Aber sie war nicht nur zurückgekehrt, sie hatte sogar einen Reiseplan gemacht. Ganda war der Meinung, dass die Yingiz, die nach Albenmark gelangt waren, keinen Weg zurück in die Dunkelheit des Nichts kannten. Sie waren in der Finsternis eingesperrt, und die wenigen, die entkommen waren, waren nun ausgesperrt. Aus eigener Kraft konnten sie die Schutzzauber der Alben angeblich nicht durchdringen. Infolgedessen war es gleichgültig, ob sie bei ihrem Gespräch auf der Terrasse belauscht worden waren. Die Yingiz konnten ihr Wissen nicht weitergeben.
Ollowain hielt das alles für hoch spekulativ. Seiner Ansicht nach gab es zu wenig Gewissheit, aber Emerelle war überzeugt gewesen.
Die Lutin war der Meinung, dass man sich Iskendria auf den Albenpfaden nicht direkt nähern sollte, denn auf dem Weg durch das Nichts wurden sie mit Gewissheit beobachtet. Man musste nicht sehr klug sein, um darauf zu kommen, welches Ziel Reisende verfolgen mochten, die aus Emerelles Thronsaal durch das Netz der Albenpfade nach Iskendria gingen. Deshalb wollte Ganda ihre Spur verwischen. Ihr Vorschlag war es gewesen, zunächst an einen Ort in der Menschenwelt zu reisen, von dort ein kurzes Stück Wegs durch die Welt der Menschen zu nehmen und dann durch einen Albenstern in Iskendria in die Bibliothek zu gelangen. Emerelle hatte zugestimmt. Niemand hatte Ollowain gesagt, dass sie auf einer verdammten Insel herauskommen würden. Dort hatten sie keine andere Wahl gehabt, als sich diesem Bretterhaufen anzuvertrauen, den die Menschen in ihrer Vermessenheit ein Schiff nannten. Dass die Galeere auf hoher See nicht gekentert war, war seiner Meinung nach einfach nur Glück. Die Spanten waren in zu weiten Abständen gesetzt, und der Rumpf war viel zu bauchig. Bei einem Sturm bestand Gefahr, dass das Schiff einfach auseinander brach, und wenn sich die Galeere einmal quer in schwere Dünung legte, dann würde sie schneller kentern, als man über Bord springen konnte.
Jämmerliches Maunzen riss Ollowain aus seinen Gedanken. Auf eine Planke genagelt trieb noch eine Katze vorbei. Dieses Barbarenpack! Nicht weit entfernt lag ein großes Floß. Priester in schneeweißen Wickelröcken sangen ein feierlich monotones Lied und wiegten dabei ihre nackten Oberkörper. Sie alle hatten sich die Schädel kahl geschoren. Selbst ihre Augenbrauen waren abrasiert. Die Augen waren mit einer dicken blauen Paste umrandet, was die Männer bedrohlich wirken ließ.
Rings um das Floß lagen dutzende kleiner Boote, in denen sich ärmlich gekleidete Gestalten drängten. Fischer, vermutete Ollowain. Gebannt verfolgten sie das seltsame Schauspiel. Blaugraue Weihrauchschwaden zogen über das schmutzige Hafenwasser und erstickten den erbärmlichen Gestank. Ein Mann in einem Leopardenfell streute neuen Weihrauch in die goldenen Feuerschalen auf dem Floß. Dann brachte man ihm eine weiße Katze. Das Tier schien benommen. Es leistete keinen Widerstand, als man ihm ein weißes Tuch eng um die Hinterbeine wickelte. Ein dickes Brett wurde herbeigetragen, in dessen Oberfläche Bildzeichen geschnitzt waren.
Jemand reichte dem Mann im Leopardenfell einen silbernen Hammer.
Der Schwertmeister wandte den Blick ab, doch seine Ohren vermochte er nicht zu verschließen.
