»Glaubst du etwa, ich würde darüber hinaus etwas mit dir zu tun haben wollen?«
Bleib ruhig, ermahnte er sich erneut. »Schön, dass wir uns wenigstens in einem Punkt einig sind. Also, mache ich, was meine Verkleidung angeht, einen weiteren Fehler?«
Ganda leckte sich herausfordernd mit der Zunge über die Nasenspitze. »Nein. Die Verkleidung sitzt. Und was viel wichtiger ist, der Mann darin erfüllt genau die Erwartungen, die man hier an einen Wüstenkrieger hat. Steif, stolz und stumm. Alles vollkommen.«
Ollowain wandte sich ab und beobachtete, wie die Galeere an einem langen, steinernen Kai anlegte. Die Ruder wurden eingezogen. Das schwere Schiff rieb sich knirschend an dicken Taurollen, die verhindern sollten, dass der Rumpf Schaden nahm. Eine Laufplanke wurde an Bord geschoben. Auf dem Kai drängten sich Händler, die dem Kapitän etwas zuriefen und offenbar gleich an Ort und Stelle mit dem Ankauf der Ladung beginnen wollten.
»Erwartet man von uns, dass wir uns in irgendeiner Form verabschieden?«, fragte Ollowain, ohne zu Ganda hinabzublicken.
»Das habe ich eben schon erledigt. Wir können gehen, Vater.«
Der Schwertmeister griff nach ihrer Hand und eilte den steilen Laufsteg hinauf. Ganda konnte kaum mit ihm Schritt halten und beklagte sich lauthals. Wie hatte sie ihn genannt? Steif, stolz und stumm. Solche Väter gaben nicht viel um die Klagen ihrer Töchter.
Das Gedränge bremste den Schwertmeister schon nach wenigen Schritten. Der Hafen war schlecht geplant. Hier trieben sich viel mehr Menschen herum, als seine Erbauer erwartet hatten. Sie schoben sich an ihnen vorbei und knufften sie mit den Ellenbogen, um Platz zu bekommen. Der Gestank der ungewaschenen Leiber raubte Ollowain den Atem. Längst wünschte er, er hätte sein parfümiertes Tuch nicht ins Hafenbecken geworfen. Rasch legte er die Linke auf seine Geldbörse. Sicher trieben sich hier auch Diebe herum. Der Ort war wie geschaffen für sie.
Eine Kolonne halb nackter Männer kreuzte ihren Weg, die auf breiten Schultern Säcke trugen. Sie hatten hölzerne Beißringe zwischen den Zähnen, um vor Anstrengung nicht so fest die Zähne aufeinander zu beißen, dass sie brachen.
Traniger Gestank wehte von einer Braterei herüber, wo kleine Fleischfetzen auf Holzspießen schmorten. Ein Schreihals pries die Schönheit eines schneeweißen Wasserbüffels an. In Käfigen auf einer niedrigen Tribüne konnte man noch weitere Tiere sehen. Einen Affen, mehrere Tauben, sogar eine weiße Schlange gab es dort, außerdem reichlich Hunde und Katzen.
»Der Kerl hat aber tüchtig mit Kreidestaub nachgeholfen«, rief Ganda belustigt. »Vielleicht sollte ich mir so ein Opfertier kaufen und einen der Stadtgötter darum bitten, dass du mir nicht den Arm ausreißt, wenn du es das nächste Mal wieder eilig hast.«
»Vielleicht sollte ich ihn fragen, ob er kleine blasshäutige Mädchen kauft?«, entgegnete Ollowain entnervt.
Ganda sah ihn eindringlich an. Dann entwand sie ihre Hand seinem Griff. Warum war sie plötzlich so empfindlich? Wer so austeilte wie sie, der sollte auch etwas einstecken können. Er hielt sich dicht bei ihr, damit sie im Gedränge nicht verloren ging. Sie wechselten kein Wort mehr miteinander.
Der Schwertmeister führte sie in Richtung des Hafentors, ein enges Nadelöhr, durch das alle Besucher und Waren in die Stadt gelangten. Plötzlich bemerkte er einen Trupp Soldaten. Vor ihnen teilte sich das Geschiebe. Die Krieger trugen kurze Panzerhemden aus silbernen Schuppen und Röcke aus dicken Leinenstreifen. Ihre großen, runden Schilde waren weiß und zeigten in Blau das Wappen eines springenden Delfins. Auf den wuchtigen Bronzehelmen wippten weiße Rosshaarkämme. Eine eindrucksvolle Truppe für die Verhältnisse der Menschen, dachte Ollowain. Sie hatten ihre Schwerter links seltsam hoch über der Hüfte gegürtet und trugen Speere mit schlanken Stichblättern.
Der Elf versuchte im Gedränge zu verschwinden und ihnen aus dem Weg zu kommen, doch in seinem langen weißen Kleid und mit dem zierlichen Mädchen an seiner Seite, war er eine zu auffällige Gestalt. Der Kommandant der Soldaten winkte ihm zu.
