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»Weißt du denn, wo wir hier sind?«

»Natürlich!«, log Skanga. »Im Windland, ein wenig südlich der Königshügel. Zehn Tagesmärsche ... Vielleicht auch elf, dann sind wir wieder in der Heimat.«

Der König blickte über das weite Land. »Albenmark ist mir so fremd«, sagte er leise. »Der Himmel scheint hier weiter zu sein als in der Welt der Menschen. Es ist richtig, dass wir die Elfen für den Verrat an unseren Ahnen büßen ließen. Seit so vielen Generationen träumte unser Volk davon, hierher zurückzukehren, in jene Heimat, die uns die Alben geschenkt haben.« Er spuckte aus. »Aber sie ist nicht wie in den Geschichten, die sie uns erzählt haben. Ich wünschte, ich wäre so frei wie Herzog Orgrim und könnte einfach in die Welt der Menschen zurückkehren. Ich will nicht an meuchelnde Schatten im Nichts, an heimtückische Magier und die Schurkereien der Tyrannin Emerelle denken müssen. Ich will wieder frei sein. Ich wünschte, ich wäre kein König.«

So hatte Skanga ihn noch nie erlebt. Auch kannte sie es nicht von ihm, dass seine Stimmungen so sehr schwankten. »Du solltest ein gutes Stück Fleisch essen, dann wird es dir wieder besser gehen«, riet die Schamanin.

Branbart lachte. »Das würde ich gern. Aber ich habe nichts bei mir. Ich war davon ausgegangen, dass nach den Kämpfen in Emerelles Palast genug frisches Fleisch herumliegen würde.« Er ließ sich im Gras nieder und fingerte an dem Dolch in seiner Schulter herum. »Ich war nicht mehr ich selbst. Dort im Nichts

... Ich dachte, ich würde verrückt. Es tut mir leid. Es war nicht wirklich meine Hand, die den Dolch gegen dich führte. Ich weiß, dass mir niemand treuer dient als du, Skanga.«

»Es ist gut, dass wir unseren Frieden miteinander machen«, entgegnete Skanga erleichtert. Sie trat an die Seite ihres Königs und legte ihm die gichtgekrümmte Linke auf die Schulter. »Was immer auch geschah, unser Volk wird sich bis ans Ende aller Tage an dich erinnern, Branbart, denn du warst der Herrscher, der uns zurück nach Albenmark gebracht hat.« Ihre Amulette aus Knochen, Federn und Muscheln raschelten leise, als sie suchte, was sie wohl verborgen in einem Beutel aus Minotaurenhaut trug.

»Wir werden viele Kinder haben, Skanga«, sagte der König, und neue Kraft lag in seiner Stimme.

»Was?« Die Schamanin hielt in ihrer Suche inne und sah ihn verstört an.

»Unser Volk muss fruchtbarer werden.« Er blickte zu ihr auf; offenbar hatte er etwas anderes gemeint. »Du musst unsere Weibchen segnen, damit sie uns mehr Welpen gebären. Wir werden die Elfen in den Schößen unserer Weiber besiegen. Wenn die Elfen einen Krieger verlieren, dann brauchen sie hundert Jahre oder mehr, um ihn zu ersetzen. Wir werden viel schneller Nachwuchs haben. Du hattest Recht, Skanga, wie immer. Lassen wir uns Zeit. Wir werden Emerelle und ihre verfluchte Brut besiegen. Das ist unser Schicksal. Wir werden den Thron im Herzland besteigen.«

»So wird es kommen, mein König. Und ich werde immer an deiner Seite sein.« Ihre Linke krallte sich in seine Schulter, während die Rechte den Griff des Opfermessers umschloss. Branbart blickte jetzt wieder auf das weite Land hinaus. Er bemerkte nicht, wie sie das Obsidianmesser aus dem Beutel zog. Sie hatte die schwarze Klinge einst selbst geschlagen, zu Zeiten, als sie noch sehen konnte. In Jahrhunderten hatte die gewellte Steinschneide nichts von ihrer Schärfe verloren. Ein Schnitt ...

Branbart stieß ein gurgelndes Geräusch aus.

Skanga trat rasch einen Schritt zurück, damit der König sie nicht im letzten Augenblick noch packen konnte. Das Opfermesser hatte tief in seine Kehle geschnitten. Er bäumte sich mit all seiner Lebenskraft gegen den Tod auf. Seine Aura flammte strahlend hell auf, Licht umstrahlte ihn in allen Farben des Regenbogens. Dann wurde es blasser.

Branbart war mit einem Traum gestorben. Er hatte wieder ein Ziel vor Augen gehabt. In diesem Augenblick war er glücklich gewesen. Doch Skanga kannte ihn zu gut. Das Glück hätte nicht lange gehalten.

