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Ganda hasste es, Treppen zu steigen. Nie dachten die Baumeister an die kurzen Beine von Kobolden, wenn sie den Abstand der Treppenstufen bemaßen. Gut, in der Welt der Menschen war dies mangels Kobolden ein verzeihlicher Fehler. In Albenmark war es allerdings nicht besser, und dort waren die Steinmetzen und Baumeister obendrein meist Kobolde. Aber so waren die Elfen in ihrer Überheblichkeit. Sie verschwendeten keinen Gedanken an ihre Diener, die öfter als jeder andere Palastbewohner die Treppen hinauf- und hinabeilten.

Die Stufen führten hinauf zu einem schweren, zweiflügeligen Tor. Das schwarze Holz war mit Intarsien aus Perlmutt und Elfenbein geschmückt, die sich zu Bildern von Delfinen und Schiffen fügten. Vor dem Tor stand eine große dunkelhäutige Gestalt: ein Diener mit nacktem geöltem Oberkörper, um dessen Arme sich goldene Schlangenreife wanden.

»Sag deiner Herrin, dass ihre Königin ihr eine eilige Nachricht schickt.« Ganda sprach in der Sprache Iskendrias und betonte jedes einzelne Wort überdeutlich.

Der Wächter musterte sie beide eindringlich. Ollowains Wunde veranlasste ihn zu einem Stirnrunzeln. Endlich nickte er und öffnete das Tor. Er führte sie in die Eingangshalle, wo ein silberner Springbrunnen willkommene Kühle spendete. Der Duft von Zimt und Sandelholz schwang in der Luft, während die kleinen Flammen der Öllämpchen das dunkle Zwielicht der Halle kaum zu vertreiben vermochten.

Wortlos deutete ihr Führer auf eine steinerne Bank an der Wand. Dann verschwand er mit eiligen Schritten.

Ganda sah sich mit großen Augen um. »Ich glaube, es könnte mir gefallen, eine geheime Gesandte Emerelles in der Welt der Menschen zu sein.«

Ollowain überraschte sie, indem er antwortete. »Wenn ich mich recht erinnere, hat sie Sem-la — oder besser gesagt, Valynwyn — bestraft. Hier zu sein ist keine Gunst. Sie ist eine Verbannte.«

Die Lutin betrachtete die kostbaren Mosaiken auf dem Boden. Wenn man Elf war, konnte man sich offensichtlich alles erlauben. Hier zu leben, war keine Strafe! Sie dachte daran, wie ihr eigenes Volk rastlos mit den Hornechsen wanderte. Nie wussten sie, wo sie im nächsten Mond leben würden. Die einzige Gewissheit, die sie hatten, war die, dass man sie, ganz gleich, wohin sie auch gingen, niemals willkommen heißen würde. Wer die Lutin zu sich rief, der hatte meist dunkle Geschäfte im Sinn und legte größten Wert darauf, nicht mit ihnen gesehen zu werden. Deshalb durften sie, auch wenn sie ihre Aufträge zu größter Zufriedenheit erledigten, niemals mit Dankbarkeit rechnen.

Leise Schritte unterbrachen Gandas bittere Gedanken. Sie blickte auf. Die Hausherrin kam barfuß. Sie war eine hochgewachsene, schöne Frau. Ganz offensichtlich hatte der überraschende Besuch ihre Pläne für den Abend durcheinander gebracht. Sem-la trug eine wuchtige Perücke aus gefärbtem Pferdehaar. Ihr Gesicht war so stark geschminkt, dass es fast wie eine Maske wirkte. Die Augen hatte die Elfe mit Ruß umrandet, sie waren erschreckend dunkel. Auf irgendeine geheimnisvolle Weise hatte Sem-la es geschafft, das Weiß ihrer Augen türkis zu färben. Ihr Blick war unheimlich. Weder die kunstvoll gelegten Locken ihrer Perücke noch der perlenbestickte Seidenmantel, der ihre Nacktheit nur unvollkommen verbarg, vermochten von diesen Augen abzulenken. Ein sinnlicher, fremdartiger Duft ging von der Perücke aus, und Ganda roch, dass sich Sem-la auch zwischen ihren Schenkeln parfümiert hatte. Man musste schon wissen, dass die Herrin des Hauses eine Elfe war, um sie noch als solche zu erkennen.

»Ollowain, was für eine Überraschung, dich zu sehen. Bei Bessa, du bist ja verletzt, du ...« Sem-la lächelte verlegen. »Entschuldigt, so lange treibe ich schon diese Maskerade, dass ich mir ganz wie die Menschen angewöhnt habe, bei jeder Gelegenheit den Namen eines ihrer Götzen anzurufen.«

»Alles, was ich brauche, ist ein sauberer Verband.«

»Nein, das werde ich nicht zulassen! Ich persönlich werde mich um deine Wunde kümmern. Ich bin bewandert in der Heilkunst, wie du dich vielleicht erinnerst.«

»Ich habe nicht vergessen, warum man dich verbannt hat«, entgegnete der Elf kühl.