»Du solltest nicht so herumstehen, als hättest du einen Speerschaft verschluckt, geschätzter Schwertfuchtler. Und du solltest die Menschen nicht nach deinem Maß messen, Ollowain.«
Ganda war von achtern zu ihm herübergeschlendert. Sie war so klein, dass sie sich auf die Zehenspitzen stellen musste, um über die Reling zu blicken. Mit einer vagen Geste deutete sie in Richtung des Floßes. »Die Priester der Bessa gelten noch als sehr friedlich. Balbar hingegen, der Stadtgott von Iskendria, muss eine blutdürstige Monstrosität sein. Der Kapitän wagte es selbst als Fremder kaum, den Namen dieses Ungeheuers in den Mund zu nehmen.«
Die Lutin zuckte mit den Schultern. »Auf der anderen Seite gibt es in keiner anderen Stadt so viele wunderbare Kunstwerke wie in Iskendria. Die Tempel und Paläste suchen ihresgleichen. Man hat hier sogar eine Bibliothek, in der 500 000 Schriftrollen lagern. Klingt wie ein fernes Echo, nicht wahr?«
»Vielleicht ahnen sie, was unter ihrer Stadt verborgen liegt?«
Ganda lächelte ihn an. »Du spielst das nicht, oder? Du hast wirklich keine Ahnung ... 'Unter der Stadt' ist gut. Da wirst du nur Rattenlöcher finden. Die Bibliothek von Iskendria liegt in der Zerbrochenen Welt. Sie treibt auf einem riesigen Felsklotz durch das Nichts. Die einzigen sicheren Albenpfade dorthin beginnen hier in der Hafenstadt. Daher hat sie ihren Namen.«
Sie leckte sich mit ihrer kleinen rosa Zunge die Nasenspitze.
»Vielleicht ist es auch anders herum. Vielleicht haben die Albenkinder der Stadt hier ihren Namen gegeben. Iskendria ... Das klingt irgendwie zu hübsch für ein Menschenwort, findest du nicht auch?« Ollowain stand nicht der Sinn nach Belehrungen. »Ich finde, du solltest aufpassen, was du mit deiner Zunge tust. Du hast keinen Fuchskopf mehr. Ich glaube nicht, dass Menschen sich die Nasen lecken.«
Die Lutin legte den Kopf schief und sah ihn aufmerksam an.
»Was ist eigentlich los mit dir, Elf? Musst du immer an etwas herumnörgeln? Muss man ein Elf sein, um vollkommen zu sein?«
»Ich mache mir nur Gedanken darüber, dass wir nicht auffallen.« Er zupfte an dem Turban, den er trug. »Mir kocht in der Hitze das Hirn, aber ich verberge meine Ohren.« Seine Hand strich über sein weites, fast bodenlanges Gewand. »Ich habe ein Kleid angezogen, weil die Männer hier das tun.«
Er sah sich missmutig um. »Obwohl ich hier an Bord niemand anderen entdecken kann, der sich so weibisch kleidet wie ich. Wie du schon bemerkt haben wirst, schwitze ich. Das erwartet man nicht bei Elfen, nicht wahr? Leider bin ich in dieser Hinsicht etwas anders veranlagt als die anderen meines Volkes. Mir klebt dieses läppische Kleid am Leib. Und als sei das alles nicht genug, stinkt es in diesem Hafen so erbärmlich, dass man wohl auf der Stelle ohnmächtig würde, wenn man einmal tief durchatmete. Trotzdem bemühe ich mich, mich so zu verhalten, als sei all dies normal für mich. Wir wollen schließlich nicht auffallen. Und was machst du? Du leckst dir mit der Zunge die Nase. Verdammt noch mal, ist dir eigentlich egal, ob unsere Mission Erfolg hat? Kannst du dir nicht wenigstens ein klein bisschen Mühe geben? Oder ist das zu viel verlangt von einer Lutin?«
»Wenn du dir solche Sorgen machst, dass du weibisch wirken könntest, dann solltest du aufhören, dieses parfümierte Tüchlein zu schwenken.« Ganda grinste spöttisch. »Und was dein Kleid angeht ... Das ist eine ganz übliche Kleidung für einen Krieger aus der Wüste. Ob du es glaubst oder nicht, Emerelle und ich haben uns etwas dabei gedacht, als wir diese Verkleidung für dich ausgesucht haben. Die Wüstenkrieger gelten als eigenbrötlerisch, wortkarg und aufbrausend. Und sie haben einen üblen Ruf als Schwertfuchtler ...« Ihr Grinsen hatte nun etwas Herausforderndes. »Lichtet sich nun der Schleier um unsere rätselhafte Entscheidung, oder muss ich es noch genauer erklären?«
Ollowain knüllte das Tuch zusammen und ließ es ins Hafenbecken fallen. Er hätte sie erwürgen können ... Das alles hätte sie ihm auch früher sagen können. Und diese Art, von der Königin zu sprechen ...
Das alles hier würde nur ein paar Tage dauern, ermahnte sich der Schwertmeister in Gedanken. Er musste sich zusammenreißen, er zählte nichts. Es ging allein darum, den Auftrag der Königin zu erledigen. Sie würden in der Bibliothek nach dem Wissen der Alben forschen und zurückkehren. So schwer konnte das ja nicht sein. Die Bibliothekare würden ja wohl wissen, was in ihren Büchern stand!
»Mache ich noch weitere Fehler?«, fragte Ollowain betont gleichmütig.
»In Bezug auf deine Kleidung oder eher allgemein?«
»In Bezug auf unsere Mission. Alles Weitere geht dich nichts an.«