Das Leben des Königs war vergangen, auch wenn noch immer ein blasser Lichtglanz um seinen hingestreckten Leib spielte. Skanga kniete neben ihm nieder. Sie drückte ihm die Augen zu, und ihre Hände fuhren ein letztes Mal über seine vernarbte Stirn. »Ich liebe deine Seele, Branbart. Um ihretwillen habe ich es getan, bevor sie Schaden nehmen konnte.«

Mehr als eine Stunde kniete sie neben dem toten König und dachte an den langen Weg, den sie gemeinsam zurückgelegt hatten. Dann durchsuchte sie Branbart und nahm alles an sich, was den Rang des Toten auf diesem einsamen Hügel hätte verraten können. Den schön geschnitzten Knochenring, den sie ihm am Tag seiner Krönung geschenkt hatte, seine mächtige Kriegskeule, die Jadeschnalle seines Gürtels, die einen gewundenen Drachen zeigte. Sie wickelte all diese Schätze in den Lendenschurz des Königs. Sie würde sie vergraben oder in einem See versenken. Was dann noch von Branbart blieb, würde vergehen. Ein Gürtel, ein paar Federamulette, das war alles. Drei Tage, und die Raben würden den Leichnam völlig unkenntlich gemacht haben. Und in längstens vier Wochen blieben vom gefürchtetsten Krieger Albenmarks nur noch bleiche Knochen.

Als die Schamanin ihre Arbeit beendet hatte, sah sie sich um. Langsam wanderte ihr Blick über das weite Land. Sie suchte die Auren rings herum, schätzte sie und grunzte schließlich zufrieden. Hunderte Augen hatten ihre Tat beobachtet, doch sie blickten ohne Verstand. Eine große Sippe Murmeltiere, eine Herde Wisente, ein Hase, ein Fuchs, ein Reh, ein Marder und ein Falke hoch am Himmel, das waren die einzigen Zeugen.

Die kleine, fuchsköpfige Gestalt am nahen Waldesrand bemerkte Skanga nicht, denn die Lutin hatten es wie kein anderes Volk gelernt, im Verbogenen zu bleiben.

Brief eines Unbekannten

»Also heute wollte ich den Hasenzauber üben, weil Meister Gromjan mir das befohlen hat, und es ist immer besser zu tun, was Meister Gromjan sagt, sonst kommt er wieder mit seinem Rohrstock. Deshalb saß ich im Wald am Grünaugensee, dort, wo man die besonders großen Forellen fängt und wo Liza mir eine Ohrfeige gegeben hatte, als ich ihr hatte zeigen wollen, dass Küssen auch Zauberei ist. Gromjan hatte mir dreimal gesagt, dass ich auf die Adler Acht geben muss, wenn der Zauber denn klappt, was er mir nicht zutraute, weil er mich für einen erbärmlichen Stümper hält, aber ich habe es geschafft, und ich habe auf die Adler geachtet, denn wenn Meister Gromjan etwas dreimal sagt, dann ist es immer sehr wichtig. Dass einem als Hasen dauernd die Ohren vor die Augen klappen, hatte Meister Gromjan nicht gesagt, und überhaupt habe ich keinen einzigen Adler am Himmel gesehen, wenn mir nicht gerade die Ohren vor den Augen hingen. Weil ich aber auf Meister Gromjan höre, wenn er etwas dreimal sagt, habe ich mich brav ins Dickicht am Waldrand gekauert und gelangweilt, außer als der Fuchs vorbeikam, der mich natürlich sofort erkannt hat, weil ja jeder Fuchs einen Lutin erkennt, wenn er einem begegnet. Wir haben gerade darüber gestritten, ob Murmeltiere roh oder gebraten besser schmecken, wobei ich glaube, dass der Fuchs nur deshalb so energisch für rohe Murmeltiere war, weil er mit seinen Pfoten keinen Feuerstein halten kann, da waren plötzlich die beiden Riesen auf dem Hügel. Der Fuchs meinte ja, es seien Minotauren, aber er wollte nur mit seinem Wissen angeben, und überhaupt hatten die beiden keine Hörner am Kopf und waren zehnmal so groß wie ein großer Kobold, und deshalb können es nur Riesen sein. So plötzlich, wie sie da auf dem Hügel standen, konnten die Riesen nur durch ein Tor von den Albenpfaden gekommen sein, und das, obwohl Meister Gromjan sagt, Riesen können gar nicht zaubern. Aber ich darf ja gar nichts von den Albenpfaden wissen, weil ich noch manchmal nachts im Schlaf zaubere, wenn ich unruhig träume, und schlimme Dinge geschehen können, wenn man ein Tor aus Versehen öffnet; ich weiß aber trotzdem davon, weil mein großer Bruder es mir verraten hat, denn er reist sehr oft auf den Pfaden aus Licht. (...) wenn meine Sippe streitet, dann schreien sie sich immer an, und am Ende sitzen wir alle beisammen, und uns hängt die Zunge aus dem Hals, weil wir so geschrieen haben. Aber die Riesen sind anders, man hatte gar nicht gemerkt, dass sie Streit haben, als die alte Riesin hinging und dem anderen Riesen den Hals durchgeschnitten hat.