eine Strähne ihres sanft gewellten, dunkelblonden Haars aus der Stirn und sah Ollowain an. Ihre hellbraunen Augen wirkten traurig. »Ganz gleich, was in dieser Nacht geschehen wird, auch morgen werden die Nachtigallen noch singen. Vielleicht ist unser Volk zu selbstverliebt, zu alt geworden. Vielleicht ist nun unsere Stunde gekommen, und wir müssen gehen, so wie vor uns die Alben und die Drachen gegangen sind. Doch was immer auch geschieht, nicht einmal die Trolle können die Schönheit Albenmarks zerstören. Auch morgen werden die Nachtigallen noch singen.«
Eine leichte Brise spielte mit dem Haar der Königin und ließ den Stoff ihres schulterfreien Kleides leise rascheln. Der zartblaue, mit Silberfäden durchwirkte Stoff betonte die edle Blässe Emerelles. Ihre milchweiße Haut schien von feinem, silbrigem Licht umspielt zu sein, wie die Mauern ihrer Burg. Sie hatte etwas Ätherisches, Unwirkliches.
Allein der dünne Lederriemen um ihren Hals erschien wie ein eigentümlicher Stilbruch. Er wirkte zu plump. An ihm hing ein schlichter Stein mit einem einfachen Ritzmuster. Jetzt war dieses Schmuckstück in Emerelles Dekollete verborgen. Der Schwertmeister hatte den Stein nur wenige Male zu sehen bekommen. So schlicht er wirkte, war er doch der größte Schatz seines Volkes. Die Alben hatten jedem ihrer Völker einen solchen Stein geschenkt, bevor sie die Welt verließen. Die Albensteine waren ein Quell unvorstellbarer Macht, wenn man sie recht zu nutzen wusste. Es waren Kriege um diese Steine geführt worden.
Etwas bewegte sich unter Ollowains Füßen und schreckte ihn aus seinen Gedanken auf. Gleichzeitig erklang ein leises, schleifendes Geräusch, so als werde Stein auf Stein gerieben. Die Schlangen im Mosaik begannen sich zu bewegen. Ein flacher, purpurner Kopf erhob sich unmittelbar vor ihm. Aus dem schmalen Maul schnellte eine feuchte Zunge. Geschlitzte Pupillen musterten ihn kalt. Der Schwertmeister trat einen Schritt zurück und strauchelte fast. Alle Leiber waren in Bewegung geraten.
Nun schnellte der schwarze Schlangenkopf empor. Die steinernen Kiefer klappten auf, und die Kreatur stieß ein durchdringendes Zischen aus. Um sie herum verging das Licht.
Das Rauschen der Wasserwände erstarb. Die beiden Schlangenhäupter richteten sich immer höher auf und neigten sich zueinander. Dunkelheit, schimmernd wie ein schwarzer Spiegel, wuchs zwischen ihnen empor.
Ollowain vermochte den Blick nicht von dem Spektakel zu wenden. Schon oft war er Zeuge gewesen, wie Kundige die Pforten zu den Albenpfaden geöffnet hatten. Doch diesmal war es anders. Bedrohlicher. Der Schwertmeister gehörte zu den wenigen Elfen, denen sich die Kraft der Magie verschloss. Dennoch spürte er die dunkle Macht, die diesem Zauber innewohnte.
Die weiße Schlange aus dem Mosaik wand sich wie in Qualen, während die Übrigen sich nur kurz erhoben hatten, um nun wie erstarrt dazuliegen.
Der Purpurkopf sah auf Ollowain hinab. Die schmalen Schlitze der Pupillen weiteten sich, und plötzlich erblickte der Schwertmeister einen stahlblauen Winterhimmel. Auf einer vereisten Ebene hatte sich ein gewaltiges Heer versammelt. Tausende Trollkrieger schlugen mit Keulen auf ihre großen Schilde und schrieen dem Himmel ihre Schlachtrufe entgegen. Auf langen Stangen trugen sie Banner aus Elfenhaut vor sich her. Wie ein Vogel im Sturzflug fiel Ollowain einem dunklen Tor entgegen. Es hatte sich dicht neben einem schwarzen Obelisken geöffnet, der über die Eisebene aufragte. Dort war das Eis rot von Blut. Ein altes, gebeugtes Trollweib stützte sich schwer auf einen Knochenstab. Ollowain hatte sie während der Schlacht um Phylangan unter den Angreifern gesehen. Ihren Namen kannte man selbst im Elfenvolk: Skanga, der Quell allen Übels! Sie war es, die ihr Volk aus der Verbannung zurück nach Albenmark gebracht hatte. Nicht der König, sondern dieses alte, gebrechliche Weib war die Kraft, die ihr Volk lenkte und die Heere der Trolle über die leuchtenden Albenpfade führte.
