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»Herrin ...« Sanft berührte er sie an der Schulter.

Die Königin blickte zu ihm auf. Ihre sonst so warmen braunen Augen erschienen ihm jetzt wie düstere Abgründe. Ollowain kannte Emerelle seit Jahrhunderten, doch nie zuvor hatte er sie so hasserfüllt gesehen. Selbst als sie einst auf der Shalyn Fallah, der weißen Brücke, die Ermordung der gefangenen Trollfürsten befohlen hatte, hatte sie diese Entscheidung in kalter Ruhe getroffen. Nun aber spiegelte sich blanker Hass in ihrem Blick.

»Skanga verlässt sich darauf, dass wir wieder fliehen werden. Doch sie hat die letzte Grenze erreicht. Von hier aus gibt es keinen Rückzug mehr, und ich werde nicht länger dulden, dass die Trolle alles zerstören, was schön ist in unserer Welt. Sollen ihre Seelen in der Finsternis verloren sein!«

Sie nahm den Albenstein und zog knirschend einen Strich über einen der Schlangenleiber des Mosaiks. Dann stieß sie ein einzelnes Wort hervor. Ollowain kannte die Sprache nicht, derer sich die Königin bediente, doch das war nicht notwendig, um zu verstehen. Es war ein Wort wie ein Messerstich.

Der Weg in die Finsternis

Der Wind schnitt ihr ins Gesicht und biss in ihre alten Knochen. Ihre Armgelenke knirschten, als Skanga den Fleischklumpen hochhielt, der vor wenigen Augenblicken noch ein schlagendes Elfenherz gewesen war. Das Heer, das sich rings um den niedrigen Eishügel versammelt hatte, sollte sehen, dass ihr Zauber mit Blut gewirkt war.

Die Trollschamanin selbst war blind. Das war der Preis, den Skanga vor langer Zeit dafür gezahlt hatte, in die tieferen Mysterien der Magie eingeweiht zu werden. Doch auch wenn ihre Augen nur noch knochenbleicher Gallert waren, nahm sie deutlich wahr, was um sie herum geschah. Sie spürte das warme Elfenblut ihre Arme hinabrinnen und genoss den eisigen Wind auf ihrer Haut. Sie wusste, dass das Blut in der Kälte dampfte. Die Opferung war geglückt, sie hatte ihren Zweck erfüllt. Obwohl tausende Krieger um sie herum versammelt standen, war kein Laut außer den Geräuschen des Windes zu hören. Er zerrte an den neuen Bannern aus Elfenhaut und ließ die aus Knochen geschnitzten Amulette leise klappern, die viele der Kämpfer mit Lederschnüren an ihre Waffen geknüpft hatten.

Skanga blickte auf den toten Elfen zu ihren Füßen. An jenem fernen Tag, an dem sie ihr Augenlicht ihrer Gabe geopfert hatte, hatte sie befürchtet, für immer in ein Meer aus Finsternis zu tauchen. Ihre Meisterin hatte ihr nicht gesagt, was geschehen würde; Furcht und Ungewissheit hatten zu dem Opfer dazugehört. Sie hatte es ihr nicht leicht gemacht, jenen Weg zu beschreiten, den sie nun schon so viele Jahrhunderte ging. Sie hatte sie gequält, um ihre Seele zu festigen, so hatte sie behauptet. Längst war sich Skanga sicher, dass sie es vor allem zu ihrem Vergnügen getan hatte. Matha Naht war von Finsternis durchdrungen gewesen. Schwarz wie ihre Rinde war auch ihre Magie. Die törichten Elfen hielten die uralten beseelten Bäume für weise, friedliche Geschöpfe. Keine Ahnung hatten sie!

Skanga wurde Zeuge, wie die Aura des toten Elfen zu ihren Füßen langsam verging. Statt Gestalten aus Fleisch und Blut sah sie ätherische Geschöpfe aus buntem Licht. Die Farben und die Helligkeit des Lichtes verrieten ihr mehr über ihr Gegenüber, als sie es jemals mit gesunden Augen hätte erkennen können.

Den Elfen zu opfern wäre nicht nötig gewesen, um das magische Tor im Albenstern zu öffnen. Skanga hatte es für die Krieger getan. Sie glaubten, ein Zauber sei nur dann wirklich machtvoll, wenn er mit einem Blutopfer verbunden war. Im Grunde war das auch nicht falsch, doch bei einem Stern, in dem sich sieben Albenpfade kreuzten, war es leicht, die goldenen Wege durch das Nichts zu betreten. Jedenfalls wenn man den Schlüssel zu ihnen besaß.

