Ollowain sah Ganda fragend an. Sie übersetzte ihm die Worte des Dicken. »Wir sind nicht interessiert«, sagte der Elf höflich.
»Nein, nein, nein.« Der Kerl schüttelte so heftig den Kopf, dass sein üppiges Doppelkinn hin und her schwabbelte. »Diese Antwort kann ich meinem Herrn nicht bringen. Ich sehe schon, du möchtest den Preis in die Höhe treiben.« Er nestelte an der Geldbörse herum und zählte dann drei goldene Münzen in seine fleischige Hand. »So viel ist uns deine Tochter wert. Und feilsche nicht mit mir! Mein Herr, Ptolemos, ist ein Suchender, er gehört zur höchsten Kaste der Balbarpriester. Du siehst, ich bin also im Auftrag des Gottes unterwegs, und mit Balbar feilscht man nicht, es sei denn, man möchte ihn und seine Diener erzürnen.« Mit diesen Worten drückte sich der Dicke gegen die Häuserwand und ließ zwei Gestalten vorbei, in deren Händen lange gebogene Messer blitzten.
»Was also ist dir lieber, Fremder? Gold oder Stahl? Eine andere Wahl bleibt dir nicht, denn der Gott hat entschieden, Gefallen an deiner Tochter zu haben. Du weißt ja, er verzehrt sich geradezu nach jungen Bräuten.«
Ganda dachte wieder an die Geschichten, die der Kapitän über den Stadtgott erzählt hatte. Jeden Tag ein junges Mädchen, das war der Preis, den Iskendria willig für seine Macht und seinen Wohlstand gab.
Ollowain verstand nur die Gesten der ausgestreckten Hand und der gezückten Dolche. Die Worte verstand er nicht. »Sag dem Dicken, dass es nicht in meinem Sinne ist, jemanden zu verletzen, und dass ich geneigt bin, ihn gehen zu lassen. Im Übrigen weiß ich um die drei anderen, die sich noch im Schatten verbergen.«
Ganda entschied sich, sich bei der Übersetzung ein paar Freiheiten herauszunehmen. »Mein Vater, der Scharfrichter und beste Schwertkämpfer der Söhne Zeynels, ist geneigt, dich am Leben zu lassen, wenn du deine fünf Halsabschneider einsammelst und dich schneller verpisst, als ich ausspucken kann. Ansonsten wird er ihnen den Hals umdrehen, ihnen die Eier abreißen und sie dir in dein großes Maul stopfen, damit du daran erstickst.«
Der Dicke sah sie mit weiten Augen an.
Ollowain löste die Fibel seines Umhangs und ließ ihn zu Boden fallen. Eine Geste voller Anmut, doch in ihrer stillen Gelassenheit zugleich bedrohlicher als die gezückten Dolche. Der Mantel würde ihn nun nicht im Kampf behindern. Auch den Schleier nahm er ab, sodass man sein schönes, ebenmäßiges Gesicht sehen konnte.
Der Wortführer der Meuchler hob seine Rechte und schnippte mit den Fingern. Etwas Dunkles stürzte aus den Schatten der Ruine. Zwei schwarz vermummte Gestalten versuchten den Elfen zu packen und zu Boden zu reißen. Doch obwohl sie Ganda so schnell wie Raubkatzen erschienen, wich Ollowain ihnen mühelos aus. Mit der Grazie eines Tänzers wirbelte er herum, ergriff den einen beim Arm und brach ihm mit einer knappen Drehung das Handgelenk, sodass der Dolch den gefühllosen Fingern des Meuchlers entglitt. Er stieß den schreienden Mann von sich, wirbelte erneut herum und versetzte einem anderen Angreifer einen Tritt gegen die Brust.
Ganda wich ein wenig zurück, ohne den Blick abzuwenden. Ein Fausthieb des Elfen traf einen der Männer gegen den Hals, und der Kerl brach röchelnd in die Knie. Wie beiläufig wich Ollowain einem Dolchstoß aus, der ihn nur um Haaresbreite verfehlte, und umarmte den Messerstecher, der aus dem Gleichgewicht geriet, fast wie ein Liebender sein Mädchen. Zärtlich strichen seine schlanken Finger den Hals des Mörders hinauf und verharrten kurz hinter dessen Ohr. Ganda sah, wie sich die Sehnen auf Ollowains Handrücken kurz spannten, dann sank der Mensch zu Boden.
Der Krieger, den der Tritt gegen die Brust getroffen hatte, kam stöhnend wieder auf die Beine. Er tauschte einen ängstlichen Blick mit dem Letzten seiner Gefährten. Beide wichen in Richtung der Ruine zurück.
Ollowains Bewegungen erinnerten Ganda an das Schweben eines langen Seidenbanners, umspielt von einer sanften Brise. Binnen eines Lidschlags war er zwischen den beiden. Ein Ellbogenstoß traf einen der Menschen seitlich am Kopf, den zweiten schickte ein Tritt ins Kniegelenk zu Boden. Wimmernd hielt er sein Bein, offensichtlich nicht mehr in der Lage aufzustehen.