Als spüre die Alte seine Gedanken, hob sie unvermittelt den Kopf und blickte Ollowain aus blinden, weißen Augen an.
»Komm zurück!«, befahl ihm eine vertraute Stimme. Etwas berührte ihn am Arm. Der Zauberbann war gebrochen. Benommen schüttelte der Schwertmeister den Kopf. Seine Glieder waren steif vor Kälte; Raureif bedeckte seinen Leinenpanzer, so als sei er tatsächlich in der fernen Snaiwamark gewesen.
»Komm.« Emerelle nahm ihn bei der Hand und führte ihn aus dem Schlangenkreis, die Stufen zum Thron hinauf.
Die Köpfe der beiden Schlangen berührten nun einander. Hoch aufgerichtet bildeten ihre Leiber einen weiten Torbogen, angefüllt mit spiegelnder Dunkelheit. Aus der Finsternis tönte ein Laut wie Trommelschlag. Nein, es war das Lärmen der Keulen, die auf Schilde schlugen. Das Trollheer war auf dem Marsch.
Wie gebannt starrte Ollowain in die Dunkelheit. Ein golden leuchtender Pfad führte durch das Nichts, den Raum zwischen den Welten. Die Snaiwamark lag mehr als zweitausend Meilen vom Herzland entfernt, doch für all diejenigen, die den Mut aufbrachten, die Albenpfade zu beschreiten, schrumpfte diese Wegstrecke auf ein paar hundert Schritt.
Ollowain blickte zu seiner Königin. Emerelle galt als die mächtigste Zauberin Albenmarks. Sie stand hier, um zu kämpfen. Selbst in dieser verzweifelten Lage schien ihr Mut sie nicht verlassen zu haben. Wie kein anderer verkörperte sie in diesem Augenblick die beiden Eigenschaften, die sein Volk vor allen anderen Kindern Albenmarks auszeichneten: Stolz und Schönheit.
Die anderen Fürsten hielten Emerelle für kalt und unnahbar. Ollowain wünschte sich, dass sie die Königin nun sehen könnten. In ihren Augen brannten Trotz und Leidenschaft, und ein Funke dieses Feuers sprang auf ihn über. Ihre Sache mochte aussichtslos erscheinen, doch noch war die letzte Schlacht nicht geschlagen!
Er zog das Schwert und trat die Stufen zum Mosaik hinab, wobei er es vermied, zu den Schlangenhäuptern emporzublicken. Mehr als zwei Trolle konnten nicht nebeneinander durch das Schlangenportal schreiten, so groß und unförmig wie sie waren. Dort an der Schwelle vermochte ein einzelner Krieger ein ganzes Trollheer eine Weile lang aufzuhalten. Ollowain wusste, dass er diesen Kampf dennoch nicht gewinnen konnte. Die Spanne seines Lebens hing nun an seinem Geschick, den wütenden Keulenhieben auszuweichen. Und dabei war auch er ein Gefangener der Schwelle, denn er durfte nicht einen Herzschlag lang vor den anstürmenden Trollen zurückweichen. Gab er die Schwelle preis, so würde sich die Flut der Feinde in den Thronsaal ergießen, und alles war verloren.
Ollowain lächelte. Der Tod hatte keinen Schrecken für ihn. Im Gegenteiclass="underline" Diesen letzten großen Kampf zu fechten, war die Bestimmung seiner Seele. Danach würde der Zyklus aus Tod und Wiedergeburt durchbrochen sein. Er würde ins Mondlicht gehen, um wieder mit Lyndwyn vereint zu sein. Er fühlte sich leicht. Es gab keine Zukunft mehr, die ihn bedrücken konnte.
»Du solltest fliehen, Herrin, du hast die Macht dazu. Den Trollen ist es nicht bestimmt, in Albenmark zu herrschen. Das ist undenkbar! An einem anderen Tag wirst du siegen.«
»Tritt zur Seite.« Emerelle sprach leise, in ihrer Stimme lag keine Schärfe.
Ollowain gehorchte ihr widerstrebend. Besorgt blickte er ins Dunkel des Tors. Etwas bewegte sich nahe dem goldenen Pfad und beobachtete sie. War da ein Geräusch? Einen Herzschlag lang glaubte er in weiter Ferne das Lärmen der Keulen zu hören, doch nun war wieder Stille.
»Spürst du die Erschütterung der Albenpfade? Sie kommen. Es ist wie damals in Vahan Calyd.« Die Königin trat in den Schlangenkreis und kniete an der Schwelle des Tors nieder. Bedächtig streifte sie den dünnen Lederriemen mit dem schlichten Schmuckstein über den Kopf, dann umschloss sie den Stein mit der Faust. So verharrte sie, tief in Gedanken versunken.
Besorgt blickte Ollowain zum Tor. Es blieben nur noch wenige Augenblicke, bis die Trolle erscheinen würden. Emerelle konnte dort nicht bleiben.