»Fürchtet mich, ihr Schatten!«, rief Skanga mit heiserer Stimme und streckte ihren schweren Stab der aufgehenden Sonne entgegen. »Öffnet mir das Tor, und dann weicht zurück in den Abgrund, damit mein flammender Zorn euch nicht verbrenne! Wagt es nicht, nach meinen Kindern zu greifen! Euch sei das Blut des Elflings geschenkt. Trinkt es und verschlingt seine Seele! Dies ist mein Wegezoll an euch. Nun gehorcht mir!«

Die alte Schamanin blickte hinab zu den Kraftlinien, die sich schlangengleich zu ihren Füßen wanden. Ein Gedanke genügte, um sich ihrer Macht zu bedienen. Die Linien bäumten sich auf und bildeten einen Torbogen, hinter dem das Nichts wartete, jener Raum zwischen den Welten, durch den die Alben einst ihre goldenen Pfade gezogen hatten. Wer diese Wege betrat, der vermochte mit wenigen Schritten hunderte Meilen zu überwinden. Doch der Weg, den sie an diesem Tag gehen würden, war lang. Sie mussten viele Sterne überschreiten. Skanga wusste, dass etliche Krieger verloren gehen würden. So war es jedes Mal, wenn diese Narren in das goldene Netz traten. Dabei waren sie alle gewarnt. Sie wussten, was jenseits der Pfade lauerte. Viele von ihnen hatten Met getrunken, um die Angst zu betäuben. Ein Marsch durch das Nichts erforderte mehr Mut als eine Schlacht.

Branbart, ihr König, zog geräuschvoll die Nase hoch und spuckte aus. Skanga spürte seine Unruhe, obwohl er nichts sagte. Es fiel ihm schwer, sich zu beherrschen. Er war es gewesen, der darauf gedrängt hatte, über die goldenen Albenpfade direkt ins Herzland vorzustoßen und der Herrschaft der Elfen ein für alle Mal ein Ende zu setzen. Nach der Schlacht um Phylangan waren die Elfen zu sehr geschwächt, um nennenswerten Widerstand leisten zu können. Weniger als eine Stunde noch, und Branbart gedachte auf Emerelles Thron zu sitzen.

Skanga war nicht ganz so zuversichtlich. Alles kam ihr zu leicht vor. Die alte Schamanin konnte sich nicht vorstellen, dass Emerelle so schnell aufgab. Sie sollte auf der Hut sein. Die Elfen kämpften voller Heimtücke. Vielleicht war es eine Falle. Es mochte ...

Skanga spürte, dass sie beobachtet wurde. Etwas jenseits des goldenen Pfades spähte hinüber. Die Schamanin flüsterte ein Wort der Macht. Verschwommen erkannte sie einen Elfenkrieger jenseits des Tors. Seine Aura war kraftvoll, sie bestand aus hellem, weißgoldenem Licht. Er war entschlossen zu kämpfen. Skanga lächelte. Dieser Narr! Eine Schamanin hielt man nicht mit dem Schwert auf. Ein Gedanke von ihr, und schon formte sich eine Hand aus Schatten. Sie streckte sie über den Abgrund hinweg. Wenn sie das Herz des Elfen umklammerte, würde es aufhören zu schlagen. Er würde einfach ...

Skanga zuckte zurück. Da war noch jemand! Eine machtvolle Präsenz hatte sich an die Seite des Kriegers gestellt und schirmte ihn mit einem goldenen Schild ab.

Die Schamanin zog die Schattenhand zurück. Emerelle! Die Königin erwartete sie. Skanga zögerte. Würde die Elfenkönigin kämpfen, wenn es keine Aussicht auf einen Sieg gab? Hundert junge Trollkrieger würde sie dem Opferdolch überlassen, wenn sie dafür in Emerelles Gedanken sehen könnte, dachte Skanga.

»Wann geht es los?«, fragte Branbart ungehalten. »Worauf warten wir noch?«

Die Schamanin nickte in Richtung des leuchtenden Pfades, der durch das Nichts schnitt. »Emerelle erwartet uns am Ende des Weges. Sie wird kämpfen.«

Branbart spuckte auf das Eis. »Kann sie gewinnen?«

»Nur ein einziger Krieger ist an ihrer Seite. Der Elfling, der die Verteidiger von Phylangan befehligt hat.«

Der König lachte. »Den haben wir schon einmal besiegt. Der wird uns auch diesmal nicht aufhalten.« Er winkte den Kriegern seiner Leibwache. »Vorwärts! Ihr habt die Ehre, das erste Blut zu vergießen. Und schlagt nicht nach den Köpfen der Elflinge. Ihr wisst ja, die brauchen wir noch.«

Skanga betrachtete die jungen Krieger, die mit Feuereifer durch das dunkle Tor stürmten. Vielleicht war sie zu alt? Zweifel zu haben war eine Schwäche. Sie lächelte zynisch. Eine Schwäche, die einen davor bewahrte, blindlings ins Verderben zu rennen. Von diesen Kriegern würde wohl kaum einer an der Siegestafel des Königs sitzen. Branbarts Art, Schlachten zu gewinnen, war ebenso einfach wie verschwenderisch. Er ertränkte seine Feinde in Strömen von Blut. Trollblut! Auf seinem Weg von Sieg zu Sieg würde er noch sein ganzes Volk auslöschen ...