Ganda beobachtete die beiden neugierig. Ob Ollowain dieser aufgedonnerten Elfenschlampe wohl einmal etwas bedeutet hatte? Wie Sem-la wohl ausgesehen hatte, bevor sie Jahrzehnte oder vielleicht sogar Jahrhunderte damit verbracht hatte, sich als Menschenweib zu verkleiden? Vielleicht war die Verbannung hierher doch eine härtere Strafe, als sie anfangs angenommen hatte?

»Ich bestehe darauf, dass ihr euch von eurer Reise erholt.«

»Wir müssen deine Gastfreundschaft leider zurückweisen«, erwiderte Ollowain in einer Entschiedenheit, die fast schon unhöflich war. »Unser Auftrag in der Bibliothek duldet keinerlei Aufschub.« Sollten seine kühlen Worte Sem-la verletzt haben, ließ sie sich zumindest nichts anmerken. »Sei nicht töricht, Ollowain. Du weißt, ich bin eine gute Heilerin, und es würde nicht lange dauern. Weise mich nicht zurück.«

Der Schwertmeister zögerte noch einen Augenblick, doch schließlich nickte er zustimmend.

Ganda nahm zur Kenntnis, dass Sem-la sie nicht einmal eines Blickes würdigte. Die Lutin war es gewohnt, von adeligen Elfen wie Luft behandelt zu werden. Schweigend beobachtete sie, wie der Torwächter auf Geheiß seiner Herrin eine Schale mit Wasser und ein Kästchen brachte, in dem mehrere Furcht einflößend aussehende Messer und anderes chirurgisches Besteck lagen.

Geschickt zerschnitt die Elfe Ollowains Gewand und tupfte die Wunde sauber. Ganda sah, dass der Schnitt tiefer war, als der Schwertmeister behauptet hatte. Er musste viel Blut verloren haben. Warum hatte sich dieser Dummkopf so aufgespielt? Wut und Mitleid hielten sich in ihren Gefühlen die Waage. Er hatte keinen Augenblick gezögert, sein Leben für sie einzusetzen. An die Verachtung oder bestenfalls Überheblichkeit, mit der die meisten Albenkinder ihr Volk behandelten, hatte sie sich längst gewöhnt. Deshalb erschreckte sie seine Tat. Er hätte sterben können! Kein Elf opferte sein Leben für eine Lutin, es sei denn, er war versessen darauf, dem Tod zu begegnen. War das Ollowains Geheimnis? Sie wurde einfach nicht schlau aus ihm.

Sem-la legte die linke Hand auf die Wunde des Schwertmeisters, die Herzhand. Ganda wusste, wie man den Heilzauber wirkte, auch wenn sie ihn nie erlernt hatte. Man musste selbstlos sein, um eine Heilerin werden zu können. Zu heilen hieß, die Schmerzen des Verletzten zu teilen, während man ein magisches Band zu ihm knüpfte.

Die Lippen der Hausherrin bebten. Sie stöhnte leise.

Sem-la wirkte nicht wie eine selbstlose Frau. Wie hatte sie diesen Zweig der Zauberei meistern können? Je mehr man die Elfen kannte, desto unbegreiflicher wurden sie, dachte Ganda.

Als Sem-la ihre Hand zurückzog, war die Wunde verschwunden. Kein Schorf, nicht einmal eine feine weiße Narbe verrieten, wo Ollowain verletzt worden war.

Der Elf streckte prüfend den Arm. »Ich danke dir, und ich bedauere, dir Schmerzen bereitet zu haben.«

»So selten kommt einer der unseren hierher und nimmt sich die Zeit, für ein paar Stunden zu verweilen, dass ich froh bin, wenn ich wenigstens die Schmerzen mit einem meines Volkes teilen kann, wenn sonst schon nichts geblieben ist, das man teilen könnte.«

Ollowain stand auf und zog den Umhang über den zerschnittenen Ärmel. »Wenn du so freundlich wärst, mich und meine Gefährtin zu dem Albenstern zu führen, der sich in deinem Haus verbirgt?«

»Wie du es wünschst.« Sollte Sem-la enttäuscht oder verärgert gewesen sein, so verstand sie es, ihre Gefühle zu verstecken. Sie klatschte zweimal laut in die Hände, und eine verborgene Tür nahe dem Silberbrunnen öffnete sich. Über zwei Treppen stiegen sie tief in einen Keller mit gewölbter Decke hinab. Der Boden hier war mit einem prächtigen Mosaik ausgelegt, das eine in schillerndem Rot aufgehende Sonne zeigte. Sieben Kraniche flogen in verschiedene Himmelsrichtungen davon. Ganda spürte die magische Kraft durch den Steinboden. In der Sonnenkugel am Boden trafen sich sieben Albenpfade zu einem großen Stern.