Etwas Eisiges legte sich auf Gandas Kehle. Vor Angst und Überraschung brachte die Lutin keinen Ton hervor. Stumm verfluchte sie sich dafür, dass sie sich von dem Kampf derart hatte in Bann schlagen lassen und auf nichts anderes mehr Acht gegeben hatte. Eine schwere Hand packte sie bei der Schulter und zog sie ein Stück zurück.
Der Dicke hatte ihr einen Dolch an den Hals gesetzt. »Du bist ein Girat, nicht wahr?« Seine Stimme überschlug sich, so hastig sprach er. »Einer der Wüstengeister. Das hättest du sagen sollen. Nicht diesen Unsinn mit dem Scharfrichter. Ich hätte niemals Hand an die Tochter eines Girat gelegt.«
»Dann nimm deine Klinge von meiner Kehle, du ...« Der Druck des kalten Stahls verstärkte sich, und Ganda verstummte. So ein verdammtes Pech. Sie hätte den Dicken nicht aus den Augen lassen sollen! Sie war selber schuld, wenn sie jetzt in der Patsche saßen. Fünf Feinde lagen kampfunfähig am Boden, ohne dass Ollowain auch nur sein Schwert gezogen hätte. Und sie vermasselte alles, indem sie diesem miesen Kinderhändler geradezu in die Arme lief.
»Glaubst du, du würdest es überleben, wenn du meiner Tochter etwas antust?« Ollowain sprach ganz ruhig. Ja, er lächelte sogar, aber dieses Lächeln hatte nichts Beruhigendes. Natürlich verstand der Mensch ihn nicht. Ganda spürte, wie die Hand des Dicken nass vor Schweiß wurde. Die Lutin überlegte verzweifelt, wie sie aus eigener Kraft entkommen könnte. Sie beherrschte tausende Zauber. Sie könnte dem Dreckschwein Wespen in Mund und Nase zaubern, doch wenn er auch nur zuckte, würde für sie dieser Ausflug nach Iskendria mit durchschnittener Kehle enden. Und jeder verdammte Zauberspruch, der ihr einfiel, ließ ihm mehr als genug Zeit zum Zucken, es sei denn ...
»Du schnallst jetzt dein Schwert ab, Girat, und legst dann die Hände in den Nacken. Wir finden einen Weg, wie wir alle lebend diese verdammte Gasse verlassen können. Du bekommst die Kleine ...«
Ganda flüsterte drei Worte der Macht, und die Stimme des Kinderhändlers erstarb. Vorsichtig schob die Lutin die Klinge von ihrer Kehle fort.
Ollowain hob skeptisch eine Braue. Wie schafften es diese Elfen nur, so unglaublich überheblich zu wirken? Wahrscheinlich verbrachten sie Jahre ihres unendlichen Lebens vor Spiegeln, um ihre Gestik und Mimik zu vervollkommnen. »Was ist mit ihm?«
»Wie du siehst, kann ich mir durchaus alleine helfen«, entgegnete sie spitz. »Er hält sich im Augenblick für ein Marmorstandbild. Daran sollte sich bis zum Morgengrauen nichts ändern. Ich schlage vor, wir gehen.«
»Wozu braucht man solch einen Zauber?«
»Um ein Messer an der Kehle loszuwerden, natürlich«, antwortete Ganda ironisch. »Manchmal ist er auch ganz nützlich für einen erfreulichen Geschäftsabschluss.«
Ollowain schüttelte den Kopf und bückte sich nach seinem Umhang und dem Schleier. »Ist das eine nette Umschreibung für Diebstahl?«
»Es ist üble Verleumdung, uns Lutin dauernd zu unterstellen, wir seien ein Volk von Dieben«, entgegnete sie entrüstet. Natürlich war es in aller Regel so, dass der Wert der Waren, die sie zurückließen, wenn der Marmorzauber zum Einsatz kam, in keinem Verhältnis zum Wert der Waren stand, die sie mitnahmen, aber Diebe waren sie nicht! Diebe ließen gar nichts zurück! Nicht einmal ein symbolisches Goldstück.
Plötzlich warf sich Ollowain auf sie. Der Elf riss sie zu Boden. Sein Gewicht presste ihr die Luft aus den Lungen. Sie hörte ihre Rippen krachen. Etwas Warmes rieselte über ihre Hand. Blut!
Als Ollowain wieder aufstand, sah sie, wie der Mann mit dem zerschmetterten Knie verzweifelt versuchte, kriechend zwischen die Ruinen zu entkommen. Der Schwertmeister würdigte ihn keines Blickes. Ein großer, blutiger Fleck breitete sich unter seinem rechten Arm auf dem schneeweißen Gewand aus. Neben ihnen lag ein sichelförmiger Dolch im Staub.
»War der für mich bestimmt?«, stammelte Ganda erschrocken. Warum hatte der Kerl das getan? Der Kampf war doch entschieden.