»Er weiß, dass du ihn gesehen hast. Bleib stehen, wenn du noch einen Rest von Verstand zwischen deinen langen Ohren hast.«
Auch ohne ihre Warnung wusste Ollowain, dass es zu spät war. Wenn sie jetzt versuchten, den Wachen zu entkommen, würden sie sich nur verdächtig machen. Also blieb er stehen und lächelte den Wachoffizier freundlich an.
Der hochgewachsene Kommandant richtete eine Frage an ihn. Sein Tonfall war höflich, aber bestimmt. Ollowain verstand kein Wort. Nervös blickte er zu der Lutin.
Ganda lächelte und begann mit einem grässlichen Akzent auf den Krieger einzureden. Dazu gestikulierte sie mit den Armen und schnitt seltsame Grimassen.
Ollowain beobachtete den Anführer des Wachtrupps verstohlen aus den Augenwinkeln. Der Mann runzelte die Stirn, als missfalle ihm, was er hörte. Dann bedachte der Hauptmann ihn mit einem eigenartigen Blick. Der Menschenkrieger war gut rasiert und duftete leicht nach Rosenwasser. Ollowain vermied es, ihm offen ins Gesicht zu blicken.
Ganda redete noch immer auf den Offizier ein. Ihre Worte schienen den Mann mehr und mehr aufzuwühlen. Was, zum Henker, erzählte sie nur? Und warum sah ihn der Kerl jetzt so mitleidig an?
Die Lutin deutete hinüber zum Hafentor. »Wir müssen einen Wegezoll entrichten, wenn wir die Stadt betreten wollen. Zwei kleine Kupfermünzen sind genug.«
Ollowain kramte in seiner Börse und gab dem Offizier das Geld. Immer noch vermied er es, ihm offen ins Antlitz zu blicken. Plötzlich packte ihn der Krieger bei den Schultern und drückte ihn an sich. Dabei sagte er etwas voller Inbrunst, was einige der Speerträger dazu veranlasste, stumm zu nicken. Dann überreichte er Ollowain ein kleines Kupfertäfelchen, in das ein springender Delfin geprägt war.
Verwundert blickte Ollowain dem Offizier nach. Der hatte indessen schon einen anderen Reisenden aus der Menschenmenge gepickt.
»Was hast du ihnen gesagt?« Er flüsterte, obwohl ihn außer Ganda hier ohnehin niemand verstehen könnte.
»Das willst du gar nicht wissen.« Die Lutin lächelte kokett, so wie nur Kinder hätten lächeln sollen.
»Gestattete, dass ich meine Entscheidungen selbst treffe. Wenn ich deinen Rat brauche, werde ich dich darum bitten. Bis dahin tust du, was ich sage. Was war mit diesem Hauptmann los? Was sollte dieser Abschied?«
Ganda lachte leise. »Ein herzensguter Mann, nicht wahr? Wenn er etwas kleiner wäre, könnte er mir durchaus gefallen.«
»Ganda ...«
»Ja, ja.« Sie winkte ab und lachte noch immer. »Er meinte, eigentlich dürfe er dich bei deinen finsteren Absichten nicht in die Stadt lassen, aber er sei überzeugt, dass dein Zorn gerecht sei, und er wünschte dir, dass du den Tag erleben wirst, an dem Balbar dir die Gnade gewährt, deine Feinde mit ihren eigenen Eingeweiden zu erwürgen. Freundlich, nicht wahr? Ich sagte ja: ein herzensguter Mann.«
»Was für Feinde?« Sie hatten inzwischen die Menschentraube erreicht, die sich vor dem engen Hafentor drängte. Der Lärm dort war ohrenbetäubend. Ohne Disziplin drängten und schoben die Leute und schrieen mit sich überschlagenden Stimmen durcheinander. Nur an einer Seitenpforte ging es etwas zügiger voran. Ganda ging an der langen Schlange Wartender vorbei zu diesem kleineren Tor.
Ollowain fiel auf, dass jene, die dort passierten, gepflegter aussahen als die Scharen von Schauerleuten, Eselstreibern, Ruderern, Huren und Sklaven, die am Haupttor um Einlass kämpften. Schon das Tor war prächtiger gestaltet. Es öffnete sich zwischen zwei schlanken Türmen, die mit blau-weiß emaillierten Kacheln geschmückt waren. Die Kacheln fügten sich zum Bild springender Delfine. Unter dem Torbogen, zwischen den Wachen, stand ein Priester mit kahl rasiertem Schädel. Er hielt einen Bund hellblauer Blumen in der einen Hand und eine flache Wasserschale in der anderen. Jedes Mal, wenn jemand das Tor passierte, tauchte er die Blumen ins Wasser und besprengte den neuen Gast der Stadt. Welch ein seltsamer Brauch! Erst als Ollowain bemerkte, dass die meisten Neuankömmlinge dem Priester daraufhin eine Münze in Schale warfen, ging ihm der tiefere Sinn dieser Übung auf. Der Mann war ein Bettler seines Gottes. Wie erbärmlich die Religion der Menschen doch war. Was waren das für Götter, die ihre Diener zu Bettlern machten? Was war an ihnen anbetungswürdig, wenn sie nicht einmal ihre ergebensten Diener versorgen konnten?